Was der Fall Assange bedeutet: Die Öffentlichkeit als Gefahr und Feindbild für den Staat
Die Juristin und Ehefrau von Julian Assange über die Bedeutung des Falls. Kritik an Presse und deutscher Außenministerin. Auszüge aus einem Telepolis-Podcast.
Die Presse hat viele Jahre lang grundlegend missverstanden, was Julian vorgeworfen wurde. In einigen Fällen wussten Journalisten nicht einmal, dass Julian beschuldigt wird, die Chelsea-Manning-Leaks über den Irak und Afghanistan, Guantánamo Bay, die diplomatischen Kabel und die Einsatzregeln in "Collateral murder" [Video mit Kampfhubschrauber, der Zivilisten im Irak tötete] veröffentlicht zu haben.
Medien verbreiten für sie schädliche Version
Ich finde das erstaunlich; nicht nur, weil viele dieser Medien die gleichen Dinge veröffentlicht haben, sodass sie im Prinzip auch auf der gleichen Grundlage strafrechtlich verfolgt werden könnten, sondern auch, weil es ihre journalistische Verantwortung und ihr Recht auf Veröffentlichung betrifft, das durch diesen Fall untergraben wird.
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Ich weiß, dass es eine Metadiskussion über Julian gegeben hat und darüber, was für eine Art von Journalist er ist und so weiter. Aber man muss einfach verstehen, dass Julian als Verleger und für die Nachrichtenbeschaffung angeklagt wird.
Es geht nur um Julians Tätigkeit
Es geht nicht um seinen Charakter, sondern um die Tätigkeit, und die Tätigkeit, die kriminalisiert wird, besteht darin, Informationen von einer Quelle zu erhalten, sie zu besitzen und sie an die Öffentlichkeit weiterzugeben – nicht im Namen einer ausländischen Macht, sondern zum Nutzen der Öffentlichkeit.
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Das ist es, was kriminalisiert wird. Im Grunde wird die Öffentlichkeit als Feind des Staates betrachtet. Das Risiko, dass wahre Informationen an die Öffentlichkeit gelangen könnten, ist aber genau der Zweck des Journalismus.
Journalismus wird kriminalisiert
Es ist also der Journalismus, der kriminalisiert wird; darum geht es in diesem Fall. Es geht nicht um Julian und was er vielleicht denkt oder nicht denkt. Das, was ihm vorgeworfen wird, ist Journalismus. Es ist sehr enttäuschend, dass sich viele Journalisten und Pressevertreter erst im Verlauf der Jahre tatsächlich damit auseinandergesetzt haben und begannen zu verstehen, worum es eigentlich geht.
Es war eine große Hilfe, dass die Experten, die den Fall verfolgt haben, zu den Anhörungen gegangen sind, die Gerichtsdokumente gelesen und wirklich verstanden haben, was auf dem Spiel steht.
Existenzielle Bedrohung für investigativen Journalismus
Alle haben gesagt, dass Julians Fall eine existenzielle Bedrohung für den investigativen Journalismus ist, er jeden Journalisten in der Welt betrifft, in den Vereinigten Staaten, aber auch in der ganzen Welt. Julian ist australischer Staatsbürger, er war in Großbritannien und auf US-amerikanischem Boden.
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Die Regierung der Vereinigten Staaten hat beschlossen, ihre Geheimhaltungsgesetze zu nutzen, um Journalisten im Ausland zu zensieren und damit zu bestimmen, was die Öffentlichkeit in Deutschland, in Europa und wo auch immer hören darf. Das ist nicht in Ordnung. Es ist völlig untragbar, das sollte es für alle Journalisten sein, die ihren Job ernst nehmen.
Beaerbock machte Wahlkampf mit Assange – und ließ ihn dann fallen
Die deutsche Außenministerin hat mit dem Fall Julian Assange Wahlkampf gemacht. Sie wusste, dass sie damit Stimmen gewinnen würde. Dann wurde sie gewählt, und sobald sie im Amt war, hat sie zu diesem Fall geschwiegen.
Und sie schweigt weiter. Das ist für mich gänzlich unverständlich, nachdem Olaf Scholz sich zu dem Fall geäußert und gesagt hat, dass Julian nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden sollte. Das ist eigentlich vollkommen unverständlich.
Grundfeste Europäischer Werte
Ich denke, der Fall Julian Assange geht an die Grundfesten der europäischen Werte, der deutschen Werte, der Pressefreiheit. Es geht darum, das Recht der Öffentlichkeit auf Information zu schützen. Das ist es, was angegriffen wird. Es sollte nicht eine Frage von Wahlkampfstrategie sein. Es sollte eigentlich darum gehen, die Probleme zu lösen.
Enorme Unterstützung aus Deutschland
Ich bin keine deutsche Staatsbürgerin, ich kann nur auf das Offensichtliche hinweisen. Ich weiß, dass es etwas ist, das den Deutschen sehr am Herzen liegt, die Heuchelei. Julian hat enorme Unterstützung in Deutschland. Wie ich schon sagte, der Kanzler hat sich bereits geäußert, Deutschland verfolgt den Fall und hat Beobachter bei den Anhörungen.
Sie wissen also offensichtlich, was auf dem Spiel steht. Sie wissen, dass Julian des Journalismus beschuldigt wird. Sie wissen, dass er ein Journalist ist. Er ist der weltweit meist ausgezeichnete Journalist. Ich glaube nicht, dass jemand einen Journalisten finden kann mit mehr Auszeichnungen.
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Auszug aus einem ausführlichen Podcast-Interview mit Stella Assange, das Ende Mai bei Telepolis erschien.