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Was die Analyse von sehr seltenen, aber schwerwiegenden Impffolgen so schwer macht

Für die überwiegende Mehrheit der Menschen sind die zugelassenen Covid-19-Vakzine wirksam und sicher. Dennoch sind Komplikationen nicht auszuschließen

Von Gustav Kuschinsky, dem 1992 verstorbenen Altmeister der Pharmakologie in Deutschland, stammt der Satz1 [1]:

Wenn behauptet wird, dass eine Substanz keine Nebenwirkungen zeigt, dann besteht der dringende Verdacht, dass sie auch keine Hauptwirkung hat.

Dieses wegweisende Bonmot bedeutet, dass beim Einsatz von Arzneimitteln auch immer mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) gerechnet werden muss.

Während die evidenzbasierte Medizin in den letzten Jahrzehnten mit dem Prinzip der prospektiven, randomisierten und kontrollierten Studie (RCT) und weiterer standardisierter Untersuchungsverfahren mit hoher Beweiskraft effektive Methoden entwickelt hat, um die (gewünschte) Wirksamkeit von Arzneimitteln zu untersuchen, zu quantifizieren und kritisch zu bewerten2 [2], ist die Untersuchung von sehr selten auftretenden UAW weiterhin schwierig und eine große wissenschaftliche Herausforderung. Das gilt besonders auf dem Gebiet der Impfstoffe.

Schwerwiegende UAW nach einer Impfung sind solche, die mit einer langfristigen erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit einhergehen oder zum Tode führen. Sie werden auch als Impfkomplikationen bezeichnet und treten sehr selten auf.3 [3] Nicht dazu gehören die typischen nach einer Impfung auftretenden Symptome wie Rötung, Schwellungen und Schmerzen an der Impfstelle und auch Allgemeinreaktionen wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Unwohlsein, die häufig bis sehr häufig zu beobachten sind. Diese Reaktionen sind Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems des Körpers mit dem Impfstoff und klingen in der Regel nach wenigen Tagen komplett ab.

Angaben zu Art und Häufigkeit dieser und anderer UAW finden sich in den Fachinformationen des jeweiligen Impfstoffs auf der Website des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), zum Beispiel für Vaxzevria, das ist der Handelsname des Astrazeneca-Vakzins4 [4] oder für Comirnaty, den Impfstoff von Biontech und Pfizer5 [5].

Bei den Häufigkeitsangaben zu den UAW werden folgende Kategorien unterschieden, die Angabe bezieht sich jeweils auf die Anzahl der Ereignisse pro Zahl der geimpften Personen:

Somit bedeutet "sehr selten", dass eine UAW bei weniger als einer Person bei 10.000 Geimpften beobachtet wird.

Daraus ergibt sich, dass sehr selten auftretende UAW in den üblichen klinischen Phase-III-Studien, die vor der Zulassung durchgeführt werden und in denen nur wenige 10.000 Probanden eingeschlossen sind, meist nicht festgestellt werden können. Sie können erst in Erscheinung treten, wenn Hunderttausende bis Millionen Menschen den jeweiligen Impfstoff erhalten haben.

Nach § 6 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist der Verdacht einer über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung meldepflichtig. Die Meldung erfolgt vom Arzt an das Gesundheitsamt.6 [6] Die Gesundheitsämter sind verpflichtet, die gemeldeten Verdachtsfälle der zuständigen Landesbehörde und der zuständigen Bundesbehörde, dem PEI, im Einklang mit den Bestimmungen des Datenschutzes zu melden, wobei personenbezogene Angaben unkenntlich zu machen sind.

Sehr seltene schwere UAW nach Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin

Mitte März unterbrachen mehrere europäische Länder, auch Deutschland, die Impfung mit dem Covid-19-Vakzin von Astrazeneca, nachdem berichtet worden war, dass bei einigen Personen ein bis zwei Wochen nach der ersten Impfung schwerwiegende Blutgerinnungsstörungen aufgetreten waren.

Bei den als UAW gemeldeten Gerinnungsstörungen handelt es sich vor allem um Hirnvenenthrombosen (Sinusvenenthrombosen), aber auch um Thrombosen der Mesenterialvenen im Abdomen, um Lungenembolien und Thrombosen anderer Lokalisation, zum Beispiel der Beinvenen.7 [7]

Bis Anfang April 2021 waren dem PEI, der die Impfung überwachenden Behörde in Deutschland, 31 derartige Verdachtsfälle nach Impfung von insgesamt 2,85 Millionen Personen mit dem Astrazeneca-Vakzin gemeldet worden. In 19 Fällen habe zusätzlich eine Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen) bestanden und in neun Fällen war der Ausgang tödlich. Mit Ausnahme zweier Fälle haben alle Meldungen Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren betroffen und das Alter der beiden Männer betrug 36 und 57 Jahre.

Laut Tagesspiegel vom 7. April 2021 teilte die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) nach Überprüfung dieser und weiterer Fälle in Europa mit, sie sehe einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Corona-Impfstoff von AstraZeneca und sehr selten auftretenden Thrombosen bei Geimpften.8 [8]

Die britische Arzneimittelbehörde MHRA hatte am 1. April 2021 erklärt, nach landesweit mehr als 18 Millionen Astrazeneca-Impfungen seien in Großbritannien bislang 30 Thrombose-Fälle bei Geimpften aufgetreten. Sieben der Betroffenen seien gestorben.

Trotzdem empfahl die Ema uneingeschränkt die weitere Anwendung des Corona-Impfstoffes von Astrazeneca. Der Nutzen des Wirkstoffes sei höher zu bewerten als die Risiken, erklärten Vertreter der europäischen Behörde am 5. April 2021 in Amsterdam.

Einen Tag später war von der Vorsitzenden des zuständigen Ema-Ausschusses für Risikobewertung, Sabine Strauss, zu erfahren, dass bis zum 4. April 2021 in der EU 169 Fälle von seltenen Gehirn-Thrombosen bei 34 Millionen verabreichten Impfdosen von Astrazeneca gemeldet worden waren.9 [9] Die gemeldeten Blutgerinnsel seien vor allem bei Frauen im Alter von unter 60 Jahren binnen zwei Wochen nach der ersten Impfung aufgetreten, so die Ema. Alter und Geschlecht hätten aber nicht als eindeutige Risikofaktoren ermittelt werden können.

Das Vakzin von Astrazeneca sei ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Pandemie, betonte Ema-Chefin Emer Cooke. Das Risiko, an Covid-19 zu sterben, sei deutlich höher als das Risiko, an den seltenen Nebenwirkungen zu sterben. Die EMA forderte zugleich zu umfassenden Abklärungen auf, sollten Geimpfte verdächtige Symptome zeigen. Die Gerinnsel seien ein sehr seltener Nebeneffekt des Astrazeneca-Impfstoffs, der in den Beipackzetteln des Medikaments vermerkt werden solle.

Nach dem vorübergehenden Stopp in verschiedenen EU-Staaten haben die meisten Länder ihre Impfungen mit dem Astrazeneca-Vakzin wieder aufgenommen, allerdings mit unterschiedlichen Regularien. So wird in Deutschland der Impfstoff in der Regel nur für die über 60-Jährigen empfohlen, in Frankreich für die über 55-Jährigen, in Finnland für die über 65-Jährigen und in Großbritannien sollen die unter 30-Jährigen den Astrazeneca-Impfstoff nicht mehr erhalten.

Korrelation bedeutet noch keine Kausalität

In einer für die Aufklärung solcher Fälle idealen Situation würde eine Nebenwirkung, das heißt eine UAW, in einem direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe des Impfstoffs stehen und mit einem bestimmten Labortest zu erkennen sein, konstatiert Ariana Remmel in einem Nature-Artikel, der sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt, warum seltene Nebenwirkungen so schwer zu erkennen sind.10 [10]

Als Beispiel führt sie an, dass man bei einer frühen Version des Polio-Vakzins, bei dem ein abgeschwächtes Virus als Impfstoff eingesetzt wurde, feststellen musste, dass bei einer geimpften Person bei 2,4 Millionen gegebenen Dosen des Impfstoffs eine Polio-Erkrankung als Nebenwirkung auftrat.

Der als Impfstoff verwendete abgeschwächte Virusstamm konnte in diesen Fällen aus dem Punktat der Rückenmarksflüssigkeit isoliert werden, sodass klar war, dass dieser die Erkrankung verursacht hatte. Aber diese Art von Tests gibt es bei den meisten UAW nicht, entweder, weil keine spezifischen Biomarker bekannt sind, auf die getestet werden könnte, oder weil solche Tests nicht praktikabel sind.

Zumindest anfangs sind diese Ereignisse – die Impfung und die möglicherweise aufgetretene Nebenwirkung – meist nur durch ihren zeitlichen Zusammenhang miteinander korreliert. Dies macht es besonders schwierig zu erkennen, ob das unerwünschte Ereignis tatsächlich durch den Impfstoff verursacht worden ist, vor allem, wenn die UAW erst Tage oder Wochen nach der Impfung selbst auftritt.

Zur weiteren Abklärung eines möglichen kausalen Zusammenhangs führen die Forscher als nächstes Studien durch, um die Rate der gemeldeten sehr selten auftretenden UAW in einer geimpften Population im Vergleich zu derjenigen zu bestimmen, die bei Menschen auftritt, die den Impfstoff nicht erhalten haben.

Aus der Sicht der Evidenzbasierten Medizin stehen dafür aber nur retrospektive Untersuchungsmethoden, die von minderer Beweiskraft sind, zur Verfügung. Darüber hinaus muss der krank machende Mechanismus, der Pathomechanismus, festgestellt werden, der die seltene Reaktion auslöst haben könnte.

Das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (Prac) der Ema hat die gemeldeten Gerinnungsstörungen untersucht und war in einer ersten Stellungnahme Anfang März zu dem Ergebnis gekommen, dass Thromboembolien in dieser Häufigkeit auch in der ungeimpften Bevölkerung zu erwarten seien. Deshalb sah sie in ihrer Stellungnahme vom 4. März zunächst keine Hinweise für einen kausalen Zusammenhang.

Das änderte sich dann jedoch mit der Zunahme der Zahl der gemeldeten Fälle von Gerinnungsstörungen, die Anfang April 2021 auf etwa ein bis zwei Fälle auf 100.000 geimpfte Personen in Europa angestiegen war.11 [11]

Pathomechanismus der Gerinnungsstörungen geklärt

Vor einigen Wochen haben nun Wissenschaftler der Universität Greifswald in Zusammenarbeit mit Forschergruppen aus Wien und Graz das Rätsel gelöst, warum es nach Injektionen des Impfstoffs von Astrazeneca zu Thrombosen, insbesondere der Sinusvenen des Gehirns, gekommen ist.12 [12] Sie fanden in allen von ihnen untersuchten Blutproben von Betroffenen, dass die Thrombozyten fehlaktiviert waren und eine Immunthrombozytopenie, das heißt eine durch Autoantikörper bedingte Verminderung der Zahl der Thrombozyten, festzustellen war.

Warum die Impfung bei manchen Patienten diese Fehlaktivierung auslöst, ist aber weiter unklar. Es könnte beispielsweise an den von Astrazeneca verwendeten Vektor-Viren liegen, aber auch an möglichen Zusätzen (Additiven), die bei der Herstellung des Impfstoffs verwendet wurden, oder am Fieber, das nach den Impfungen als reguläre Nebenwirkung häufig auftritt. Ob bei anderen Corona-Impfstoffen ein ähnliches Risiko besteht, ist ebenfalls unklar.

Nachdem also zwischen der Impfung und dem Auftreten der Gerinnungsstörungen ein zeitlicher Zusammenhang festgestellt und auch das Auftreten als überaus zufällig häufig eingeschätzt wurde, war die Aufklärung des krank machenden Mechanismus der entscheidende Schlussstein, der zur Anerkennung eines möglichen kausalen Zusammenhangs geführt hat.

Besonders hervorgehoben werden muss, dass diese wissenschaftliche Aufklärungsarbeit in einer erstaunlich kurzen Zeit von einigen Wochen geschehen ist, ganz im Gegensatz zu anderen schwerwiegenden Impfproblemen wie zum Beispiel dem möglichen Auftreten einer Narkolepsie bei Kindern, vor allem in Schweden, im Zusammenhang mit der Impfung gegen die Schweinegrippe im Jahre 2009.

Eine Narkolepsie ist eine sehr seltene schwerwiegende Schlafstörung auf zentralnervöser Basis, bei der die Betroffenen am helllichten Tag von Schlafattacken überfallen werden und die mit dem bei der Schweinegrippe-Impfung verwendeten Impfstoff Pandemrix in Zusammenhang gebracht wurde. Dieses Problem ist ein jahrzehntelanges nicht aufgeklärtes Phänomen gewesen.13 [13]

Sehr seltene schwere UAW nach Impfung mit mRNA-Vakzinen

Schwerwiegende UAW in Form von Gerinnungsstörungen sind beim Einsatz von mRNA-Impfstoffen bisher nicht bekannt geworden, dagegen aber schwere allergische Reaktionen in Form einer Anaphylaxie oder eines anaphylaktischen Schocks. Beim Start der Impfkampagne in Großbritannien Anfang Dezember 2020 war es gleich am ersten Tag zu zwei derartigen gravierenden Vorfällen bei Personen mit einer allergischen Vorgeschichte gekommen, die aber beherrscht werden konnten.14 [14]

Laut einem aktuellen Artikel im Deutschen Ärzteblatt zur Risikoabschätzung aus allergologischer Sicht15 [15] sind schwere allergische Reaktionen nach Impfungen sehr selten und werden nur ausnahmsweise durch den Impfstoff selbst hervorgerufen, sondern meist durch Inhaltsstoffe der Impflösung (Adjuvanzien, Antibiotika, Hühnerei, Trägerstoffe, Konservierungsstoffe).

Die Häufigkeit schwerer allergischer Sofortreaktionen nach Impfungen variiert nach untersuchter Population und verwendetem Impfstoff zwischen eins zu 100.000 und eins zu einer Million.

In den USA hat das National Institute of Allergy and Infectious Diseases mit einer klinischen Studie begonnen, um die Allergierisiken von Covid-19-Impfstoffen auf mRNA-Basis besser zu verstehen. Nach vorläufigen Erkenntnissen wurde für den mRNA-Impfstoff von Biontech-Pfizer eine Rate von fünf Fällen von schweren allergischen Reaktionen pro einer Million verabreichter Dosen festgestellt und für den von Moderna eine Rate von drei Fällen pro eine Million Dosen. Betroffen sind offenbar vor allem Frauen und Menschen mit Allergien in der Vorgeschichte.16 [16]

Insgesamt wurden vom Beginn der Impfkampagne am 27. Dezember 2020 bis zum 24. Januar 2021 laut Robert-Koch-Institut 1.783.118 Covid-19-Impfungen mit den Vakzinen von Biontech-Pfizer (Comirnaty) und Moderna durchgeführt.17 [17] In 38 Fällen traten potenziell allergische Symptome auf (21 Fälle pro einer Million Geimpfter), die als ursächlich zusammenhängend mit der Impfung bewertet wurden.

In neun von zehn Fällen der "echten" anaphylaktischen Reaktionen traten die Symptome innerhalb von 15 Minuten nach Vakzinierung auf. Keine Reaktion führte zum Tod. Interessanterweise waren alle betroffenen Personen weiblich und hatten in neun von zehn Fällen eine bekannte Arzneimittelunverträglichkeit bzw. in fünf von zehn Fällen ein früheres Ereignis einer Anaphylaxie durchgemacht. Auch die 43 Personen mit nicht-anaphylaktischen Allgemeinreaktionen waren überwiegend weiblich (n = 39), auch hier traten die Symptome meist innerhalb der ersten Stunde auf. Zusammenfassend heißt es in der Stellungnahme des PEI18 [18]:

Nach derzeitigen Erkenntnissen ist eine anaphylaktische Reaktion eine sehr seltene Nebenwirkung nach Impfung mit Comirnaty und dem Covid-19-Impfstoff von Moderna. Für den Fall einer anaphylaktischen Reaktion nach der Impfung sollte immer eine angemessene medizinische Überwachung und Versorgung in Impfzentren und bei den mobilen Teams zur Verfügung stehen. Laut Fachinformationen beider Impfstoffe stellt eine bekannte Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder gegen einen der sonstigen in der Fachinformation genannten Bestandteile eine Kontraindikation für die Impfung dar. Personen, die eine Anaphylaxie nach der ersten Impfdosis entwickelt haben, sollten keine zweite Dosis erhalten.

Zwar ist der Pathomechanismus der anaphylaktischen Reaktionen nach Comirnaty und nach dem Covid-19-Impfstoff von Moderna derzeit nicht bekannt. Als auslösende Agenzien für Hypersensitivitätsreaktionen kommen jedoch die im Impfstoff enthaltenen Lipidnanopartikel, und besonders das darin enthaltene Polyethylenglykol (PEG), in Betracht. Pathomechanistisch könnten potenziell präexistierende Anti-PEG-IgM und/oder -IgG (theoretisch denkbar auch IgE)-Antikörper bei Impflingen vorhanden sein (Sensibilisierung z.B. über Medikamente oder Kosmetika). Denkbar ist auch, dass die Reaktionen durch Lipidpartikel und Komplementaktivierung unspezifisch (nicht Immunglobulin vermittelt) ausgelöst werden.

Auf der Basis der derzeit verfügbaren Daten und in Anbetracht der Seltenheit der Reaktionen ist aus Sicht des Paul-Ehrlich-Instituts kein generell erhöhtes Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen für Personen mit bekannten Erkrankungen aus dem atopisch-allergischen Formenkreis (z. B. Asthma, Neurodermitis und allergischer Schnupfen mit Bindehautentzündung (Rhinokonjunktivitis) einschließlich Heuschnupfen und Hausstaubmilbenallergie) bei Impfung mit Comirnaty oder dem Covid-19-Impfstoff von Moderna abzuleiten.

Paul-Ehrlich-Institut vom 28. Januar 2021

Zusammenfassung

Das Auftreten der geschilderten UAW nach Gabe der Impfstoffe von Astrazeneca bzw. Biontech-Pfizer oder Moderna zeigen exemplarisch, wie schwierig die Beurteilung ist, ob ein sehr selten auftretendes medizinisches Impfproblem – hier eine ungewöhnliche schwerwiegende Gerinnungsstörung bzw. eine schwere allergische Reaktion nach einer Impfung –, eine durch den Impfstoff verursachte gravierende Nebenwirkung ist oder ob sie zufällig auftritt.

Nach der Feststellung eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Auftreten des Problems und der Impfung geht es im ersten Schritt um die Klärung von dessen Häufigkeit bei geimpften Personen im Vergleich zu nicht Geimpften. Wenn das Auftreten des Problems bei der geimpften Population als überzufällig häufig eingeschätzt wird, muss in einem zweiten Schritt die Aufklärung des Pathomechanismus erfolgen, der dann für die Anerkennung eines möglichen kausalen Zusammenhangs entscheidend ist.

Schlussfolgerungen:

  1. Selten auftretende schwerwiegende venöse Blutgerinnungsstörungen in den ersten zwei Wochen nach Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin haben in den letzten Wochen zu einer Verunsicherung beim Umgang mit diesem Impfstoff bei vielen Impfwilligen geführt.
  2. Der grundlegende Pathomechanismus dieser Gerinnungsstörung konnte von wissenschaftlicher Seite schnell geklärt werden. Die Thrombenbildung in verschiedenen venösen Gefäßen geht einher mit einer Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen), die durch im Labor nachweisbare Autoantikörper aktiviert werden, sich verklumpen und zu einer Thrombose führen. Die Ursache dieser Störung ist noch unbekannt.
  3. Da bisher von dieser schweren UAW fast ausschließlich Personen unter 60 Jahren vier bis 16 Tage nach der Erstimpfung betroffen sind, hat die Ständige Impfkommission in Deutschland am 30. März 2021 beschlossen, den Astrazeneca-Impfstoff in der Regel nur noch für über 60-Jährigen zu empfehlen, was aus medizinischer Sicht nachzuvollziehen ist, da es alternative Impfstoffe gibt.
  4. Weiterhin wird aufgrund dieser Befunde empfohlen, dass mit Astrazeneca-Geimpfte darauf achten sollten, ob sie ab dem vierten Tag nach der Impfung schwere Kopfschmerzen bekommen oder ob plötzlich ein Bein dicker wird. Diese Art der Kopfschmerzen können Anzeichen einer möglichen Hirnvenenthrombose sein, ein dickeres Bein oder ein muskelkaterähnlicher Schmerz in der Wade würden dagegen auf eine Beinvenenthrombose hindeuten. In beiden Fällen sollten die Geimpften umgehend einen Arzt aufsuchen. Für diese Komplikationen gibt es inzwischen eine aussichtsreiche klinische Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen.
  5. Schwere allergische Reaktionen auf Impfstoffe sind sehr selten. Nach Impfung mit den neuen mRNA-basierten Covid-Impfstoffen sind einzelne schwere Reaktionen weltweit aufgetreten. Alle bisher beschriebenen Anaphylaxien waren medikamentös beherrschbar, es ist bisher kein Todesfall bekannt geworden. Polyethylenglykol (PEG) wird als möglicher Auslöser diskutiert.
  6. Bei Patienten mit allergischen Erkrankungen ist vor einer Covid-Impfung eine standardisierte Risikoabschätzung durch den Hausarzt erforderlich.
  7. Bei Patienten mit früheren schweren allergischen Reaktionen unklarer Genese bzw. im Kontext einer Medikamentengabe sollte eine allergologische Abklärung erwogen werden.
  8. Kontraindiziert ist die Covid-Impfung bei Patienten mit früheren schweren allergischen Reaktionen auf einen oder mehrere Inhaltsstoffe der Vakzine.

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit.

E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de


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