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Was die Querdenker eint

Querdenken-Demo Anfang Oktober 2020 in Berlin. Bild: Kai Schwerdt, CC BY-NC 2.0

Überlegungen zur außerparlamentarischen Opposition, die derzeit im Angebot ist

Der Präsident des Verfassungsschutzes Thomas Haldenwang hat sich Gedanken über eine Zukunft der radikaleren Segmente der Querdenkerbewegung gemacht [1]: Er "hält es für denkbar, dass staatsfeindliche Extremisten, die derzeit gegen die Coronamaßnahmen mobil machen, sich nach dem Ende der Pandemie ein neues Thema suchten – dies könnte die Klimapolitik sein. Die Pandemie sei ‚nur der Aufhänger‘ für diese radikalisierte Szene. ‚Ob das jetzt Corona ist oder die Flüchtlingspolitik.‘"

Beim vorliegenden Text handelt es sich um die Fortsetzung zweier Telepolis-Artikel des Autors zur "Freiheit, die gemeint ist [2]" und den Nachträgen dazu [3].

Für seinen Job braucht Haldenwang keine Theorien. Er sieht vielmehr bürokratisch über alle Ursachen von Protest hinweg, macht sie unerheblich und nimmt ihn als ein potenzielles Ordnungsproblem, das zu observieren ist.

Es wäre also fehl am Platz, von ihm Auskünfte darüber zu verlangen, ob Teile der Querdenker "nur nach Aufhängern" suchen, warum die austauschbar sein sollen, wieso sich andere Teile daran anhängen etc. Deshalb der Versuch einer Antwort auf die Frage, was diese neue Protestbewegung ausmacht und verbindet.

Zweckbündnis

Aus der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015/16 ist sie nicht hervorgegangen, gleichwohl sind Migrationsgegner in ihr präsent. Sie spielen aber im linken esoterischen Abschnitt und in der bürgerbewegten Mitte des Spektrums der Pandemie-Proteste eine geringere Rolle als an seinem rechten Rand.

Was die Bewegten zusammengebracht hat, ist ihre Lesart der offiziellen Pandemie-Politik. Bei der geht es der Sache nach um den Widerspruch, der den Staat umtreibt, wenn er der Ökonomie zu ihrem Nutzen schaden muss, indem er zeitweise der Volksgesundheit den Vorrang einräumt.

Die Maßgabe dafür ist ein funktionierendes Gesundheitswesen, auf das ein moderner Kapitalismus angewiesen ist. Stockungen bei Arbeit und Erwerb, die dafür in Kauf zu nehmen sind, haben in dieser Wirtschaftsweise zur Folge, dass die vielen Leute in Existenznöte geraten, deren Einkommen über das Monatsende nicht hinausreichen.

Weitere Einschränkungen der Bürger, damit die Beschränkung des Geschäftslebens in Grenzen gehalten werden kann, kommen hinzu. Dies führen Querdenker und andere aber nicht auf dieses System zurück, sondern deuten die Lage als eine Missachtung, die der Staat ihrem Recht auf Freiheit, Freizeit und Ansteckung entgegenbringt.

Sie sehen darin eine politische Agenda, die mit Gesundheit selbstredend nichts oder wenig zu tun habe. Darüber werden sich Esoteriker sogar mit Identitären einig, und die Bewegten verständigen sich auf Zweckbündnisse, die ein Auge nach rechts oder links zudrücken.

Das Freiheitsverständnis der Querdenker

Trotz ein paar rauer und hässlicher Sitten in ihren Reihen betonen die Querdenker, dass sie der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft entstammen – und dies zu Recht. Die Freiheit, die sie meinen und die sie verbindet, ist der Widerhall dessen, was der demokratische Rechtsstaat unter diesem Titel proklamiert und ins Werk setzt. Lauter Konkurrenzbürger treiben sich unter seiner Obhut herum, deren gegensätzliche Interessen er im Namen dieses hohen Werts als Rechte bewilligt.

Folglich nehmen auch demokratische Untertanen für ihre widerstreitenden Anliegen den Titel in Anspruch. Kein Wunder, dass Impfgegner glauben, mit dem Ruf "Mein Körper, meine Freiheit, mein Recht!", der kein Virus beeindruckt, alles Nötige gesagt zu haben.

Neben der falschen Sicherheit, in der sie sich damit wiegen, übersehen sie allerdings, dass der Staat ihnen die private Sorge um ihre Gesundheit normalerweise zwar gerne zuschiebt (und dies für Normalverdiener, denen dazu die Mittel fehlen, mit einer Zwangsversicherung bezahlbar macht).

Im Fall einer Epidemie aber, wo die Infizierten selber zu einer Krankheitsursache werden, überlässt er die Gesundheit nicht dem persönlichen Ermessen, sondern verpflichtet es auf seine Prioritäten. Daran wird im Prinzip ersichtlich, was die Querdenker nicht oder ganz anders sehen wollen, wenn sie die Freiheit für ein naturgegebenes, den Staat bindendes Recht halten.

Von wegen: Es ist die ideologische Fassung seiner Konzessionen, mit denen er die kapitalistische Gesellschaft beherrscht und verwaltet.

Herrschaftskritik

Auch die Opposition, die die Corona-Proteste entfalten, ging bei den demokratischen Verkehrsformen in die Lehre, mit dem sie sich anlegen. Deutsche Bürger sind es, wie andere Völkerschaften auch, gewohnt und werden darin angeleitet, sich die diversen Unzufriedenheiten, an denen im Kapitalismus kein Mangel herrscht, ziemlich eintönig zurechtzulegen.

Sie deuten sie als politisches Versagen oder Vergehen einer Staatsführung gegenüber dem bürgerlichen "Naturrecht" auf eine gute Herrschaft. Anleitung findet diese legitime Regierungskritik durch oppositionelle Politiker und Parteien, die mit der Vereinnahmung von Unzufriedenheit einen Führungswechsel bewerkstelligen wollen.

In diesem Bemühen werden auch Inhalte und Forderungen hervorgebracht, die sich die staatsbürgerliche Kritik in ihrem Verlangen nach einer besseren Regierung gegebenenfalls einleuchten lässt. Das alternative Versprechen, mehr Demokratie zu wagen und mehr für Umwelt, sozialen Ausgleich oder die Rechte der Nation zu tun als die amtierende Mannschaft, ist deren Ablösung per Stimmzettel oft zuträglich.

Dies, wenigstens aber der Druck auf die Regierung zum Einlenken, erscheint gelegentlich so dringlich, dass sich Teile des Wahlvolks als Protestbewegung formieren. Die Rufe der Gelbwesten "Macron Démission!", die französische Impfgegner erneut skandieren [4] und deren kanadische Übersetzung bei impfunwilligen Lkw-Fahrern "Trudeau got 2 go! [5]" heißt, drücken dieses Prinzip aus. Die inzwischen historische Parole "Merkel muss weg!" soll nach ihrer deutschen Besonderheit hin etwas näher betrachtet werden.

Sie steht für eine Opposition, die zunächst von rechts kam, aber auch auf linken Wegen erreicht werden kann, und die sich von keiner der etablierten Parlamentsparteien mehr repräsentiert sieht. Das kam ohne deren Beiträge nicht zustande.

Die Merkel-Kabinette aus Christ- und Sozialdemokraten haben schon in ihrer Zusammensetzung gezeigt, dass das, was für Deutschland wichtig ist, was "wir schaffen müssen", keine Alternative kennt. Zuvor schon hatte die Koalition unter Schröder bewiesen, dass rote und grüne Parteien, Stichwort Hartz-Gesetze, genauso regieren können wie schwarze.

Auch die grüne Opposition zählte sich seither zu den Anwälten der nationalen "Sachzwänge" und wurde dazu gezählt. Selbst die Linkspartei ringt unverdrossen um diese Anerkennung. Eine politisch radikalisierte Unzufriedenheit bekommt also etliche Anhaltspunkte für die Deutung, ihr Recht auf bessere Herrscher werde ihr durch diesen parlamentarischen Gleichklang seit Jahr und Tag verwehrt.

So nahm eben eine neue außerparlamentarische Opposition ihren Lauf, bei der ein paar rechte Alternativvorschläge für Deutschland mehr Gehör finden.

Zu der ausgebliebenen Beheimatung dieser Sorte von Protest hat die Corona-Politik noch einen spezifischen Beitrag geleistet und damit die Empörung über die "Alternativlosigkeit" befördert. Denn Leute, die die Besonderheiten der Pandemie und ihrer Abwehr bis dahin verpassen, dass sie eine Naturkatastrophe nur als Regierungsversagen wahrnehmen, bekommen auch die Seite der staatlichen Maßnahmen in den falschen Hals, die sich der zwingenden Logik der Virusbekämpfung verdankt.

In der darauf bezogenen Einmütigkeit der etablierten Parteien bei der Gesetzgebung, demonstrativ auch im Wahlkampf – und jetzt bei der Impfdebatte – finden sie den endgültigen Beweis für ihren trostlosen Befund: Ein Kartell von "Systemparteien", das auch nach der Wahl in neuer Zusammensetzung der alten Agenda folge, sei der Grund aller Übel und müsse politisch überwunden werden.

Neue "Aufhänger" der Querdenker

Es soll hier nicht ausgeführt werden, wie sich die Überzeugtheit von einem Manöver der Mächtigen auch die passenden Theorien zulegt.1 [6]

Vielleicht nur dieser Hinweis an die naserümpfenden Kritiker von "Verschwörungsnarrativen": Dass Merkel eine "Corona-Diktatur" errichtet haben soll, halten sie mit Recht für absurd. Dass aber der Kollege Xi Jinping genau das tut, nämlich unter dem Vorwand einer Virusbekämpfung die Parteimacht zementiert, steht als seriöse Überlegung in der Zeitung.2 [7]

Was den Wechsel der Protestthemen betrifft, so herrscht hier keine Willkür in der Suche nach neuen "Aufhängern" (s.o.). Wenn, dann ist die beschriebene Sorte Herrschaftskritik dafür gut. Im Fall des Übergangs vom Thema Migration auf die Pandemie ging das ungefähr so: Der Sache nach begleitete die Merkel’sche "Willkommenskultur" den Versuch, die europäische Flüchtlingspolitik unter deutsche Regie zu stellen und mit der Grenzöffnung einen entsprechenden Handlungsbedarf hervorzubringen.

Gegner dieser "Kultur" bemängelten Gutmenschentum auf Steuerzahlerkosten. Oder sahen darin das Gebot "Sozial geht nur national!" missachtet, weil sie die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft mit einem patriotischen Gemeinschaftswerk verwechseln und sich durch die Abwehr und Schlechterstellung von "Fremden" schon gut bedient sehen.

Der Protest beruhigte sich, ohne belehrt worden zu sein, als mit dem mangelnden Erfolg des deutschen Ordnungsanspruchs auch sein humanitärer Seitenarm versiegte und die Elendsmigration wieder bleiben kann, wo sie herkommt.

Wer von hier aus den Übergang auf die Corona-Politik gemacht hat und sie als "Plandemie" bezeichnet, gibt zu erkennen, dass er ihren Grund schon wieder bei einer schlechten Herrschaft angesiedelt sieht, die dem Volk Schaden zufügt. Gleiches auch dann, wenn die Kritik der Energie- und Klimapolitik auf den Vorwurf heruntergebracht wird, der behauptete Klimawandel sei entweder eine Übertreibung oder die Deutschen würden schon wieder, wie bei den Flüchtlingen, für ein Problem abgezockt, das andere verursachen.

Der Klartext der mitregierenden Grünen z.B., die mit postfossiler deutscher Spitzentechnik Zukunftsmärkte erobern und die Verbraucherpreise daran beteiligen wollen, bleibt dieser Sicht verschlossen.

Ob Teile der Querdenker, wie der Verfassungsschutz befürchtet, diesen Schritt gehen oder sich dazu anstiften lassen, wird man sehen. Aktivisten und Gefolge gibt es in dieser Bewegung allemal, für dieses Verhältnis ist aber die inhaltliche Übereinstimmung maßgeblich. Die Behauptung, Corona sei nur ein "Aufhänger", übergeht nicht nur das.

Sie bestreitet dieser Opposition den politischen Charakter und mutmaßt entweder einen leeren destruktiven Vorsatz oder erklärt sie zum Indiz einer "Anomie" und "Bindungslosigkeit", die sich die falschen Führer sucht. Diese Übergänge in die Psychoanalyse der Bewegung wären allerdings ein neues Thema.


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https://www.heise.de/-6351309

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_91486234/verfassungsschutz-warnt-vor-staatsfeinden-pandemie-ist-nur-ein-aufhaenger-.html
[2] https://heise.de/-6302651
[3] https://heise.de/-6318515
[4] https://www.luzernerzeitung.ch/newsticker/international/impf-streit-traenengas-gegen-impfgegner-bei-protesten-in-frankreich-ld.2163978
[5] https://www.faz.net/-gq5-akspl
[6] https://www.heise.de/tp/features/Was-die-Querdenker-eint-6351309.html?view=fussnoten#f_1
[7] https://www.heise.de/tp/features/Was-die-Querdenker-eint-6351309.html?view=fussnoten#f_2