Was eine Metalband mit dem Fachkräftemangel zu tun hat
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Straight from hell: Die Musik-Legende Schmier und der Fachkräftemangel in Deutschland. Es ist ja nicht so, dass keine Arbeitskräfte da wären.
Nicht, dass es gerade nicht viele andere wichtige Dinge gäbe – aber sagt Ihnen der Name SCHMIER etwas? Es ist das Pseudonym von Marcel Schirmer, einem Musiker, der 1966 im süd-baden-württembergischen Landkreis Lörrach das Licht der Welt erblickte. Der Mann wollte eigentlich zuerst Konditor werden.
Aber dann kam alles ganz anders, und es wurde aus ihm der Frontman von DESTRUCTION, einer der drei erfolgreichsten Thrash-Metal-Bands Deutschlands. Die feiert derzeit ihr 40-jähriges Bestehen und tourt durch die Lande, erst durch Europa und dann durch Lateinamerika.
Dort hat diese Musikrichtung einen viel anerkannteren Stand als hierzulande – und eingedenk dessen stellt sich die Frage: Wie weit müssen hochqualifizierte Fachkräfte von Deutschland weg sein, um ihre verdiente Anerkennung zu bekommen?
Haben klassische Ausbildungsberufe überhaupt noch Chancen, wenn sogar im Einzugsbereich der Schwarzwälder Kirschtorte die Konditoren den Betrieben schreiend davonlaufen?
Der Rückschluss von einem Einzelfall auf größere Zusammenhänge mag verwegen wirken, aber er zeigt: Jenseits der Weiterbildungsmaßnahmen des Arbeitsamtes passieren spannende Sachen, sogar im Schwarzwald.
Keine Fachkräfte mehr
An den Grenzen zur Schweiz ist sowieso vieles wie im südamerikanischen Urwald und sogar die Zeit ist irgendwie anders. Einstein soll auf die Frage, wo er gerne sterben würde, geantwortet haben: in der Schweiz. Weil dort alles erst zwanzig Jahre später passieren würde.
Überall anders aber ist die Welt rasant und digital und fachkraftarm geworden. Obwohl es so viele Menschen auf der Welt gibt – und es werden jeden Tag so viele mehr, dass wir gar nicht mehr wissen, wohin damit – haben wir keine Fachkräfte mehr.
Es ist nicht so, dass wir keine Ausbildungsmöglichkeiten hätten. Die Arbeitsämter investieren riesige Mengen in Weiterbildungen, die für die moderne Arbeitswelt qualifizieren. Angesichts des einschlägigen Angebots ist davon auszugehen, dass wir in Zukunft nichts nötiger haben werden als stromlinig genormte Software-Entwickler, Lager-Logistiker, Marketing-Manager und New-Work-Facilitators, was immer das ist.
Solche Fortbildungsangebote sind, was man SCHMIER auf dem Arbeitsamt offerieren würde. Denn diese Berufe sind nicht nur derzeit maximal gefragt. Sondern er hätte für Musik keine einschlägige Ausbildung vorzuweisen. Eine Zusatzqualifikation als Konditormeister wäre eventuell eine Option. Wenn da nicht sein Alter wäre.
Wo Reife noch zählt
Altersdiskriminierung ist überall ein Thema. Aber nicht in den Bereichen, in denen Arbeitserfahrung und Reife noch zählen: so wie beispielsweise im Weinhandel oder eben im Thrash-Metal-Business. Nicht umsonst stand beispielsweise der Großvater-Anteil der mittlerweile aufgelösten Kult-Band Slayer im direkten Verhältnis zur Intensität ihrer Auftritte.
Angesichts dessen und weil Kulturangebote natürlich viel systemrelevanter sind, als es zu Corona-Zeiten behauptet wurde, ist es umso bedauerlicher, dass einschlägige Stellen für Musik-Ikonen rar gesät sind.
Darum gibt es in den Berufsinformationszentren auch keine entsprechenden Berufsprofil-Ordner unter den Buchstaben M oder I. Langer Rede, kurzer Sinn: Es ist ja nicht so, dass keine Arbeitskräfte da wären, aber viele lässt man trotz Arbeitserfahrung nicht ran.
Ausnahmen von dieser Regel stehen im Arbeitsalltag dann vor dem nächsten Problem. Abgesehen von dieser einen Jobvariante als Musiklegende mag es in den arbeitsamtsaffinen Segmenten zwar vergleichsweise einfach sein, eine Anstellung zu finden. Denn Bäckereien und Softwarefirmen gibt es viele.
Aber dieser Vorteil hat den Nachteil, dass viele Arbeitsverträge dann den Charme des derzeitigen Tournee-Plakats von DESTRUCTION haben: Das zeigt ein durchaus unsympathisches, mit einem blutigen Fleischerhaken bestücktes Protobeispiel für Adipositas und Aggressionsprobleme.
Nicht umsonst schnellen in den Firmen die Zahlen der Krankheitsmeldungen aufgrund psychischer Probleme derzeit durch die Decke.
Wem Metal hilft
Laut einer Studie der Böckler-Stiftung steigt dieser Wert derzeit um das Fünffache innerhalb einer Generation. Würde jemand unseren heimischen Shoutern mal zuhören, wäre ein mutmaßlicher Grund dafür schnell gefunden.
Der Mangel an Menschlichkeit ist zum Beispiel das Thema einer 2022 erschienenen Single von SCHMIER und seinem Kollegen Damir Escin. Darin wird besungen, was Arbeitgeber heutzutage genauso beklagen wie ihre Arbeitnehmer und Arbeitslose auch:
- "So much foolishness and Grief" (so viel Dummheit und Kummer),
- "The Curse of Urbanity" (der Fluch der Urbanität) und
- "No cohesion at all" (überhaupt kein Zusammenhalt)!
Bei einem solchen Arbeitsalltag brennen viele aus und werden lieber krank, als auf die Arbeit zu gehen. Wer in solchen Augenblicken einen Soundtrack zu seiner Verzweiflung braucht, ist mit Metal bestens bedient. Aber wer für solche Situationen verantwortlich ist, genauso.
Denn es konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass Metal hochwahrscheinlich auf aggressive und dominante Charakterprofile durchaus angenehme Wirkung hat, wenn man von Tieren auf Menschen folgern darf.
Metal macht glücklich
Mozart macht nämlich Kühe glücklich, aber Haie nicht. Dafür macht Metal Kühe kirre, aber Haie glücklich. Es heißt, der Sound erinnert sie an Beutetiere im Todeskampf. Unter dem Strich ist die Lage im Haifischbecken Arbeitsmarkt also für alle Beteiligten angespannt, und die Entwicklung der Altersstruktur und die Zuwanderung unzureichend ausgebildeter Menschen macht die Lage nicht unbedingt rosiger.
Die Statistiken dazu sind allesamt beunruhigend. Aber Marx schrieb seinerzeit, dass eine Zuspitzung der Verhältnisse zur Lösung der Probleme führt. Was für ein Glück. Tröstlich ist: Wir wissen nie, was wir nicht wissen – und das könnte ausnahmsweise ja durchaus einmal auch etwas Positives sein. Bleiben wir beim Beispiel SCHMIER.
So wie Thrash-Metal im Allgemeinen, ist auch er im Besondern nicht jedem geläufig. Wer ihn bisher nicht kannte, kannte an schwarz gewandeten Sängern wahrscheinlich nur Ozzy Osbourne aus dem Fernsehen. Das Verhältnis von offiziellen Informationen aus dieser Quelle und im Mainstream fast unbekannten Möglichkeiten sein Geld zu verdienen, entspricht dem eines Ozzy im Vergleich zu einem SCHMIER.
Der bleibt auf den Straßen meist unerkannt. So manche Mütter drücken in Sichtweite seiner fast flächendeckend tätowierten und fast zwei Meter großen Erscheinung ihre Kinder fester an sich und Streetworker legen ihr Pausenbrot zur Seite.
Immer viel mehr Möglichkeiten, als man meint
Das würde einem Ozzy Osbourne nicht passieren, nicht einmal in Lörrach – und das ist der entscheidende Unterschied und zeigt nicht etwa (nur), dass Größe doch wichtig ist. Sondern es verdeutlicht, wie sehr man sich manche Unkenrufe besser ans Bein schmieren sollte, weil es irgendwo da draußen immer viel mehr Möglichkeiten gibt, als man meint. Nicht nur mehr Menschen, Möglichkeiten und Musikrichtungen. Sondern auch schillernde Seitenaspekte.
Zum Beispiel wäre ein Vergleich der Lebenspartnerinnen von Ozzy und SCHMIER zwar geschmacklos, aber sinnig. Lassen wir an dieser Stelle Sharon Osbourne also außen vor und schließen mit SCHMIERS Freundin Jennifer Gruber von der Band Fireborn, ebenfalls aus Lörrach.
Würden nämlich die arbeitslosen Philosophen unseres Landes derzeit nicht alle zu SAP-Spezialisten ausgebildet, dann hätte vielleicht einer davon schon darüber geschrieben, wie sehr diese Verbindung zweier Menschen und Bandnamen an ein berühmtes Werk der philosophischen Erhabenheitstheorie erinnert, nämlich Paradise Lost aus der Feder von John Milton (1608-1674).
Die Kurzfassung davon lautet: Ein Ist-Zustand ist doof und mündet aufgrund eines krassen Engels, known as SATAN, dann in einem destruktiven Chaos und geht schlussendlich in ein reinigendes Feuer über.
Diese Assoziation an Milton im Speziellen und an Thrash-Metal per se hilft bei der Jobsuche zwar niemandem. Aber sie ist ein poetisches Sinnbild der Hoffnung auf eine Zukunft, in der das einstige Jobparadies Deutschland die chaotische Umstellung auf Digitalisierung und Weltuntergangszenarien vielleicht irgendwann hinter sich und das Buzzword Fachkräftemangel ausgedient hat.
DESTRUCTION ist mittlerweile auch wieder zurück und tourt hier weiter.