Was es heißt: "Dieser Raum ist öffentlich"

Sicherheit und Ordnung in der Stadt: Das Gefühl einer existenziellen und zugleich nicht handhabbaren Verunsicherung ist neu. Das verändert auch die Städte. Wie sieht es mit unseren Ansprüchen aus?

Es ist bemerkenswert, welch große Bedeutung die Philosophin Hannah Arendt dem öffentlichen Raum zuwies, als "eines Erscheinungsraumes, in dem die Menschen mit Taten und Worten, zum Guten oder Schlechten, zeigen können, wer sie sind und was sie tun können", wie sie es im Vorwort zu Menschen in finsteren Zeiten (1968) formulierte.

"Dieser Raum ist öffentlich"

Wenn man dem nachgehen will, muss man zunächst die Frage klären, was der Unterschied zwischen öffentlichem Raum und einer Brache, einem terrain vague ist. Die Verschiedenheit liegt darin, dass ersterer gesellschaftspolitisch als res publica bestimmt wird.

Es ist der Definitionsgrad, eben der Beschluss zu sagen: Dieser Raum ist öffentlich. Das setzt von Anfang an den Willen und die Bereitschaft voraus, angesichts der hier auftretenden unterschiedlichen Ansprüche, auszuhandeln, wer diesen Raum wie nutzen kann.

Der öffentliche Raum als feindliches Gebiet

Vor drei Jahren versuchte Samuel Schirmbeck, der lange Zeit als ARD-Korrespondent in Nordafrika gearbeitet hat, psychologisch zu erklären, warum an den seinerzeitigen Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt oft junge Muslime beteiligt waren: Sie betrachten den öffentlichen Raum als feindliches Gebiet, das die Ungläubigen beherrschen.

Zwar tun sie all die verbotenen Dinge, die etwa auf dem Opernplatz geschehen – küssen, flirten, Bier trinken – gern selbst, aber doch lieber nur heimlich, denn dies könnte sonst, wie bei den Westlern, zu einer Loslösung von Gott führen.

Und das Auftauchen der Polizei macht die Sache nicht besser, weil sie sich oft als Mitglieder der "ACAB"-Gemeinde (All Cops Are Bastards) fühlen. Gerade das in einem westlichen Kultursinn "Öffentliche" ist es, was ihnen an der res publica nicht behagt.

Die persönliche Freiheit und Verhandlungsbereitschaft

Der öffentliche Raum mit seinen geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen ist heute vor allem dazu da, die persönliche Freiheit zur Schau zu stellen. Altmodische Benimmregeln gelten nicht mehr, Schilder mit der Aufschrift "Spucken verboten", die früher wegen ihres absurden Inhalts die Leute zum Lachen brachten, sind längst verschwunden.

Heute spucken viele auf den Boden, markieren den Raum damit, auch mit der Art, wie sie sich breitmachen, mit ihren Stimmen, Gesten und Verhaltensformen. Jeder kämpft um seine Rechte und pfeift auf die der anderen. Entsprechend niedrig ist die Verhandlungsbereitschaft.

Worauf es beim geglückten Aushandeln ankommt

Doch öffentlicher Raum glückt nur dann, wenn das Aushandeln so passiert, dass alle Beteiligten zugunsten eines Gesamtinteresses einen Schritt von ihrem Eigeninteresse zurücktreten. Das kann auch mit Gleichgültigkeit und Blasiertheit gelingen (wie Georg Simmel das Verhalten des gelernten Städters beschrieben hat).

Man hält sich mit urbaner Indifferenz die Unannehmlichkeiten vom Leib, die mit der Nähe des Fremden verbunden sind. Die Fremdheit bleibt erhalten, aber die Möglichkeit von Konflikten wird verringert, indem sie aus der Wahrnehmung ausgeklammert wird.

Ähnlich der Markt: Wenn er funktionieren soll, muss er gewissermaßen farbenblind sein. Wer über Geld, Qualifikation oder Waren verfügt, der kann in das ökonomische System integriert werden, unabhängig von seiner Hautfarbe oder Religion. Stadt und Markt sind offene Systeme, die nicht die ganze Person, sondern immer nur einen kleinen Ausschnitt in Anspruch nehmen.

Die folgerichtige Überwachung

Doch mit der Offenheit ist es so eine Sache. Uniformierte Wachdienste gehören inzwischen ins gewohnte Bild unserer Stadt, und es scheint, dass mit ihnen die (Shopping-)Mall bereits Einzug in den öffentlichen Raum gehalten hat.

Sie werden auf Initiative besorgter Geschäftsinhaber, die sich zu AGs zusammengeschlossen haben, als Garanten ihrer eigenen Sicherheit und der ihrer Kundschaft verpflichtet (oder vielmehr dazu, ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen).

Die Notwendigkeit des Einsatzes formaler Instanzen zur Überwachung des öffentlichen Raumes scheint folgerichtig, wenn man sich an Richard Sennett und seine Thesen erinnert: Der Einzug des Privaten in den öffentlichen Raum und mit ihm die Selbstbezogenheit der Individuen führt auch zu einem Verkümmern informeller Regelmechanismen.

Der undefinierte, offene Raum als Bedrohung

Sennett sieht heute eine gewisse Dichotomie in unserer Lebenswelt: Hier die gemütliche Vorstellung von Wohnen – eigenes Mobiliar und möglichst gut versiegelte vier Wände. Dort die sogenannte Öffentlichkeit: porös, konfliktbeladen, meist chaotisch.

Während sich die Stadtplanung des letzten Jahrhunderts fast vollständig auf die Herstellung und Befriedigung bestimmter Bedürfnisse konzentriert habe, würde der undefinierte, offene Raum zusehends als Bedrohung wahrgenommen – auch von der Bevölkerung.

Tatsächlich scheinen die Städte ja längst den allgemeinen Verlust an existenziellen Sicherheiten und Solidarität widerzuspiegeln, der einmal als Verflüssigung der Gesellschaft bezeichnet wurde: Jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. Da er jedoch globalen und abstrakten Kräften ausgesetzt ist, wird seine Existenz von Risiken bedroht, die er selbst nicht kontrollieren kann.

Dieses Gefühl einer existenziellen und zugleich nicht handhabbaren Verunsicherung ist neu. Es breitet sich aus, löst Loyalitäten auf und lässt jeden vereinzelt zurück. Das verändert auch die Städte.

Eine Antwort auf diesen Transformationsprozess ist das verstärkte Bemühen um persönliche Sicherheit, welches zu einem Ersatzziel geworden ist (deswegen sind ja auch SUVs so populär). Wo die Existenz des Einzelnen nicht mehr sicher ist, sollen es wenigstens die Häuser und Straßen sein.