Was in der Abschlusserklärung des Europäischen Rates heute stehen wird – hier erfahren Sie es
EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstag in Brüssel. Bild: European Union
Interner Entwurf: EU geht bei Ukraine und Moldau auf Konfrontationskurs mit Russland. Mehr Militärhilfe für Kiew. Und es geht um die Zeit nach dem Ukraine-Krieg.
Trotz des Widerstands von Ungarn hat die Europäische Union entschieden, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Ratspräsident Charles Michel betonte, dass dies ein bedeutendes Signal der Hoffnung sowohl für die Ukrainer als auch für den gesamten europäischen Kontinent sei.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte zuvor mit einer Blockade gedroht, nahm jedoch nicht von seinem Einspruchsrecht Gebrauch – er blieb der entsprechenden Sitzung fern.
Irlands Premier Leo Varadkar lobte Orban für seinen Respekt, während der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo die Entscheidung als klare Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin interpretierte: "Wir Europäer werden die Ukraine nicht fallenlassen."
Beitrittsverhandlungen auch mit Moldau
Der Europäische Rat beschloss am Donnerstagabend auch Beitrittsverhandlungen mit Moldau [1].
Michel äußerte Zuversicht, dass bald auch ein Konsens über die Finanzhilfe der EU für die Ukraine gefunden werden könne, das zweite wichtige Thema auf der Gipfel-Agenda.
Zum Auftakt des Gipfels hatte Orban noch mit einem möglichen Scheitern gedroht, doch nach der Entscheidung sprach Michel von einem "historischen Moment".
Die Beitrittsverhandlungen für die EU können sich über Jahre hinziehen, was vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als wichtiger Schritt begrüßt wurde. Er bezeichnete die Entscheidung als "Sieg für die Ukraine. Ein Sieg für ganz Europa."
Zwölftes Sanktionspaket der EU gegen Russland
In einem weiteren Schritt gegen Russland verabschiedeten die EU-Staats- und Regierungschefs ein zwölftes Sanktionspaket. Dieses beinhaltet Importbeschränkungen für Diamanten, die vor allem Belgien mit seinem Diamanten-Handelsplatz Antwerpen betreffen.
Die belgische Regierung hatte sich lange gegen das Embargo gesträubt. Das Paket umfasst auch Maßnahmen zur besseren Durchsetzung des Preisdeckels für russische Ölexporte und einen Importstopp für Güter wie Autogas (LPG), mit denen Russland seine Staatsfinanzen inmitten von Krieg und Sanktionen saniert.
Zudem werden weitere Personen und Organisationen in die Sanktionsliste aufgenommen, darunter Mitglieder der russischen Streitkräfte und Verantwortliche aus dem IT-Bereich.
Geleaktes Abschlussdokument: Das sind die zentralen Punkte
In einem Entwurf der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates [2], die Telepolis in Gänze vorab vorlagen, nimmt die Kritik an dem russischen Angriff auf die Ukraine eine wichtige Rolle ein. Ein Teil dieses Dokumentes stellte der Europäische Rat am Donnerstagabend bereits online, über den übrigen Text werden die Beratungen fortgeführt.
Auch aus dem Gesamtdokument geht hervor, dass die EU ihre Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine bekräftigt. Der Europäische Rat betont, dass die EU weiterhin politische, finanzielle, wirtschaftliche, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung leisten wird. Über die Höhe dieser Hilfe geben die Schlussfolgerungen keine Auskunft.
Nach einer unlängst veröffentlichten Studie könnte ein EU-Beitritt der Ukraine dazu führen, dass bis zu 17 Prozent des gemeinsamen Haushalts der Europäischen Union in das Land fließen.
Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) schätzen die finanziellen Auswirkungen einer Vollmitgliedschaft der Ukraine in der EU auf das aktuelle mehrjährige Budget der EU auf einen Betrag zwischen 130 und 190 Milliarden Euro. Auch Telepolis hatte über die Studie berichtet [3].
Vorhersehbare und nachhaltige militärische Unterstützung der Ukraine
Die Lieferung von militärischer Ausrüstung, insbesondere durch die European Peace Facility und die EU Military Assistance Mission, wird hervorgehoben. In dem entsprechenden Passus des Entwurfes, der am Donnerstag in Brüssel kursierte, heißt es:
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten werden weiterhin die drängenden militärischen und verteidigungspolitischen Bedürfnisse der Ukraine angehen. Insbesondere betont der Europäische Rat die Bedeutung einer rechtzeitigen, vorhersehbaren und nachhaltigen militärischen Unterstützung für die Ukraine, insbesondere durch das Europäische Friedensinstrument und die EU-Militärhilfemission sowie durch direkte bilaterale Unterstützung der Mitgliedstaaten.
Der Europäische Rat unterstreicht die dringende Notwendigkeit, die Lieferung von Raketen und Munition zu beschleunigen, insbesondere im Rahmen der Initiative für eine Million Schuss Artilleriemunition, und der Ukraine mehr Luftverteidigungssysteme zur Verfügung zu stellen. Der Europäische Rat fordert den Rat auf, die Arbeit an der Reform des Europäischen Friedensinstruments und der weiteren Erhöhung seiner Finanzierung zu intensivieren, basierend auf dem Vorschlag des Hohen Vertreters. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten bleiben langfristig und gemeinsam mit Partnern dem Engagement verpflichtet, Sicherheitszusagen für die Ukraine zu leisten, die der Ukraine helfen werden, sich zu verteidigen, destabilisierenden Bemühungen zu widerstehen und künftige Aggressionsakte abzuwehren.
Aus dem Entwurf der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 14,/15.12.2023
Front gegen Hybridangriffe aus Russland und Moldau
Das interne Dokument hebt die Entwicklung einer europäischen Verteidigungsindustriestrategie und Maßnahmen gegen Hybridangriffe sowie Migration hervor. Dazu heißt es im Wortlaut:
Der Europäische Rat verurteilt nachdrücklich alle hybriden Angriffe, einschließlich der Instrumentalisierung von Migranten durch Drittländer zu politischen Zwecken, und bleibt entschlossen, eine wirksame Kontrolle über die externen Grenzen der EU sicherzustellen.
Die Europäische Union ist entschlossen, den laufenden hybriden Angriffen an ihren externen Grenzen, die von der Russischen Föderation und von Belarus gestartet wurden, entgegenzuwirken.
Aus dem Entwurf der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 14,/15.12.2023
EU rüstet sich für Kampf ums Schwarze Meer
Verstärkt wollen die EU-Staaten im Schwarzen Meer Präsenz zeigen. Sicherheit und Stabilität in dieser maritimen Region sei für die EU wichtig. "Es ist entscheidend, dass die Getreideexporte der Ukraine nachhaltig sind und die Weltmärkte erreichen", heißt es in den Schlussfolgerungen.
Der Europäische Rat unterstütze "alle Bemühungen", den Export von Getreide und anderen landwirtschaftlichen Produkten der Ukraine in die am meisten bedürftigen Länder, vornehmlich in Afrika und im Nahen Osten, zu erleichtern.
Auch sehe man die Bedeutung der sogenannten Solidaritätskorridore der EU und fordert die Kommission auf, die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zu beschleunigen. So könnten neue Maßnahmen ergriffen werden, um die Kapazität der Solidaritätskorridore zu erhöhen.
Bei den sogenannten Solidaritätskorridoren handelt es sich um Schifffahrtsstrecken, über die ukrainisches Getreide exportiert wird.
Neue Strategische Agenda der EU bis Mitte 2024
Im außen- und sicherheitspolitischen Bereich will der Europäische Rat weiter an einer neuen "Strategischen Agenda" arbeiten, die bis Sommer 2024 verabschiedet werden soll.
In Bezug auf die Nato heißt es in dem Entwurf zur Abschlusserklärung, eine stärkere und leistungsfähigere EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung werde "positiv zum globalen und transatlantischen Sicherheitsbild beitragen und ist eine Ergänzung zu Nato, die weiterhin die Grundlage für die kollektive Verteidigung ihrer Mitglieder bildet".
Deutliche Worte finden die EU-Staats- und Regierungschefs gegenüber Moskau. Russland und seine Führung müssten "vollständig zur Verantwortung gezogen werden für die Führung eines Angriffskrieges gegen die Ukraine und für andere schwerwiegende Verbrechen nach internationalem Recht sowie für die massiven Schäden, die durch diesen Krieg verursacht wurden".
Tribunal zu russischen Kriegsverbrechen
Vorangebracht werden soll die Einrichtung eines Tribunals zur Verfolgung des Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine, das einen breiten länderübergreifenden Rückhalt und Legitimität genießen solle. Dabei könne es auch um einen Mechanismus für Entschädigungen gehen.
Aus diesem Grund soll ein Register des Europarats über die im Zuge des russischen Krieges gegen die Ukraine verursachten Schäden ausgebaut werden. Dieses Verzeichnis sei ein "erster greifbarer Schritt in diese Richtung".
Der Europäische Rat bekräftige auch "seine Unterstützung für die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs und verurteilt die fortgesetzten Versuche Russlands, dessen internationales Mandat und Funktion zu untergraben".
Fähigkeiten Russlands zum Krieg schwächen
Weiter heißt es im Text:
Die Europäische Union ist entschlossen, die Fähigkeit Russlands, seinen Angriffskrieg zu führen, weiter zu schwächen, unter anderem durch eine weitere Verschärfung der Sanktionen und deren vollständige und wirksame Umsetzung sowie durch die Verhinderung ihrer Umgehung, insbesondere in Bezug auf hochriskante Güter, in enger Zusammenarbeit mit ihren Partnern und Verbündeten.
Der Europäische Rat verurteilt die anhaltende militärische Unterstützung der Aggression Russlands durch Iran, Belarus und die Demokratische Volksrepublik Korea. Er fordert ferner alle Länder auf, dem russischen Aggressionskrieg keine materielle oder sonstige Unterstützung zu gewähren. Die Europäische Union wird ihre intensive Zusammenarbeit mit ihren Partnern fortsetzen, um falschen russischen Darstellungen und Fehlinformationen über den Krieg entgegenzuwirken.
Aus dem Entwurf der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 14,/15.12.2023
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9575418
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.consilium.europa.eu/en/meetings/european-council/2023/12/14-15
[2] https://www.consilium.europa.eu/de/european-council/conclusions/#definition
[3] https://www.telepolis.de/features/Bis-zu-190-Milliarden-So-viel-wuerde-der-EU-Beitritt-der-Ukraine-kosten-9570611.html
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