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Was ist der Bitcoin wert? Die Wertschätzung einer Geldfiktion in der realen Finanzwelt

Der Bitcoin und seine Karriere (Teil 3 und Schluss)

Heiße Frage als Intermezzo: Was ist ein Bitcoin eigentlich wert wenn überhaupt etwas und wann und warum?

Die praktische Klarstellung, worum es sich bei den Bitcoins jedenfalls nicht handelt, liefern die Peers, die sie sich mit Satoshi Nakamotos Software geschöpft haben und nun als Eigentümer über ihr Werk verfügen: Sie selbst werfen ziemlich früh die Frage auf, wie aus ihrem Produkt, dem "freien Geld", das sie sich erzeugt haben, wirkliches Geld wird, und aus einem Vehikel zur "Übertragung von Eigentum", das in der Verfügung über Bitcoin als ebendieses Vehikel besteht, ein echtes Tauschmittel, das Zugriff auf wirklichen Reichtum erlaubt.1 [1]

Ein Peer, der ziemlich auf dem relativ neuesten Stand der Wissenschaft ist, zitiert aus selbiger das Paradox: "Wie kann Geld Wert als Tauschmittel haben, wenn es darüber Wert hat, dass es als Tauschmittel dient?" Der eingangs erläuterte, bei Nakamotos Kritik des staatlichen Kreditgeldes den Gedanken leitende Funktionalismus, das Geld mit seiner nützlichen Funktion fürs Tauschen zu identifizieren, ist hier Ausgangspunkt der spannenden Frage, ob Geld wegen seiner Funktion Wert hat oder selbigen erst bekommt, weil es funktioniert.

Teil 1: Eine falsche Kritik am Geld des Staates aus der Welt der Kryptographie [2]
Teil 2: Eine selbstgemachte Fiktion von Geld als Geldersatz [3]

Mit dieser Erweiterung des Denkfehlers, den Tauschwert des Geldes aus der Bewertung seiner Nützlichkeit beim Tauschen abzuleiten, bringt es die Wissenschaft immerhin zur Suche nach dem Anfang des blöden Zirkels, und auch bei dessen Auflösung steht der ordinäre Instrumentalismus des bürgerlichen Verstandes Pate:

So, wie den die Tauschmitteleigenschaften des Geldes nur unter dem Gesichtspunkt interessieren, was sie hergeben für den erfolgreichen Zugriff auf die Welt der Waren, so findet auch die Wissenschaft im praktischen Umgang mit Geld die Antwort auf ihre falschen Fragen - und der gebildete Peer von oben auch das passende Zitat zur Erledigung des Paradoxons: "Geld wird nachgefragt und für nützlich erachtet wegen der schon existierenden in Geld ausgedrückten Preise."2 [4]

Damit sind zwar alle einer sachlichen Aufklärung näher führenden Fragen erfolgreich umschifft - etwa die, warum Geld als Tauschmittel funktioniert und welche Funktionen es denn sind, die sich da der Nachfrage als Geld erfreuen, oder die, was die Preise überhaupt sind, die auf Gütern kleben und in Geld ausgedrückt werden.

Aber das finden diese Diskutanten, die sich bei der Wissenschaft in Sachen Geld und so nach Erklärungen umsehen, verschmerzbar angesichts des Nutzens, der sich nach einigem weiteren Hin und Her unter ihnen aus solchen Weisheiten für die Beantwortung der sie maßgeblich interessierenden Frage ziehen lässt: Wie aus dem Bitcoin ein Tauschmittel wird, das eines ist wie das Geld, das es gibt.

Die Antwort hat sich oben schon angedeutet mit der apostrophierten Nützlichkeit des Geldes für den Zugriff auf Waren, auf denen praktischerweise schon steht, wie viel Geld für ihren Erwerb hinzulegen ist, sodass die Lösung des Rätsels, wie aus dem Bitcoin ein solches Zugriffsmittel werden könnte, nicht so schwer ist:

"Damit Bitcoins als Tauschmittel funktionieren können ... muss es ein übersetztes Wissen über die in Geld ausgedrückten Preise geben... Der wesentliche Punkt ist, dass, wenn einmal ein Tausch zwischen Geld (US-Dollar) und Bitcoins stattfinden kann, Warenproduzenten ein Mittel haben, Bitcoin als ein mögliches Tauschmittel zu bewerten."

Das Ding Bitcoin ist also kein Wert und funktioniert nicht als Tauschmittel, ist also kein Geld, weil es in gar keinem Verhältnis steht zu den Waren und deren in Preisen bezifferten Werten - so weit das per Vermisstenanzeige zu Protokoll gegebene Eingeständnis der Gemeinde, das sich mit unseren Untersuchungsergebnissen bestens verträgt. Aber das macht für sie gar nichts.

Wenn nur einmal eine Relation zwischen dem Ding und echtem Geld hergestellt ist, dann hat es immerhin einen Preis, der in letzterem ausgedrückt ist - und der lässt sich interpretieren als die Wertschätzung der Eigenschaften des Dings, die es zwar nur in der Welt des Virtuellen zum perfekten Tauschmittel machen, aber ausweislich des echten Geldes, das einer für Bitcoin hinzulegen bereit ist, auch in der wirklichen Welt offenbar etwas wert sind - eben die US-Dollar, die einer für einen BTC zahlt.

Den Peers kommt der Umstand, dass man dann, wenn der BTC ein Verhältnis zum US-Dollar hat, alle in Dollar ausgedrückten Preise in solche umrechnen kann, die sich in BTC ausdrücken lassen, wie die Initialzündung einer "Bitcoin-Ökonomie" vor.

Sie gehen einfach davon aus, dass die phantastischen Möglichkeiten, die sie in Bitcoin sehen,3 [5] in der Form von Dollar-Preisen nur die offizielle Wertschätzung des Dings als Tauschmittel erfahren und über kurz oder lang auch Warenproduzenten sich ihrer Überzeugung anschließen werden - ein Optimismus, der dem Urheber des Unterfangens dermaßen einleuchtet, dass er aus seiner Versenkung in der Anonymität des Netzes kurz auftaucht und ihre krummen Überlegungen mit folgendem "Gedankenexperiment" vorwärtsweisend auf den Punkt bringt4 [6]:

Als Gedankenexperiment stell dir ein unedles Metall vor, so selten wie Gold, aber mit den folgenden Eigenschaften: - langweilig grau, - kein guter elektrischer Leiter, - nicht besonders stark, aber auch nicht leicht dehnbar oder formbar, - nicht nützlich für irgendwas Praktisches oder zum Verzieren, und eine spezielle, magische Eigenschaft: - es kann über einen Datenkanal transportiert werden.

Wenn das irgendwie überhaupt einen Wert [value] bekommen würde, aus welchem Grund auch immer, dann würde jeder, der Reichtum [wealth] über große Distanzen übertragen will, welches kaufen können, es übertragen, und es dem Empfänger zum Wiederverkauf überlassen. Vielleicht könnte es zirkulär einen Ausgangswert kriegen, wie ihr es vorgeschlagen habt, durch Leute, die seinen potenziellen Nutzen für den Austausch erkennen. (Ich würde definitiv was davon wollen.) Vielleicht Sammler, irgendein zufälliger Grund könnte es initiieren.

Ich denke, die traditionellen Anforderungen an Geld wurden in der Annahme geschrieben, dass es so viele seltene Objekte auf der Welt gibt, dass ein Objekt mit schon vorhandenem innerem Wert sicher vor allen ohne diesen Vorsprung landen würde. Aber wenn es gar nichts auf der Welt gäbe, das inneren Wert hat und als Geld verwendet werden kann, nur selten, aber kein intrinsischer Wert, ich glaube die Leute würden immer noch irgendetwas [als Geld] nehmen.

Er bekennt sich zur total abstrakten Natur seiner Konstruktion und definiert Geld als Tauschmittel explizit in dem oben charakterisierten verrückten Sinn, dass es nicht den Austausch von Waren vermittelt, weil es deren verselbständigter Wertausdruck ist, sondern weil es als Vehikel der Übertragung von Wert funktioniert.

Der "Reichtum", den S. Nakamoto in seinem Gedankenexperiment "über große Distanzen" übertragen möchte, besteht seiner materiellen Grundlage nach erklärtermaßen in dem Ding ohne Wert und Gebrauchswert, das sich seinen Weg durch die Kanäle im Netz bahnt, und das "Eigentum", das da übertragen wird, entsprechend im Recht der ausschließenden Verfügung über dieses Etwas, das da auf die Reise geschickt wird.

Ins Verhältnis zur wirklichen Welt des Reichtums und Eigentums tritt dieses Etwas erst in Gestalt des Preises, den einer für sein exklusives Verfügungsrecht über es in echtem Geld zu zahlen bereit ist, um es an einen Empfänger zu schicken, der es seinerseits wieder verkauft und so in echtes Geld zurückverwandelt: Das fungiert in S. Nakamotos Gedankenexperiment also de facto als Tauschmittel und verschafft dem wertlosen Ding seinen Wert.

Es steht am Anfang beim Kauf eines exklusiven Verfügungsrechts über ein elektronisches Transportvehikel einer Datenkette und erscheint am Ende bei dessen Verkauf und Rückverwandlung in Geld wieder, und das ganze "Eigentum", das auf diesem Weg übertragen wird, besteht der Sache nach in der Geldsumme des Ein- bzw. Verkaufspreises resp. in der Verfügung über diese.

Mit der und damit mit dem "Wert" des Bitcoins hat es freilich, wie dem Zitat auch zu entnehmen ist, eine eigene Bewandtnis. Letzterer ist für den Erfinder des Ganzen ja ausdrücklich ein - durch welche Umstände auch immer zustande gekommener - Ausdruck der subjektiven Wertschätzung der Leistung, die mit Bitcoin versprochen wird, nämlich die Exklusivität des Übermittlungsverhältnisses seiner selbst zu garantieren und diese Garantie zu repräsentieren.

Darin und in nichts sonst besteht in seiner Definition des Geldes dessen "potenzieller Nutzen für den Austausch", den es für Tauschwillige zu entdecken gilt. Deren private Würdigung eines für sich wertlosen Transportvehikels zwischen Absender und Empfänger verschafft dem seinen "Wert" - der mithin in nichts anderem besteht als in dem Akt der Willkür, in dem ein Peer sich dazu entschließt, für seinen exklusiven Verkehr mit einem anderen auch einen Preis zu bezahlen, der ihm die Sache wert ist.

Von ihrem Vordenker wird die Gemeinde der User derart in allen ihren Reflexionen darüber, wie aus dem Bitcoin ein echtes Tauschmittel werden könnte, ins Recht gesetzt: Ganz richtig liegen sie, wenn sie den Wert des Geldes mit der Wertschätzung seiner Tauglichkeit als ein solches Mittel identifizieren, also auch überhaupt nicht verkehrt mit ihrer Vermutung, über die Verallgemeinerung ihrer Wertschätzung des Bitcoins würde dem Artefakt der Wert von selbst zuwachsen, den Geld nun einmal hat.

Und exakt so bescheuert, wie es die Quintessenz der Peer-Debatte im Netz gebietet - "der Wert einer Währung oder des Geldes wird vom Markt entdeckt, genau so, wie er für jedes andere Gut entdeckt wird. Das geschieht immer, wenn etwas Neues erfunden oder entdeckt wird"5 [7] - handeln sie dann auch bei der Suche nach dem Wert ihres Tauschmittels und dessen praktischer Ermittlung.

Krone der Schöpfung aus dem Netz: Die Wertschätzung der Geldfiktion in der realen Finanzwelt

Entschlossen macht man sich im Bitcoins produzierenden Gemeinwesen an Versuche, mit einem Geld, das keines ist, in einer Welt einkaufen zu gehen, in der es ums Verdienen und Vermehren von echtem Geld geht und Waren wie Dienstleistungen deswegen ihren Preis haben.

Erste Hoffnungen auf womöglich durchschlagenden Erfolg dieses naturgemäß nicht einfachen Unterfangens regen sich, als in einem einschlägigen Forum dieser Spielsüchtigen eine 10.000-Bitcoin-Überweisung für denjenigen ausgelobt wird, der von einem Pizza-Service zwei Pizzen an eine bestimmte Adresse liefern lässt.

Für den Freundschaftsdienst sind echte  41 US-Dollar an den Pizzabäcker zu zahlen, im Gegenzug fließen dem Geldgeber die elektronischen Münzen zu, sodass sich die Transaktion - mit entsprechend interessiertem Wohlwollen - auch als so etwas wie ein Verfahren zu deren Preisfindung interpretieren lässt, und ein solcher Preis, also eine Relation zwischen echtem Geld und seinem virtuellen Ersatz, wäre ja schon - wie man oben gehört hat - der erste Schritt hin zur Etablierung des Kunstgeldes als gleichrangiges Tauschmittel neben den echten Geldern.

Den Preis haben die Bitcoins zwar nur in diesem einen Fall, aber das Verfahren seiner Ermittlung im Wege der freihändigen Vereinbarung zwischen Privatleuten ist beliebig reproduzierbar, und so mehren sich im Netz die Versuche, auf Handelsplattformen Bitcoins zu Geld zu machen.

Die einen wollen sie möglichst teuer verkaufen, die anderen möglichst billig kaufen, und der Preis, auf den man sich einigt, ist dann der, den sie haben - im jeweiligen Geschäft und daher auch nur für dieses. Für die Dauer, in der sich auf diesem zufälligen Weg doch eine einigermaßen stabil anmutende Austauschrelation einstellt, nehmen internetaffine Friseure, Verkaufsketten von Kaffee und Hühnerbeinen und sogar ein Großproduzent von Hardware fürs Netz Bitcoins in Zahlung - aber eben nur für diese Dauer, und die fällt aus notwendigen Gründen immer nur sehr kurz aus.

Denn was da unter Privatleuten stattfindet, ist und bleibt eben Wertschöpfung auf dem Wege der willkürlichen Bewertung, Preisfindung allein vermittelt über das "freie Spiel der Kräfte" von Angebot und Nachfrage.

Dieses Spiel reproduziert auf seine Weise also nur das willkürliche Verhältnis, in dem dieses Geld von Natur aus zur Welt der käuflichen Waren und Dienstleistungen steht, und wenn einer soundsoviel US-Dollar für soundsoviel BTC hinlegt, so drückt das ebenso wenig eine Währungsrelation aus wie das Verhältnis zwischen einem Ölgemälde und dem Kaufpreis, der bei seinem Eigentümerwechsel in US-Dollar zu zahlen ist.

Doch was soll’s, diese Produktionsweise bringt es auch ohne Herrn Nakamotos speziellen Eifer zu Zahlungsversprechen, die im Überbau des fiktiven Kapitals als ganz reales Mittel der Bereicherung funktionieren, und wenn Waffen- und Drogenhändler, Päderasten und Geldwäscher den Vorteil entdecken, ihre Identität beim Verschieben von Geldern hinter nicht zu knackenden Schlüsseln zu verstecken.

Wenn Wikileaks-Sympathisanten ihre Spenden am US-Embargo vorbei in BTC entrichten und die Praxis der subjektiven Wertschöpfung auf interaktiven Websites stetig wächst, die sich auch noch stolz "Bitcoin-Börsen" nennen - dann kann es gar nicht ausbleiben, dass man jenseits der Gemeinde auf dieses Treiben aufmerksam wird:

Ausgerechnet die Profis der Vermehrung des echten "Fiat"-Geldes, die der Erfinder der Fake-Ware für dessen Untauglichkeit mit haftbar macht, lassen seinen Traum von einem "irgendwie" zustande kommenden "Ausgangswert" seiner Kreation wahr werden - einfach dadurch, dass sie auch die noch als Artikel entdecken und handhaben, mit dem sich ihre üblichen Geschäftspraktiken gut verrichten lassen.

Wie bei seiner Geburt eine Definition, so bildet ein Beschluss auch den Auftakt zur vorläufig letzten Etappe der Karriere der elektronischen Münze. Finanzkapitalisten interpretieren den Bitcoin als Wertobjekt von der Art eines Zahlungsversprechens mit dem besonderen Vorteil völliger Unbestimmtheit des "Wie viel", der Abhängigkeit des realisierbaren Werts allein vom Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, das noch nicht einmal - um die eingangs erwähnte Analogie mit den "Tokens" der Ästhetik aufzugreifen - durch so sachfremd objektive Kriterien wie den herrschenden Kunstgeschmack affiziert wird.

Und sie handeln entsprechend, nämlich so, wie sie mit Zahlungsversprechen welcher dubiosen Art auch immer zu handeln gewohnt sind: An echten Börsen, den Hauptschauplätzen des finanzkapitalistischen Geschäftswesens, wird der Bitcoin als Handelsartikel gelistet und damit erstmals auch virtuelles Geld zum Stoff für spekulative Investments.

Die wichtigsten Kryptowährungen (12 Bilder) [8]

[9]
Bitcoin. Start: 2009. Marktanteil: 57,9 Prozent. Marktkapitalisierung: 197,855 Mrd. USD. Mining: SHA-256. Stand: Oktober 2020. Quelle: Wikipedia [10]

Der Datenhaufen firmiert als so etwas wie ein digitales Wertpapier und erhält einen Kurs verpasst in Relation zu den echten Geldern: Der ersetzt ab sofort das ganze Treiben freischaffender Buchmacher und ist als offizielles Datum für den Wert des Geschäftsartikels BTC in der Welt.

Dieser bemisst sich an dem spekulativen Interesse, mit dem man in Bitcoins "zu gehen" bereit ist, das sich wiederum bemisst an den Erwartungen einer weiteren Kurssteigerung einerseits, den Befürchtungen eines Kursverfalls andererseits, sodass es gilt, in ersterem Fall möglichst früh ein-, in letzterem Fall gleichfalls möglichst früh und im Idealfall als erster wieder auszusteigen: Im Spekulieren auf eine erfolgreiche Antizipation der spekulativen Berechnungen aller anderen Geldgeier pflegt man in dieser Sphäre erfolgreich sein Vermögen zu vermehren, und das geht ersichtlich auch beim BTC.

Denkbar "erratische" Kursbewegungen sind bei einem Wertobjekt, dessen Wert einfach nur über die Spekulation auf seine Steigerung zustande kommt, die notwendige Folge, gelten in diesen Kreisen aber selbstverständlich nicht als Dokument der Absurdität der Veranstaltung: Für risikofreudige Anleger in ihrer Geldgier sind sie im Gegenteil die Geschäftsgrundlage ihrer Bereicherung, und je mehr Spekulanten diese für sich entdecken, desto mehr andere wollen sich diese große Chance, per Kauf und Verkauf eines Datenkomplexes mit limitierter Gesamtauflage reich zu werden, unmöglich entgehen lassen.

So boomt das Geschäft mit Bitcoins in der Finanzwirtschaft, was dazu führt, dass dem virtuellen Geld obendrein auch noch eine genuin finanzkapitalistische Virtualität verpasst wird: Wie bei Schweinebäuchen, Öl-Barrels, Weizen usw. längst üblich, sind mittlerweile auch Bitcoin-Futures börsengängige Handelsware, Finanzwetten auf den Kursverlauf der Ware BTC, ohne dass man sie jemals zu erwerben vorhätte.

Diese Sorte spekulativer In-Wert-Setzung von Nakamotos Kreation fürs Internet schlägt zurück auf die ausgeklügelten Methoden, die er für deren Generierung ersonnen hat, und generiert dort den nächsten Irrsinn derselben Art.

Der im Kapitalismus entscheidende Test

Wenn dank der Umtriebigkeit im finanzkapitalistischen Überbau der Bitcoin so gut wie echtes Geld ist, dann ist seine Schöpfung im Wege des "Mining" auch so gut wie eine "echte Wertschöpfung" und muss als diese nur noch den im Kapitalismus entscheidenden Test bestehen: Um überhaupt stattzufinden, muss sie sich lohnen, und darüber entscheidet wie immer, so auch hier der Vergleich zwischen den Kosten für den betriebenen Aufwand und den Erlösen aus dem Verhökern des erwirtschafteten Ertrags.

Was letztere Vergleichsgröße betrifft, so liefert das laufende Börsengeschäft eindrucksvolle Zahlen für die Spekulation, die sich da an die des Finanzkapitals dranzuhängen anschickt, denn je besser es läuft und je mehr der Preis der Börsenware Bitcoin steigt, desto mehr Erlös winkt ihrem Produzenten, und das wiederum modifiziert die Kalkulationsgrundlage für den Aufwand bei ihrer Produktion:

Wenn die Ware viel Geld bringt, lohnt sich auch viel Aufwand bei ihrer Herstellung - Hauptsache, es kommt bei dem Vergleich beider Geldsummen am Ende ein positiver Saldo heraus. So wird nicht nur aus dem Bitcoin ein Wertpapier, sondern gleich darauf aus der Verkettung von Daten auch noch eine veritable kapitalistische Wertschöpfungskette.

Weil es sich für sie zu lohnen verspricht, entdecken mutige Entrepreneurs im "Mining", dem ursprünglichen Freizeitvergnügen computerbegeisterter Amateure, ein wie für sie geschaffenes Geschäftsmodell. Sie machen sich daran, mit der Produktion der nunmehr mit einem festen Tagespreis versehenen wertlosen Ware Bitcoin ihr Vermögen zu mehren, und selbstverständlich ist im Kapitalismus auch so etwas höchst vernünftig: Wo alles Produzieren nur unter der Bedingung stattfindet, dass die Geldrechnung dessen positiv aufgeht, der produzieren lässt, wird eben auch alles produziert, was diese Geldrechnung aufgehen zu lassen verspricht.

Der Natur des Werts entsprechend, den diese Unternehmen zu schöpfen sich vornehmen, besteht ihr Investment in den Aufwendungen für einen gigantischen Park von Rechenautomaten und dessen Verstauen, für die Energie seines Betriebs und seiner Kühlung und für die laufende technologische Optimierung der eingekauften Soft- wie Hardware.

Der Zweck ihrer Investition ist, sich mit ihr möglichst an die Spitze des im Netz tobenden Wettbewerbs um die Rechenkraft zu setzen, die es braucht, um als erster einen gültigen Block zu erstellen und dafür die aktuell ausgelobten Bitcoins zu kassieren. Deren Verkauf soll den ganzen betriebenen Aufwand rentabel machen, was er freilich nur unter der Voraussetzung tut, dass der bei der Rechnung kalkulatorisch in Anschlag gebrachte Preis an der Börse in etwa stabil bleibt, zumindest nicht verfällt und dies schon gleich nicht in einem Maß, das jede Rentabilitätsrechnung ad absurdum führt.

Metastasen in der Realwirtschaft

Ob überhaupt und wie auch immer im Einzelnen die Geldgier an dieser Front befriedigt wird, Tatsache jedenfalls ist, dass Nakamotos Machwerk nicht nur in der Welt des fiktiven Kapitals reüssiert, sondern auch in der des realen Wirtschaftens seine Metastasen hinterlässt: Regelrechte Computerfarmen mit einem - je nach Fachexpertise - mit Dänemark, Italien oder Argentinien vergleichbaren Energiebedarf entstehen und konkurrieren gegeneinander, ganze Industrieanlagen werden über den Globus verstreut hingestellt, die zu nichts anderem gut sind, als alle zehn Minuten 30 Trillionen erfolglose Rechenoperationen durchführen zu lassen.

Elektronische Farmen, deren ganzer Sinn und Zweck für ihren jeweiligen Betreiber darin besteht, vor allen anderen, die denselben Aufwand betreiben, dem einen erfolgreichen Rechenversuch eine definierte Wahrscheinlichkeit zu verleihen, für den Herrn Nakamotos Software eine definierte Menge Bitcoins ausspuckt.

Und davor schrecken die Investoren selbstverständlich auch dann nicht zurück, wenn dieselbe Software dank des von ihnen betriebenen Aufwands den Aufwand laufend erhöht, der für die Generation der neuen Bitcoins erforderlich ist, die sie sich krallen wollen: Ihre Antwort darauf besteht im Mobilisieren von noch mehr Rechenkapazität, damit ihr Einsatz sich für sie garantiert lohnt...

Fazit

Am Ende des glorreichen Unterfangens, der kapitalistischen Geldwirtschaft über die Konstruktion eines digitalen Ersatzgeldes zum besseren Funktionieren im Interesse der im Tauschverkehr Involvierten zu verhelfen, stellt sich ein für den Urheber dieses Bemühens - sachlich betrachtet - ziemlich niederschmetterndes Resultat heraus: In ihrer irren inneren Logik funktioniert die existierende Geldwirtschaft derart perfekt, dass sie auch noch Geld, das keines ist, problemlos in die eingerichteten Geldkreisläufe einzuspeisen vermag.

Deren wirkliche Funktion besteht eben nicht im Funktionieren des Geldes als nützlicher Vermittler zwischen Tauschwilligen, sondern darin, dass über dieses Vermitteln eine Produktionsweise in Gang gehalten wird, deren Zweck es ist, dass aus Geld mehr Geld wird.

Der Wert, der Nakamotos Artefakt von den maßgeblichen Agenten des realen Geldverkehrs zugesprochen wird und den es deswegen dann auch hat, beruht darauf, dass in dem Prozess einer Vermehrung des Geldes aus sich heraus, auf den sie sich verstehen und der in dem Geld stattfindet, das es gibt, eben auch Irgendetwas - wir erinnern uns: "langweilig grau ... nicht nützlich für irgendetwas Praktisches" - als Durchgangspartikel Verwendung finden kann: In dieser realen Welt ist der größte Mist Wert, wenn er nur der exklusiven Verfügung eines privaten Eigentümers unterliegt, für den als Vehikel zur Vermehrung von Wert taugt und als solches seine Wertschätzung erfährt.

So funktioniert Nakamotos im Virtuellen real existierende Ableitung des Geldes aus der Fiktion einer wertbeständigen Eigentumsübertragung ohne übertragenes Eigentum am Ende doch, nämlich kapitalistisch: als Anhängsel an dem spekulativen, gegen seine Grundlage aufs Äußerste verselbständigten Überbau der Produktionsweise, die dem wirklichen Geld, nämlich seiner Vermehrung dient - und die einem bürgerlichen Geist, dem ein unveränderbarer Dateneintrag als Eigentum genug ist, weil er in ihm den Triumph seiner gegen Staat und Banken erkämpften Freiheit & Privatheit feiert, schon längst aus dem Blick entschwunden ist.

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe [11] dieser Artikel ebenfalls erschienen ist.


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[6] https://www.heise.de/tp/features/Was-ist-der-Bitcoin-wert-Die-Wertschaetzung-einer-Geldfiktion-in-der-realen-Finanzwelt-6277634.html?view=fussnoten#f_4
[7] https://www.heise.de/tp/features/Was-ist-der-Bitcoin-wert-Die-Wertschaetzung-einer-Geldfiktion-in-der-realen-Finanzwelt-6277634.html?view=fussnoten#f_5
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[9] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6140569.html?back=6277634
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Kryptow%C3%A4hrungen
[11] https://de.gegenstandpunkt.com/