Was kostet Kunst im Cyberspace?
Der Kunstmarkt wird völlig anders
Wer die "Kunstwelt" beobachtet, weiß, daß es hier so etwas wie einen "Kunstmarkt" gibt, auf dem einzelne Kunstwerke zu Preisen ge- und verkauft werden, die wild schwanken können. Ein allen bekanntes Beispiel dafür ist das Werk von Vincent von Gogh, der zu Lebzeiten keine einzige Arbeit gegen Geld verkaufen konnte, für dessen Gemälde aber in den späten 80er Jahren mit fast Hundert Millionen Dollar bislang die höchsten Preise erzielt wurden.
Was läßt ein Kunstwerk so wertvoll werden? Zunächst muß es berühmt sein und zumindest in der Kunstwelt eine große Wertschätzung besitzen. Zweitens ist es normalerweise gut, wenn der Künstler bereits tot ist, weil er dann keine weiteren Werke mehr herstellen kann. Die Gesamtzahl der verkaufbaren Objekte ist so beschränkt. So lange der Künstler modisch und anerkannt bleibt, sollte die beschränkte Zahl der Werke höhere Preise erzielen. (Natürlich gibt es in der Wirklichkeit eine zusätzliche Komplexität. Wenn zu erwarten ist, daß Kunstwerke zu hohen Preisen gehandelt werden, können Spekulanten in den Markt eintreten und in der Hoffnung die Preise immer höher treiben, daß diese auch in Zukunft höher werden. Die Preise schnellen hoch, bis plötzlich kein neues Geld mehr auf den Markt kommt, weswegen sie dann beträchtlich sinken, auch wenn sie noch viel höher sind als bei den vorhergehenden, zyklisch eintretenden Rückfällen im Kunstmarkt auf Minimalpreise.)
Hohe Preise sind für den Künstler daher mit Ruhm verbunden, was normalerweise dazu führt, daß Reproduktionen oder Bilder der Originalwerke weit verbreitet sind. Durch den hohen Verbreitungsgrad sind diese Kopien nur wenig wert. Doch je bekannter sie sind, desto größer ist die ihnen gewidmete Aufmerksamkeit und desto höher sind dann auch die Preise für die wenigen Original, die mit den eigenen Händen des Künstlers auf einzigartige Weise hergestellt wurden.
Aber nehmen wir einmal an, daß ein neuer Künstler die Bühne betritt, der nur im Cyberspace arbeitet, der also digitale Kunst herstellt, die man auf seinem Computerbildschirm und auf dem von jedem anderen sehen kann, der auf seine Website zugreift. Weil diese Kunst nur digital ist, kann sich jeder eine perfekte Kopie herunterladen, die sich auf keine Weise vom Original unterscheidet. Wie läßt sich ein solches Werk verkaufen? Je mehr Leute es betrachten, desto mehr Kopien gibt es, die sich nicht vom Original unterscheiden. Kein Kunstsammler müßte etwas dafür bezahlen, ein Kunstwerk zu besitzen. Kein Unterstützer eines Museum würde eine Notwendigkeit sehen, eines zu kaufen, um es in ein Museum zu "hängen".
Der Künstler könnte versuchen, einen gewissen Seltenheitswert sicherzustellen, indem er den Zugang zur Betrachtung des Werks beschränkt. Dadurch aber würde er auch die Aufmerksamkeit beschränken, die sein Kunstwerk erhält, was bei einem normalen Kunstwerk zu einer Minderung seines Geldwertes führt. Er könnte etwa auch versuchen, den Computer zu verkaufen, mit dem er sein Werk ursprünglich hergestellt hat, vielleicht Dokumente anbieten, die seine Authentizität beweisen, und das Ganze mit seinem Namen unterschreiben. Aber das würde ein wenig dem gleichen, wenn die Sammler eines Malers nicht nur die fertiggestellten Werke, sondern auch die Paletten, Pinsel und übriggebliebenen Farbtuben suchen, die mit jedem Werk verbunden sind. Durch die Betrachtung dieses Handwerkzeugs, das zusammen mit dem Werk ausgestellt wird, würde man jedoch kaum etwas gewinnen, denn besonders bei Künstlern, die im selben Medium arbeiten, werden sich diese Extras weitgehend gleichen. Der Computer eines Cyberkünstlers hat nichts Besonderes. Ein mit solchen Computern angefülltes Museum würde eher das Erlebnis, die Werke selbst zu betrachten, mindern, anstatt es zu vergrößern. Niemand würde dorthin gehen wollen.
Folglich kann Webkunst nicht wirklich zum Eigentum eines Sammlers oder Museums werden, zumindest nicht in dem Sinn einer Sammlung, die im gewöhnlichen Geldwert wächst. So lange man den Künstler kennt, der die Arbeit geschaffen hat, richtet sich die Aufmerksamkeit ebenso auf das Werk wie auf den Künstler, weswegen dieser in einem sehr buchstäblichen Sinn weiterhin das Werk besitzt. Im Cyberspace ist stellt dies die einzige Art des Eigentums dar, die es gibt: das Eigentum an der Aufmerksamkeit selbst. Ein Sammler kann das Werk nicht als solches sammeln, wohl aber die Aufmerksamkeit des Künstlers oder seiner Fans oder beides zusammen. Als Cyberkunstsammler "sammelt" man seine Lieblingswebseiten, indem man auf deren URLs auf der eigenen Site Links legt. Wenn man dann wegen seines Geschmacks, Urteilsvermögens und Könnens bei der Entdeckung von wertvoller Kunst bewundert wird, werden zahlreiche Kunstliebhaber zur Website kommen und schauen, was man kürzlich ausgegraben hat. Je besser eine solche "Sammlung" ist, desto mehr Menschen kommen zu einem und desto größere Aufmerksamkeit erhält man für sich selbst. Aber man wird in Wirklichkeit keine Kunst besitzen.
Auch wenn man über keine außergewöhnliche Fähigkeit zum Ausmachen von Kunst verfügt, kann man immer noch mit dem Künstler und indirekt mit seinen Fans bekannt werden. Man muß ihm lediglich seine Aufmerksamkeit auf eine gewöhnlichere Weise anbieten und einige seiner Wünsche oder Bedürfnisse befriedigen, so daß man eine Art Wohltäter wird. Gegenwärtig könnte man dies so machen, daß man ihm genügend Geld zum Leben und zum Realisieren seiner Projekte zur Verfügung stellt - oder ihm zumindest einen Teil dafür für eine gewisse Zeit gibt. Oder man könnte ihm auf andere Weise helfen, indem man die benötigte Software besorgt, Mirror-Sites für seine Kunst einrichtet oder nur ein sympathischer Zuhörer ist, um nur ein paar der unendlich vielen Möglichkeiten zu nennen, Aufmerksamkeit zu schenken.
Man kann das viel leichter und wirksamer machen, wenn der Künstler noch lebt. Er kann einem nicht nur persönlich danken, sondern auch die Bereitwilligkeit zum Helfen und das Interesse an anderen bestätigen. Wenn man wartet, bis er gestorben ist, kann man nur noch Aufzeichnungen seiner Werke aufbewahren oder sicherstellen, daß sie nicht verschwinden. Wenn er beliebt war, dann gibt es viele Menschen, die das machen werden, wodurch man nur einer unter vielen wird und nichts Besonderes darstellt. Die einige Ausnahme wäre, wenn man eine lange übersehene Web-Site eines toten Künstlers entdecken würde und dann erfolgreich große Aufmerksamkeit auf sie lenken könnte.
Im Cyberspace ist also Kunst in keiner Weise mehr eine Ware für Spekulanten. Selbst wenn man als "Sammler" erfolgreich sein will, muß man ein großes Einfühlungsvermögen für den Künstler haben und selbst für diese Eigenschaften Aufmerksamkeit anziehen können. Der einzige wirkliche Wertbesitz ist nicht viel mehr als das eigene künstlerische Temperament.
All das heißt nicht, daß das Leben für die Künstler leicht sein wird. Es ist nicht einfach, das Feld zu betreten, das den meisten, die es wollen, nur wenig Aufmerksamkeit zukommen läßt. Aber die Überlegungen zeigen, daß die Ökonomie der Kunst im Web sich völlig von der der materiellen Kunst der Vergangenheit unterscheidet. Das gilt nicht nur für die Künstler, sondern in Wirklichkeit für jeden, da im Cyberspace die Kunst das Paradigma für alle Aktivitäten darstellt.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer