Was steckt hinter dem Gewaltausbruch in Nahost?
Der Ex-US-PrĂ€sident Donald Trump, der AuĂenminister von Bahrain, Abdullatif bin Rashid Al-Zayani, der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und der AuĂenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Zayed Al Nahyan, bei der Unterzeichnung des Abraham-Abkommens am 15. September 2020. Bild: Shealah Craighead, WeiĂes Haus / Public Domain
Bei den israelisch-arabischen AnnĂ€herungen blieben der Iran und Hamas auĂen vor. Das rĂ€cht sich nun. Gibt es einen Ausweg aus der weiteren Eskalation?
Die Eskalation im Nahen Osten hat sich zum schÀrfsten bewaffneten Konflikt in der Region seit 1973 entwickelt. "Wir befinden uns im Krieg", fasst der israelische MinisterprÀsident Netanjahu die Situation knapp wie dramatisch zusammen.
Wenn man nach den Ursachen dieser dramatischen Ereignisse sucht, darf man ebenfalls die Vorgeschichte nicht vergessen. Vor fast genau 50 Jahren startete eine von Syrien und Ăgypten angefĂŒhrte arabische Koalition am heiligsten Tag des jĂŒdischen Kalenders Jom Kippur, ĂŒbersetzt dem "Tag des JĂŒngsten Gerichts" einen Ăberraschungsangriff auf Israel.
Ăberraschung trotz regelmĂ€Ăiger GewaltausbrĂŒche
Ebenso ĂŒberrascht wirkte auch Israel vom Angriff der Hamas aus dem Gazastreifen, einer palĂ€stinensischen Enklave. Es gelang ihnen auf Anhieb, in 14 israelische Siedlungen einzudringen, begleitet von heftigen Raketenangriffen.
Es gab Hunderte Tote und Gefangene unter den Israelis. In der Hauptstadt Tel Aviv schien der Sirenenalarm gar nicht mehr zu verstummen. Im SĂŒden des Landes kam es zu StraĂenkĂ€mpfen. Inzwischen lĂ€uft der israelische Vergeltungsschlag, der wiederum im Gazastreifen mindestens 300 Todesopfer forderte.
Periodische Eskalationen dieses Dauerkonflikts sind in den letzten Jahrzehnten fast zu einer Gewohnheit geworden. Ein so groĂer Gewaltausbruch ist dennoch auĂergewöhnlich. Doch dabei sollte man nicht vergessen, dass es erst im Mai 2021 zu 200 Todesopfern kam â die meisten im Gazastreifen durch israelische Luftangriffe.
Vorsichtige arabisch-israelische AnnÀherung
Dass man die vorherigen Kampfrunden nicht so ernst nahm, lag auch daran, dass sich Israel ansonsten in einem aktiven Prozess einer Reihe von arabischen Staaten anzunĂ€hern schien. 2020 kam es zur Unterzeichnung des Abraham-Abkommens zwischen dem jĂŒdischen Staat, den Emiraten und Bahrain.
Viele sahen das als Wendepunkt fĂŒr den gesamten Nahen Osten â zuvor hatten ĂŒberhaupt nur Ăgypten und Jordanien die staatliche Existenz Israels anerkannt. Diplomatische Beziehungen wurden in Gang gesetzt, die arabisch-israelische AnnĂ€herung belebt. Ende 2020 verfolgten der Sudan und Marokko gegenĂŒber Israel einen Ă€hnlichen Ansatz.
Rechtsgerichtete Regierung Israels mit Provokationen
Dass es danach anders kam, hat auch mit Entwicklungen innerhalb Israels zu tun. Im Dezember 2022 kam eine rechtsgerichtete Regierung in Tel Aviv an die Macht.
Anfang Januar 2023 besuchte der neue Minister Israels fĂŒr Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir den Tempelberg in Jerusalem. Die entstehende Provokation verstĂ€rkte er durch den Ausspruch, dass "die PalĂ€stinenser nach Saudi-Arabien oder andere Orte wie den Irak oder den Iran gehen können".
Dieses Verhalten hat sowohl bei den PalÀstinensern als auch in der gesamten arabischen Welt und muslimischen Welt Kritik hervorgerufen. MinisterprÀsident Netanjahu musste einen geplanten Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten absagen.
Es folgten noch Ende Januar 2023 brutale Razzien israelischer SicherheitskrĂ€fte im Westjordanland, bei denen elf PalĂ€stinenser getötet wurden. Als Reaktion darauf verĂŒbten palĂ€stinensische Radikale einen Terroranschlag mit sieben Toten in Jerusalem â der gröĂte in der Stadt seit 2008.
In den folgenden Monaten gelang es beiden Seiten nochmals trotz dieser Grausamkeiten und Unnachgiebigkeiten, die Situation einzudÀmmen. Der AnnÀherungsprozess zwischen Saudi-Arabien und Israel wurde unter Vermittlung von Washington zunÀchst fortgesetzt.
Ende September besuchte der israelische Tourismusminister sogar Riad, um an einer Konferenz der UN-Tourismusorganisation teilzunehmen â der erste offizielle Ministerbesuch Israels im saudischen Königreich ĂŒberhaupt. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen bestand die Hoffnung, dass die PalĂ€stinenserfrage zumindest auf Eis gelegt werden könnte.
Unzufriedenheit von Iran und Hamas mit AnnÀherungspolitik
Doch mit dieser Aussicht waren palÀstinensische Radikale ebenso wie ihr wichtigster Gönner Iran offensichtlich nicht zufrieden. Und sie beschlossen, mit einer radikalen Aktion die Existenz des PalÀstinenserproblems in Erinnerung zu rufen.
Hamas-Sprecher Ghazi Hamad hat dabei wiederholt betont, dass "die Normalisierung eine groĂe Schande ist. Sie ist ein Messer im RĂŒcken der PalĂ€stinenser." Er forderte alle arabischen Staaten auf, "die Normalisierung mit Israel sofort zu stoppen".
Auch der Iran blieb bei der israelisch-arabischen AnnĂ€herung auĂen vor und ein Gegner dieser Entwicklung. Das alles, obwohl Teheran seinerseits versuchte, seine Beziehungen zu den arabischen Staaten wiederherzustellen. Der Iran blieb der Hauptförderer radikaler Islamisten im Nahen Osten â sei es die schiitische Hisbollah im Libanon oder eben die Hamas in Gaza.
ZusĂ€tzlich ist jede Eskalation zwischen Israel und den PalĂ€stinensern fĂŒr die iranische FĂŒhrung auch eine innenpolitische Ressource, um die eigene Bevölkerung vor den riesigen eigenen Problemen etwa in der Wirtschaft abzulenken. Das war jedoch in der Vergangenheit nicht immer von Erfolg gekrönt, wie die Massenproteste Ende letzten Jahres im Land zeigten. AuĂenpolitische MaĂnahmen versammeln nicht immer die Bevölkerung um die eigene Flagge.
Die Hamas blieb ein örtlich mÀchtiger Faktor
Doch nicht nur der Iran unterstĂŒtzt die Hamas finanziell. Auch Katar gehört zu den Förderern. Es war dieser Staat, der Anfang der 2010er-Jahre im Arabischen FrĂŒhling auf Islamisten setzte, die dann aber etwa in Tunesien oder Ăgypten von der Entwicklung "ĂŒber Bord" geworfen wurden.
Die KĂ€mpfer der Hamas dagegen blieben â wenn auch in einem kleinen Gebiet â an der Macht. So kam es auch zur endgĂŒltigen Spaltung der palĂ€stinensischen Bewegung, die bis heute nicht ĂŒberwunden ist.
Dabei stÀrkt jede militÀrische Eskalation die Position der Hamas bei den PalÀstinensern. Die Radikalen beweisen, dass es eine Alternative zur Strategie der Gewaltlosigkeit und oft ineffektiven Diplomatie gibt, die der betagte 87-jÀhrige PrÀsident von PalÀstina, Mahmut Abbas, mit Sitz in Ramallah im Westjordanland verfolgt.
Denn trotz allem setzten sich die Hamas und die Israelis bisher nach jeder Eskalation an den Verhandlungstisch und einigten sich auf einen Waffenstillstand. Standardvermittler ist hier mittlerweile Ăgypten, das auch dieses Mal bereits diplomatische BemĂŒhungen gestartet hat.
Es ist schwierig zu beurteilen, wie sich die aktuelle Entwicklung auf die bisherige AnnĂ€herung Israels und der arabischen Welt auswirken wird. Die Erreichung eines langfristigen Frieden ist jedoch durch sie nicht möglich, solange der Iran und die von ihm geförderten Gruppen auĂen vor bleiben.
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