Was tun gegen hohe Inflation – helfen Methoden von vor mehr als 50 Jahren?

Wie gewonnen, so mehr als zerronnen: Die Inflation frisst Lohnerhöhungen auf. Symbolbild: Mediamodifier auf Pixabay (Public Domain)

Wenn Bundeskanzler Scholz die konzertierte Aktion der Wirtschaft wiederholen will, könnten die Lohnabhängigen sich die Septemberstreiks von 1969 zum Vorbild nehmen

Die hohe Inflation – im Mai lag sie bei 7,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats – beunruhigt auch die etablierte Politik. Dabei dürfte der Grund weniger die reale Verarmung vieler Menschen sein. Durch die Inflation werden nicht nur Lohnerhöhungen aufgezehrt.

Noch weit mehr betroffen sind Menschen und Niedriglohnsektor und Hartz-IV-Bezieher, für die die Inflation an die Existenz geht. Bei vielen einkommensarmen Menschen hat das Geld schon bisher oft nicht gereicht. Sie mussten sich am Monatsende verschulden oder noch mehr sparen. Die Teuerung ist gerade für sie ein besonderer Angriff.

Schon geht die Angst vor dem Winter um, angesichts der Steigerung der Energiekosten. Politiker in Portugal und Griechenland befürchten Unruhen in der Bevölkerung im Winter. Das könnte in Frankreich die Gelbwesten-Bewegung wieder ermutigen – und dann könnte der Protest auch nach Deutschland überschwappen.

Linke Gruppen und Initiativen stehen vor der Aufgabe, sich darauf vorzubereiten. Schließlich ist Energiearmut bei einkommensarmen Menschen kein unbekanntes Thema. Wenn Linke das Thema nicht besetzen, ist die Gefahr groß, dass es von rechts vereinnahmt wird.

Instrumente aus den 1960er-Jahren

Auch Bundeskanzler Scholz versucht auf die Inflation zu reagieren und nahm anlässlich der Bundestagsdebatte am letzten Mittwoch Bezug auf die konzertierte Aktion, ein Wirtschaftsinstrument der 1970er Jahre. Der Begriff geht bereits auf das Jahr 1967 zurück. Damals zeigte der Nachkriegsaufschwung deutliche Krisenerscheinungen. Die Arbeitslosigkeit stieg. Aber auch die durch Sozialpartnerschaft weitgehend eingehegte Arbeiterklasse begann sich wieder regen.

So mobilisierten Bergarbeiter gegen das Zechensterben im Ruhrgebiet. Mit der konzertierten Aktion sollten autonome Arbeitskämpfe verhindert werden. Stattdessen sollten sich Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften im sozialpartnerschaftlichen Dialog verständigen. Konkret bedeutet das, der soziale Friede sollte auch in Krisenzeiten gewahrt bleiben.

Dazu sollte das 1967 verabschiedete "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" dienen. Es sollte Bund und Länder verpflichten, "bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten".

Die Maßnahmen seien so zu treffen, heißt es in dem Gesetz, "dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen".

Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist

Dieses Gesetz war eine Abkehr von der wirtschaftsliberalen Politik, wie sie noch unter dem CDU-Kanzler Ludwig Erhard propagiert worden war. Demnach sollte sich der Staat weitgehend aus der Wirtschaft heraushalten. Die konzertierte Aktion ist mit dem damaligen SPD-Wirtschaftspolitiker Karl Schiller verbunden, der zeitweilig für die Ressorts Finanzen und Wirtschaft zuständig war und vor 55 Jahren große Aufmerksamkeit bekam.

Im Rahmen der konzertierten Aktion wird der Staat als idealer Gesamtkapitalist selbst zum Akteur. Allerdings blieb die konzertierte Aktion eher eine unverbindliche Diskussionsrunde. Schiller trat auch bald als Minister zurück, verließ für einige Jahre die SPD und machte mit Ludwig Erhard sogar Wahlkampf für die CDU. In den 1980er Jahren trat er wieder in die SPD ein. Das macht noch einmal mehr deutlich, dass bei Differenzen im Detail Union und SPD das Interesse der Wirtschaft und nicht der Beschäftigten vertraten.

Als die Beschäftigten nicht den Gürtel enger schnallen wollten

Ein wesentlicher Grund für das Scheitern der konzertierten Aktion waren die selbstorganisierten Arbeitskämpfe, die im Herbst 1969 als Septemberstreiks in die Geschichte eingegangen sind. Die DGB-Gewerkschaften waren überrascht über die Kampfbereitschaft der Beschäftigten, die sich auch damals an der hohen Inflation entzündete, die von der arbeitenden Bevölkerung erkämpfte Lohnerhöhungen entwertete.

Die Streiks signalisierten, dass viele Beschäftigte nicht auf die nächste Tarifrunde warten, sondern sofort eine Lohnerhöhung wollten, weil viele Dinge des täglichen Lebens teurer geworden waren. Sicherlich hatte zur Kampfbereitschaft in den Fabriken auch der soziale Aufbruch der 1968er-Bewegung beigetragen, der nicht nur von Studierenden und Schülern, sondern auch von jugendlichen Arbeitern und Lehrlingen getragen wurden. Diese Bewegung wurde erst in den letzten Jahren mehr erforscht, beispielgebend ist eine Studie des Historikers David Templin zur Lehrlingsbewegung in Hamburg.

Von Adorno zu Thälmann – die proletarische Wende in der Apo

Bei vielen Studierenden machten die Septemberstreiks mächtig Eindruck und beschleunigten die sogenannte Proletarische Wende in der Außerparlamentarischen Opposition, die man etwas verkürzt mit "Von Adorno zu Thälmann" umschreiben kann.

Nach den Septemberstreiks wollten viele Studierende nicht mehr die Texte der Frankfurter Schule lesen, die ja erklärte, warum die Arbeiter im Spätkapitalismus weitgehend in den Staat integriert seien. Viele orientierten sich eher an Parteiaufbaukonzepten der 1920er-Jahre. Der damalige KPD-Vorsitzende Erst Thälmann stand bei vielen hoch im Kurs.

Allerdings hätten die akademischen Linken eigentlich schon früh sehen können, dass es so mit der Annäherung an die Arbeiterklasse nichts wird. In einer Dokumentation der Septemberstreiks durch das Institut für Marxistische Studien und Forschung wurde deutlich, dass nur in wenigen Städten studentische Bündnispartner bei den Septemberstreiks willkommen waren.

Die Maßhalte-Appelle werden schon angestimmt

Die Ausstände waren durchaus nicht erfolglos. Obwohl sie zunächst als selbstorganisierte Aktion ohne die DGB-Gewerkschaften initiiert wurden, wurde erfolgreich Druck auf die Gewerkschaftsbürokratie gelegt, die dann auch auf höhere Lohnforderungen bestand. Ausgerechnet die wirtschaftspolitische Redakteurin der taz, Ulrike Hermann, will daraus ableiten, dass sich die Gewerkschaften damit ihr eigenes Grab geschaufelt hätten. Ihre Argumentation geht so:

Es ist tragisch, dass die Gewerkschaften damals auf hohen Löhnen beharrten, weil sie damit ihren eigenen Niedergang provozierten. Denn eine galoppierende Inflation lässt sich nicht ignorieren, und es war abzusehen, dass die Bundesbank die Zinsen energisch nach oben treiben würde. Die Folgen waren ebenso klar: Die Wirtschaft würde schrumpfen, die Arbeitslosigkeit stark steigen – und die Macht der Gewerkschaften schwinden.


Ulrike Herrmann, taz

Hier gräbt Herrmann die Legende von der Lohn-Preis-Spirale wieder aus, die in den Lohnforderungen der Beschäftigten und nicht in den hohen Gewinnen der Konzerne eine Gefahr für die Wirtschaft sieht. Dagegen unterzieht eine Gruppe von linken Ökonomen die Theorie von der Lohn-Preis-Spirale einer grundsätzlichen Kritik:

Solche Vorstellungen gehen davon aus, dass der Lohn den Wert der Ware konstituiert. Jedoch stellt der Lohn selbst Wert dar, ist der Preis, den der Lohnarbeiter für den Verkauf seiner Arbeitskraft erhält. Die Vorstellungen laufen darauf hinaus, dass der Wert den Wert bzw. dass der Preis als Geldname des Werts den Preis konstituiert. Preise steigen, weil Preise, das heißt die Löhne, steigen. Inflation wird mit sich selbst erklärt.


Ansgar Knolle-Grothusen, Frank Lotzkat, Guenther Sandleben, Inge und Harald Humburg, Manfred Klingele, junge Welt

Hier handelt es sich auch Aufklärung von Lohnabhängigen, die so dazu ermutigt werden sollen, für ihre Interessen selbstbewusst zu kämpfen, ohne sich den Kopf um Wirtschaft und Nation zu zerbrechen. Wenn die Politiker mit der konzertierten Aktion auf Instrumente zurückgreifen, die mehr als 50 Jahre alt sind, sollten die Lohnabhängigen ebenfalls in diese Vergangenheit zurückschauen. Die Septemberstreiks könnten durchaus eine Ermutigung sein, wenn die Inflation zu einem realen Reallohnverlust führt.

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