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Was wird aus Euratom nach dem Brexit?

Kernkraftwerk Hinkley Point. Foto von 2003: Richard Baker/CC BY-SA 2.0

Die Energie- und Wochenschau: Von unerwarteten Brexit-Nebenwirkungen, Gesundheitsfolgen der Gasförderung und einem Bundesamt, das eventuell die Automobilindustrie kontrollieren will

Der Ausstieg Großbritanniens wirft neben vielen anderen auch einige energiepolitische Detailfragen auf. Unter welchen Bedingungen wird Großbritannien künftig am europäischen Strommarkt teilnehmen? Was wird aus dem Euratom-Vertrag [1] und was aus dem Emissionshandelssystem?

Was den Strommarkt angeht, ist eigentlich nicht mit großen Veränderungen zu rechnen. Die britischen Inseln haben tendenziell eher ein Problem, ihre stabile Versorgung ohne Unterstützung von außen zu organisieren. Daher müssen sie sich wohl eher auf die Bedingungen der Rest-EU einlassen.

Auch einige Nicht-EU-Mitglieder wie die Schweiz und Norwegen sind mit der EU hochgradig ökonomisch verwoben, und tatsächlich ist das dort bisher das wichtigste Argument der minoritären Beitrittsbefürworter gewesen. Man müsse den Vorgaben der EU-Staaten und der Brüsseler Kommission ohnehin folgen, könne auf diese aber keinen direkten Einfluss nehmen.

Das Gleiche könnte London nun auch blühen, und zwar mit dem kleinen Zusatz, dass auf Seiten der Rest-EU nicht unbedingt Good-will in den Verhandlungen [2] über die künftigen Beziehungen miteinander zu erwarten ist. Das könnte dann zum Beispiel für den Emissionshandel, aus dem ein konservativ regiertes Rest-Königreich [3] womöglich lieber aussteigen möchte, heißen, dass man sich zähneknirschend weiter beteiligen muss, weil es vieles nur im Paket geben wird.

Nach Angaben [4] der britischen Zeitung Guardian hält die dortige nationale Netzgesellschaft den Zugang zum EU-Energiemarkt für wesentlich, um die Kosten für die britischen Verbraucher deckeln zu können. Großbritannien hat zahlreiche alte Kraftwerke, die in den kommenden Jahren ersetzt werden müssen. Stromimporte könnten den Druck lindern.

Der Energieministerin Amber Rudd habe vor einem "elektrischen Schock" im Falle eines Austritts gewarnt. Seine Stellvertreterin Andrea Leadson, eine Brexit-Befürworterin, geht hingegen davon aus, dass es dann laxere Regeln für Subventionen geben werde. Sie denkt offensichtlich daran, Kraftwerke mit Steuergeldern rentabel zu machen.

Das Ende von Euratom?

Bleibt die Frage, was aus Euratom wird? Nach Ansicht [5] des ehemaligen Grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell [6] gilt der Ausstieg für alle Verträge und damit insbesondere auch für jenen über die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft [7].

Dieser wurde 1957 unterzeichnet und legte gemeinsam mit dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und dem über die Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl den Grundstein für die heutige EU. Zusammen sind sie als die Römischen Verträge bekannt.

Von der deutschen Öffentlichkeit selten wahrgenommen, gilt das Euratom-Abkommen noch heute. Es geht davon aus, "dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt". Zu den Aufgaben der Atomgemeinschaft, die Bestandteil der EU ist und der alle ihrer Mitglieder angehören, gehört unter anderem "Investitionen zu erleichtern und, insbesondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen, die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemeinschaft notwendig sind".

Anders als im Vertrag von Lissabon [8], der eine Austrittsfrist von zwei Jahren [9] vorsieht, kennt der Euratom-Vertrag keine Regelung zum Austritt.

Die Bundesregierung habe das bisher, so Fell, als Vorwand genommen, die deutsche Mitgliedschaft trotz des hierzulande beschlossenen Atomausstiegs nicht einseitig kündigen zu können. Das habe seinerzeit allerdings ein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten [10] widerlegt.

Sollte Großbritannien nun tatsächlich austreten, könne auch die deutsche Mitgliedschaft in Frage gestellt werden. Es gebe dann weder für Deutschland noch für andere Mitgliedsstaaten - auch Österreich ist zum Beispiel in der Euratom - einen Grund, die einseitige Kündigung zu verweigern.

Kein AKW-Bau wegen Brexit?

Und, so Fell, London könnte im Fall eines Euratom-Exit nicht mehr auf die Atomgemeinschaft für die Förderung seines geplanten neuen Atomkraftwerks Hinkley Point C zurückgreifen. Dieses dürfte damit endgültig gestorben sein.

Auch der oben verlinkte Guardian-Beitrag bezeichnet den AKW Bau als eines der möglichen Opfer des Referendums. Fell geht davon aus, dass dadurch auch die bestehenden britischen AKW unter erheblichen ökonomischen Druck geraten werden.

Nun müsse erstmals seit mehreren Jahrzehnten eine Euratom-Vertragsstaatenkonferenz einberufen werden, um über die Folgen des britischen Austritts zu sprechen. Fell, der ansonsten den Brexit für einen großen Schaden für die EU hält, sieht dadurch die einmalige Möglichkeit, die Förderung der Atomenergie in der EU und durch die Assoziierungsverträge auch darüber hinaus zu beenden. Die Bundesregierung müsse gedrängt werden, ebenfalls die Fördertatbestände von Euratom zu kündigen.

Die anderen Bestandteile des Euratom-Vertrags wie Sicherheitsauflagen, Atommüllentsorgung und Schutz der Bevölkerung vor Radioaktivität müssten Gegenstand einer EU-Richtlinie werden.

Protest gegen Fracking

Am Freitag, die Öffentlichkeit war gerade mit der Fußball-Europameisterschaft und dem britischen Referendum beschäftigt, hat der Bundestag gleich eine ganze Reihe höchst unpopulärer Gesetzentwürfe verabschiedet. Neben der Erbschaftssteuer [11], die jetzt noch durch die Länderkammer muss und dem Frackinggesetz [12] auch das sogenannte Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende [13].

Das sieht die (fast) Einführung digitaler Stromzähler vor, gegen die sich die Verbraucher nur schwer werden wehren können. Wir hatten darüber bereits Mitte April anlässlich der ersten Lesung im Bundestag berichtet (siehe "Massenhaft sensible Daten zum Stromverbrauch" [14]).

Mit allen Gesetzen wird sich auch der Bundesrat noch befassen, aber das Frackinggesetz, dass das Fracking im Sandstein weiter erlauben wird und für andere geologische Formationen einige Probebohrungen vorsieht, ist dort nicht zustimmungsbedürftig. Nur über eine Verordnung zur Einführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen und über bergbauliche Anforderungen beim Einsatz von Fracking-Technologie und Tiefbohrungen [15] muss dort noch abgestimmt werden. Allerdings hat die Länderkammer immer die Möglichkeit, Einspruch einzulegen, wenn ihr ein Gesetz nicht passt. Dieser kann jedoch vom Bundestag mit einfacher Mehrheit überstimmt werden.

Mit einem Einspruch ist aber nicht zu rechnen, denn im Bundesrat herrschen zur Zeit sehr komplexe Mehrheiten. Union und SPD verfügen zwar nur über 20 von 69 der Länderstimmen, regieren aber in allen Ländern mit. Die Linkspartei ist in zwei und die Grünen in zehn Landesregierungen mit fast allen denkbaren Farbkombinationen [16] vertreten.

Sie können also zusammen in elf Ländern gegebenenfalls eine Enthaltung von ihren Koalitionspartnern aber keine Stimmenabgabe, die dieser nicht mitträgt, erzwingen. Das Stimmrecht wird in der Regel von den Ministerpräsidenten und Bürgermeistern ausgeübt. Gelegentlich kommt es vor, dass diese ihre Koalitionspartner brüskieren und nach eigenem Gusto abstimmen. (Abgesehen von Bayern werden inzwischen alle Bundesländer von Koalitionen regiert.)

In der Bundestagsdebatte hatten Abgeordnete der SPD am Freitag die Notwendigkeit des Fracking unter anderem mit der Abhängigkeit von russischen Importen begründet. Nach Angaben [17] des Bundesverbandes der Industrie und Wasserwirtschaft wurde 2015 des deutschen Erdgasbedarfs zu 40 Prozent mit russischem Erdgas gedeckt.

21 Prozent kamen aus Norwegen und 29 Prozent aus den Niederlanden. Die inländische Förderung war erneut drastisch gesunken und trug nur noch 7,1 Prozent zum hiesigen Verbrauch bei. Das Erdgas-Fracking wird diesen Anteil allerdings auch nur um einige Prozentpunkte steigern können und das vermutlich auch nur für ein paar Jahre.

Kein Umweltmonitoring

Der Preis dafür wird mit aller Wahrscheinlichkeit hoch sein. Schon die herkömmliche Gasförderung sorgt für allerlei Umweltbelastungen. In Sachsen-Anhalt wurden zum Beispiel über die Jahrzehnte größere Mengen Quecksilber freigesetzt. Aus Niedersachsen wird von einer Häufung von Krebsfällen [18] in einigen, aber nicht allen Gemeinden mit Gasförderung berichtet [19]. So zum Beispiel aus der Stadt Rotenburg östlich von Bremen und dem benachbarten Bothel.

Kathrin Otte vom Gemeinnützigen Netzwerks für Umweltkranke GENUK [20] hat im Gespräch mit Telepolis das Benzol in Verdacht, das bei der Förderung oftmals mit freigesetzt wird, und fordert eine epidemiologische Studie. Die Förderanlagen würden mitunter nicht mehr als 100 Meter von dem nächsten Wohnhaus stehen. Es sei ein Fall aus einem anderen Ort bekannt, wo die giftigen, bei der Förderung anfallenden Gase einfach über Jahrzehnte in die Luft abgelassen wurden.

Die vielen Bohrschlammgruben, die jetzt in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und anderswo zum Teil erst mühsam ausfindig gemacht und untersucht werden müssen sind für Otte ein Indiz dafür, dass "es nie ein Umweltmonitoring gab". Man habe sich nie um all die giftigen Substanzen, neben Benzol auch polyzyklische Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle und radioaktive Isotope, und den Folgen ihrer Freisetzung gekümmert.

Und nun auch noch die Fortsetzung des Frackings. Otte geht davon aus, dass es erheblich ausgeweitet wird:

Es hat in Niedersachsen bereits 342 Frackingvorgänge im Sandstein gegeben. Allerdings nicht in dem Maße, wie es jetzt vermutlich von der Industrie angestrebt wird. Betroffen wird auch Rotenburg sein und darüber hinaus eine Region, die sich über Verden und Nienburg, die zwischen Bremen und Hannover liegen, bis nach Oldenburg und ins Emsland im Westen ziehen wird.

Kathrin Otte, GENUK e.V.

Aus für Diesel-PKW?

Zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche. Nun ist tatsächlich jemand bei einer Bundesbehörde auf die Idee gekommen, man könnte ja mal selbst nachmessen, was so aus den Auspuffen der Autos heraus kommt. So ganz abwegig ist das ja wohl nicht, man könnte gar meinen, dass derlei wie Lebensmittelkontrolle und ähnliches zu den originären Staatsaufgaben zählt.

Das Umweltbundesamt will also nun eigene Abgastests einführen, wie Tagesschau.de berichtet [21]. Genauer: Es will die Messungen ausschreiben, durchführen würden sie dann private Unternehmen. Immerhin.

Bild: TP

Das UBA geht offensichtlich davon aus, dass Diesel-PKW in den Ballungszentren wegen des hohen Schadstoffausstoßes keine oder nur noch eine eingeschränkte Zukunft haben. Nach Angaben von Tagesschau.de ist davon auszugehen, dass auf deutschen Straßen 4,5 Millionen Fahrzeuge, davon zwei Millionen von VW, unterwegs, die mehr als doppelt so viel Stickoxide ausstoßen, wie ihnen eigentlich erlaubt ist. Hinzu kommen ältere Fahrzeuge mit ähnlichen aber wegen ihres Alters legalen Emissionswerten.

In den USA droht VW eine Strafe von 15 Milliarden US-Dollar für seine Schummelei, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet [22]. Aber hierzulande sieht das Verkehrsministerium keinen Rechtsverstoß. Das Testen unter realen Straßenbedingungen sei ja nicht die Auflage gewesen.

Sollte das UBA sich durchsetzen können und für Dieselfahrzeuge größere Restriktionen durchsetzen, so wäre das für die Ozon und Feinstaub geplagten Großstädter sicherlich ein Gewinn. (Ozon entsteht bei starkem Sonnenschein und windarmen Wetterverhältnissen unter dem Einfluss von Stickoxiden und greift unter anderem die Atemwege an.)

Allerdings würden bei gleicher Fahrleistung die Kohlendioxidemissionen steigen, wenn Diesel PKW durch Benziner ersetzt werden. Ein Grund mehr also, für Alternativen zu sorgen, damit die Menschen vermehrt auf ÖPNV und Bahn umsteigen. Davon abgesehen ist ein öffentliches Verkehrsangebot ohnehin demokratischer, da es anders als der motorisierte Individualverkehr auch Alten, Kindern, Ärmeren und gesundheitlich eingeschränkten Personen zur Verfügung steht.


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https://www.heise.de/-3255824

Links in diesem Artikel:
[1] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=URISERV%3Axy0024
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/brexit/nach-brexit-referendum-europa-mueht-sich-um-klare-kante-14313077.html
[3] http://www.bbc.com/news/uk-scotland-scotland-politics-36643385
[4] https://www.theguardian.com/environment/2016/jun/28/leave-vote-makes-uks-transition-to-clean-energy-harder-say-experts
[5] http://www.hans-josef-fell.de/content/index.php/presse-mainmenu-49/schlagzeilen-mainmenu-73/993-brexit-gilt-auch-fuer-euratom
[6] http://www.hans-josef-fell.de/content/
[7] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12012A/TXT&from=EN
[8] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=OJ:C:2016:202:FULL&from=EN
[9] http://www.independent.co.uk/news/uk/home-news/eu-referendum-result-what-is-article-50-how-long-will-it-take-for-britain-to-leave-the-eu-a7099966.html
[10] https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/_archivextern/ein_euratomausstieg_ist_moeglich_und_noe/euratom_gutachten_im_auftrag_der_bundest.pdf
[11] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/erbschaftsteuer-reform-nimmt-im-bundestag-wichtige-huerde/13784202.html
[12] http://www.heise.de/tp/news/Fracking-Neue-Regeln-aber-kein-Verbot-3249027.html
[13] http://www.iwr.de/news.php?id=31534
[14] https://www.heise.de/news/Robotik-NVIDIA-veroeffentlicht-Hardware-beschleunigte-Packages-fuer-ROS-6198745.html
[15] https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2015/0101-0200/144-15.pdf?__blob=publicationFile&v=2
[16] http://www.bundesrat.de/DE/bundesrat/verteilung/verteilung-node.html
[17] https://www.bdew.de/internet.nsf/id/DE_Erdgasbezugsquellen
[18] http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Krebsfaelle-in-Bothel-Hilferuf-von-200-Aerzten,bothel142.html
[19] http://www.genuk-ev.de/files/Presse/2015_12_17-GENUK_PM_Signifikante_Raten_kindlicher_Leuk%C3%A4mie_in_Rodewald.pdf
[20] http://www.genuk-ev.de/
[21] http://www.tagesschau.de/wirtschaft/umweltbundesamt-abgastests-101.html
[22] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vw-vergleich-in-den-usa-warum-die-strafe-fuer-volkswagen-so-problematisch-ist-1.3054806