Web-Träume nochmal überschlafen
Den Publikationen im Web geht es schlecht. Jenen über das Web übrigens auch
Jeder kennt den alten Fluch: "Mögest Du in interessanten Zeiten leben." Nun, für alle, die in jenem Geschäftsfeld arbeiten, aus dem die sogenannte New Economy hätte werden sollen, sind es gerade verdammt interessante Zeiten, die sie da durchleben.
Was Owen Thomas angeht, den Mann hinter der täglichen Online-Pflichtlektüre Ditherati, wo sich "die Digerati täglich tummeln", so könnte man sagen, dass die vergangene Woche für ihn wirklich sehr interessant gewesen sein muss. Ganz besonders der Donnerstagnachmittag, an dem Time Inc. angekündigt hat, dass eCompany Now, das Magazin, für das Thomas schreibt, nun Business 2.0 "schlucken" würde, wie es in einem Artikel bei Inside.com ausgedrückt worden ist. Am Abend sprach er dann mit Suck-Redakteur Tim Cavanaugh über den Untergang von Automatic Media, einer Firma, die von der Suck-Crew mitgegründet worden war, bei der Thomas schon mal als Lektor gearbeitet hat und die noch die Sites Feed und Altculture betreibt.
Für zahllose alte Hasen im Web wäre der Verlust von Suck und Feed, die beide im Sommer 1995 gegründet worden waren, mehr als nur eine weitere traurige Story unter vielen. Wenn der symbolische Wert von Wahrzeichen in Dollars ausgedrückt werden könnte, dann wäre es die Geschichte des Jahres, wenn Feed auf Eis gelegt werden sollte und Suck die ewigen Ferien antreten müsste.
Aber Wahrzeichen bestehen nun mal nicht aus Dollars und aus wirtschaftlicher Sicht ist die Fusion der beiden weiter oben genannten Magazine die wichtigere Geschichte, also lasst uns einen Blick auf die Zahlen werfen, damit wir's hinter uns haben. Time Inc., ein Tochterunternehmen des weltgrößten Mediamultis, AOL Time Warner, blättert über 68 Millionen US-Dollar lediglich für eine Abonnentendatenbank und einen Markennamen hin. Das mag nach viel Geld aussehen, aber es ist nicht einmal ein Fünftel von dem, was Gruner + Jahr USA für Fast Company ausgegeben hat und, was vielleicht noch aussagekräftiger sein mag, ungefähr die Hälfte der Summe, die noch in den Gesprächen mit Future Network PLC, den englischen Besitzern von Business 2.0, im Gespräch gewesen war, als Time vor gerade einem halben Jahr mit ihnen über den Kauf des Magazins zu verhandeln begonnen hatte.
Also ist es nicht nur so, dass es ein Magazin zur "New Economy" weniger am Kiosk gibt, sondern auch deren Wert sinkt so schnell wie ihre Anzeigenpreise. Der Trend, der an dieser Stelle bereits vor zwei Monaten angesprochen worden ist, setzt sich rapide fort. Tatsächlich hätte es der Industry Standard durchaus gern, wenn man ihn nicht mehr als ein "New Economy"-Magazin wahrnehmen würde. Dieses wöchentlich erscheinende Magazin hat sein Motto von "The Newsmagazine of the Internet Economy" in "Nachrichten für die Informationswirtschaft" geändert und - bevor ich's vergesse - sie haben in diesem Monat weitere 20 Angestellte entlassen.
Owen Thomas kennt sich in der Welt der New-Economy-Magazine aus. Bevor er vor einem Jahr nach San Francisco zurückgekehrt war, um das Team von eCompany zu verstärken, hatte er in New York für Time Digital und Red Herring gearbeitet. Aber es war John Quittner, Redakteur bei (damals noch nur) Time Warner, der die beste Lob- und Abschiedsrede auf Suck verfasst hat, wenngleich er sich dessen zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst gewesen sein mag. Der Titel des Artikels, den Quittner für Wired verfasst hatte, sagt schon alles: Web Dreams.
Quittner hatte in diese Story, die er für die November-Ausgabe 1996 jenes Magazins geschrieben hatte, dessen Mutterfirma gerade Suck aufgekauft hatte, jede Menge Insiderwitze eingebaut und sich dauernd auf sich selbst bezogen, aber die eigentliche Geschichte ging so: Diese zwei formidablen Jungs, Carl Steadman und Joey Anuff, haben nicht nur die klassischen Mitte-der-90er-Jahre-Traumjobs bei Hotwired ergattert, sondern darüber hinaus noch ihre eigenen Ideen im Web publiziert. Tagsüber arbeiteten sie bei Hotwired und des Nachts beuteten sie sich selbst aus, um ihren Traum im Web zu verwirklichen. Das Ding startet, die "Hits", wie sie damals noch genannt wurden, bleiben nicht aus, werden immer mehr, und schließlich: Der Ausverkauf an eine große Firma. Quittner sollte den selbstreferentiellen Insiderwitz bis zum Schluss durchziehen, indem er einen Job bei Hotwired ablehnen und, mit der Unterstützung von Time Warner, seinen eigenen Web-Traum verfolgen sollte. Sein Projekt Netly News sollte kommen und gehen, Quittner jedoch würde bei seiner großen Firma bleiben, die sich solcherlei Versuche und Fehler leisten kann, und weiterhin sein Gehalt beziehen können.
Suck gehörte nun zu Wired und konnte mehr Leute einstellen. "In meinem Lebenslauf", sagt Thomas, "reicht mein Engagement bei Suck von August 1996 (kurz vor dem fehlgeschlagenen Wired-Börsengang) bis März 1997 (zwei Monate nach jener desaströs verlaufenen Kapitalaufnahme, die das Schicksal von Wired besiegeln sollte). Ich konnte meine Aktienoptionen nicht einlösen."
Um die Geschichte abzukürzen: Das Wired-Imperium brach zusammen und Suck fand sich, wie der ganze Rest von Wired Digital, als Eigentum von Lycos wieder. Man kaufte sich frei und gründete zusammen mit Feed und mit finanzieller Unterstützung von Lycos und Advance Publications die neue Firma - Automatic Media. Wie Greg Lindsey auf Inside.com (das selbst vor kurzem mit Steven Brills eigenartigem Micro-Imperium verschmolzen ist - aber das ist wieder eine andere Geschichte) feststellt: "Zumindest für diesen Augenblick werden Suck und Feed ihren Platz neben Kult-Sites wie Word.com einnehmen, die genau wussten, dass sie nicht aus eigener Kraft würden überleben können, aber, seltsamerweise, nicht abgestürzt waren, bis sie sich mit einem in geschäftlichen Fragen angeblich kompetenteren Partner zusammengetan hatten.
Es bringt wenig, Suck und Feed für ihren Beitrag zu unserem Medium zu preisen. Scott Rosenberg hat das bereits getan, so lakonisch, wie man es von einer selbst gefährdeten Web-Publikation wie Salon erwarten konnte. Und wenn es nur um die schiere Menge an Geheul und Zähneknirschen geht, sollte man sich gleich an Plastic wenden, das von Automatic Media im Januar gestartete Gemeinschaftsforum, wo das Thema Is Plastic Dead Meat höchstwahrscheinlich häufiger kommentiert worden ist als jede andere Story in der kurzen Geschichte von Plastic.
In diesem Forumsthread zeigt Steven Johnson, Mitgründer von Feed, einige Grafiken aus seiner achtseitigen Präsentation des Projekts. Diese Grafiken erinnern den Beobachter der Szene daran, dass sowohl Feed als auch Suck von ihren ursprünglich diametral entgegengesetzten Konzepten abgewichen sind und sich irgendwo in der Mitte getroffen haben. Suck beendete das "Schlachtfest wild-metaphorischer Anspielungen" und das gequält-komplizierte Wortgedrechsel, die Johnson in seinem zurecht gelobten Buch Interface Culture beklagt, aber auch die Besonderheit, Links als kommentierende Stilelemente zu verwenden, was Suck zu einer genuinen Online-Publikation gemacht hatte. Währenddessen hatte Feed in den sechs langen Jahren seiner bisherigen Existenz immer weniger oft mit eigenartigen Benutzerschnittstellen, Multimedia-Klimbim, Popup-Fußnoten und ähnlichem experimentiert, um schließlich täglich kurze Artikel zu genau den Themen zu veröffentlichen, die auch von Suck aufgegriffen worden waren, nachdem es damit aufgehört hatte, Websites zu kritisieren: Popkultur, Politik und, naja, eigentlich alles, worüber alle anderen auch sprachen.
Um die Jahrhundertwende, als Konsolidierung angesagt war, erschien es Suck und Feed sinnvoll, sich zusammenzutun. "Automatic Media sollte vor allem eine Anzeigenkombi sein", sagt Thomas, "ein Verbund, der Suck und Feed ermöglichen sollte, auf einen gemeinsamen Pool von Anzeigenverkäufern und Technik zurückgreifen zu können. Der Schluss, den ich aus alldem gezogen habe ist, dass Online-Werbung - sogar noch mehr als Offline-Werbung - ein Geschäft ist, das mit schierer Größe zu tun hat. Automatic Media war zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen, aber sie waren schließlich doch eine Nummer zu klein."
Tatsächlich: Wenn es Lehren gibt, die aus alldem gezogen werden können... Aber Moment! Vielleicht hat ja Steve Baldwin, Mitautor bei Netslaves, den richtigen Ansatz erwischt: "Ich hab' die Schnauze voll von dem ganzen Gelaber über Lehren, die gezogen werden müssen! Dieses Geschäft ist einfach nur der letzte Scheissdreck!.
Übersetzung aus dem Englischen von Günter Hack