Website des Weißen Hauses und Emails der Regierung werden archiviert
Neben die Berge von materiellen Dokumenten treten die virtuellen Daten, die dem Gedächtnis der USA erhalten bleiben sollen
Das Netz mag zwar eine gigantische globale Datenbank sein, deren Umfang rasend schnell anschwillt, aber es ist zugleich durch Gedächtnislosigkeit gekennzeichnet. Schnell verschwinden Inhalte wieder aus dem Netzgedächtnis, woraus eine Art der Geschichtslosigkeit entstehen könnte, die möglicherweise trotz aller Archive netzspezifisch ist.
Während sich Nationalbibliotheken darum bemühen, möglichst alle Bücher und Zeitschriften zu archivieren, fühlt sich für das Netz niemand so recht zuständig. Tatsächlich sind die gewaltigen Mengen an Daten, die hier meist ohne jede Art von "Redaktion" veröffentlicht werden, unterschiedlichsten Charakters, vielleicht aber eine gute Möglichkeit, den Gemütszustand von Gesellschaften über alle Schichten und Institutionen hinweg feststellen und analysieren zu können. Spätere Historiker würden vermutlich froh sein, in den alten Dokumenten herumwühlen zu können. Aber es wäre ja auch nicht damit getan, die Daten einmal abzuspeichern, sie müssten auch immer wieder aktualisiert und auf neue Träger überspielt werden.
Ob die Gedächtnislosigkeit ein Problem ist, ist die eine Frage, Bedauern mag aber einen schon überfallen, wenn selbst Web-Dokumente der eigenen Geschichte aus Unachtsamkeit wegfallen. Bei Telepolis ist das beispielsweise gleich zwei Mal passiert. Ursprünglich war Telepolis eine Ausstellung, die das damals noch existierende Münchner Medienlabor im Auftrag des Goethe-Instituts in Luxemburg, damals Kulturstadt Europas, organisiert hat. Dazu gab es auch eine große Website auf einem Server der Universität in München und in Luxemburg. Irgendwann waren plötzlich die Websites im Schwarzen Loch verschwunden. Oder wir wollten, da das Online-Magazin Telepolis jetzt bald fünf Jahre existiert, einmal nachschauen, wie denn die ersten Eingangsseiten und Texte aussahen. Die Texte finden sich zwar noch im Archiv, aber sie wurden mit jedem Relaunch neu übersetzt. Vergessen hatten wir, jeweils Kopien anzulegen ...
Immerhin soll dies zumindest vorerst nicht das Schicksal der Website des gerade vom Amt abgelösten amerikanischen Ex-Präsidenten Bill Clinton sein, unter dem 1994 die erste Website des Weißen Hauses eingerichtet wurde. Die National Archives and Records Administration bewahrt neben den "materiellen" Dokumenten, die allerdings erst nach fünf Jahren der Öffentlichkeit Schritt für Schritt zugänglich gemacht werden, die offizielle Website des Weißen Hauses unter Bill Clinton sowie einen "einmaligen Schnappschuss" der öffentlichen Websites der Ministerien auf. Von 1994 bis 20. Januar 2001 werden die Dokumente in Schnappschüssen der vier Versionen bereitgehalten. Die virtuelle Bibliothek des Weißen Hauses bietet eine durchsuchbare Datenbank mit Publikationen aller Art von Presseerklärungen bis hin zu Reden. Die National Archives haben bereits 10 Archive, beginnend mit Präsident Herbert Hoover angelegt, mit Clinton beginnen jetzt also die Archivierungen der Websites. Pünktlich zum Amtsübergang an George W. Bush wurde gestern die Archiv- Website eröffnet, die offizielle Seite des Weißen Hauses aber von allen Clinton/Gore-Inhalten gereinigt.
Doch mit der Clinton-Regierung ist noch eine Neuerung eingetreten: die Emails. Die Nara und das Büro des Präsidenten haben vereinbart, dass die Nara auch die einzige Institution ist, die alle Email-Aufzeichnungen der Clinton-Gore-Regierung archivieren darf, soweit dies vom Presidential Records Act ("PRA") möglich ist. Dazu ist auch notwendig, viele auf Magnetbändern abgespeicherte und manchmal auch beschädigte Emails wiederherzustellen oder neu zu formatieren.
Die "materiellen" Dokumente werden im William J. Clinton Presidential Center, das in Little Rock erbaut wird, archiviert. Bislang hat man bereits 76,8 Millionen Seiten an Papierdokumenten, 75000 Ausstellungsstücke und fast zwei Millionen Fotografien nach Little Rock gebracht.