Weg mit den Mikroaggressionen
Seite 2: Schaden durch Mikroaggressionen?
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Einen großen Schritt weiter ging jetzt die Biologieprofessorin Tricia Serio von der University of Arizona in der neuen Ausgabe von Natur vom 28. April. Sie nimmt in ihrem Beitrag sogenannte Mikroaggressionen ins Visier und ruft ihre weiblichen Kollegen dazu auf, offen über subtilen Sexismus zu sprechen.
Wissenschaftlerinnen würden tagtäglich Opfer solcher Verhaltensweisen am Arbeitsplatz. Serio geht davon aus, dass Mikroaggressionen die größte Bedrohung für die Diversität in der Wissenschaft darstellen. Es sei unentschuldbar, dass es bisher noch keine Forschung dazu gebe, ob sie Frauen aus der Wissenschaft treiben.
Was also sind Mikroaggressionen?
Das nach eigenem Bekunden auffälligste Beispiel ihrer Laufbahn erlebte die Biologieprofessorin mit einem früheren Chef. Als sie das zweite Mal schwanger war, habe dieser sie nämlich gefragt, ob das Kind geplant sei.
Serio erklärt, dass sie diese Frage als verborgene Kritik an ihrem Arbeitsethos verstanden habe: Offenbar fühle sie sich ihrer Karriere nicht verpflichtet. Angesichts dieser Unterstellung habe sie vor Wut gekocht. Ob sie den Chef fragte, wie er seine - zugegeben eher persönliche - Frage meinte, erfahren wir in ihrem Kommentar allerdings nicht.
Jahre später hat sie aber dazu gelernt: Sie besorgte sich gelbe und rote Karten, wie sie bei Regelverstößen im Sport üblich sind. In Gesprächen mit befreundeten männlichen Kollegen benutzte sie diese, um problematisch Äußerungen zu signalisieren. Das habe zu mancher Klärung beigetragen: So habe sich herausgestellt, dass die Frage nach ihren mathematischen Fähigkeiten nicht etwa wegen ihres Geschlechts, sondern ihres Biologiestudiums aufkam.
Raum für Missverständnisse
Fälle wie diese bringt Serio nicht nur mit Karriereproblemen für Wissenschaftlerinnen, sondern auch mit den Themen Sexismus, Diskriminierung und sexueller Belästigung in Verbindung. Dass wir so wenig über Mikroaggressionen wüssten, liege auch daran, dass Institutionen hierfür noch keine Richtlinien verabschiedet hätten. Deshalb würden die Fälle häufig nicht gemeldet.
Vorsorglich hat die Professorin selbst eine Internetseite eingerichtet, auf der Betroffene ihre Beispiele eingeben können (Speak Your Story). Zuerst gibt man ein, was zu einem gesagt wurde. Danach erklärt man, wie das Gesagte bei einem angekommen ist.
Dort wird etwa schon die Bemerkung von A gegenüber B, dass C hübsch (engl. cute) sei, als sexistisch aufgefasst: "Ich war sprachlos, dass er so eine sexistische Bemerkung machte und mit meinem Kollegen teilte. Ganz gleich, wie es gemeint war, das war kein Kompliment, sondern eine herabwürdigende, herablassende und unangemessene Bemerkung", schreibt die Besucherin. Eine andere verstand die Kritik, sie sei zu aggressiv, als allgemeine Aussage darüber, dass Frauen unterwürfig sein müssten.
Vereinbarkeit von Familie und Karriere
Viele der aufgeführten Beispiele drehen sich um das Thema Schwangerschaft und Familie. Dabei kommen die kritisierten Bemerkungen offenbar nicht nur von Männern: So wurde etwa die Äußerung einer älteren Kollegin, sie habe mit ihrem Baby gewartet, bis sie Professorin war, so verstanden, dass Schwangerschaften bei Mitarbeitern im Labor nicht toleriert würden.
Komplizierter wird die Angelegenheit dadurch, dass auch unterbliebene Bemerkungen als problematisch verstanden werden können. So berichtet eine Teilnehmerin auf Serios Internetseite von einem Treffen, bei dem sich Akademikerinnen und Akademiker über ihre Karrierepläne austauschten. Sie sei damals im fünften Monat schwanger gewesen und niemand habe sie nach ihren Plänen gefragt. Das verstand sie als Hinweis darauf, dass niemand von ihr eine Karriere erwarte.
Merke: Eine Kollegin im Zusammenhang mit ihrer Karriere auf ihre Schwangerschaft anzusprechen, kann als Mikroaggression verstanden werden. Sie nicht anzusprechen, kann aber auch zu Missverständnissen führen. Allerdings stellt sich die Frage, ob (werdende) Väter nicht genauso zur Vereinbarkeit von Familie und Karriere befragt werden können, vor allem in einem Arbeitsumfeld, in dem 60, 80 oder mehr Wochenstunden üblich sind. Inwiefern handelt es sich bei dem Kommunikationsproblem also um Sexismus oder schlicht um eine kinder- und familienfeindliche Arbeitskultur?