Weißrussland: Diskussion über Internetzensur

Screenshot des Blogs von Zmagarka

Eine weißrussische Bloggerin sorgt für Aufmerksamkeit

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Anfang Juni veröffentlichte die weißrussische Bloggerin Zmagarka zwei aus dem Jahr 1999 stammende Filme, auf denen die brutale Ermordung russischer Soldaten durch tschetschenische Separatisten dokumentiert ist. Durch die Veröffentlichung ist Tatjana Jelawaja, wie der bürgerliche Name der Bloggerin lautet, zu einer traurigen Berühmtheit gelangt. Wegen der Todesdrohungen russischer Rechtsradikaler, die sie nach der Veröffentlichung der Filme erhielt, geriet Jelawaja in den Fokus osteuropäischer Medien. Gleichzeitig löste ihre Internettätigkeit eine neue Diskussion über die Zensur von Onlinemedien aus. Während sich ausgerechnet die russische Blogosphäre gegen die Einführung einer Internetzensur aussprach, versucht das Lukaschenko-Regime diesen Vorfall zu nutzen, um diese zu realisieren.

Trotz ihrer 24 Jahre ist Tatjana Jelawaja schon seit langem ein politisch aktiver Mensch. 2006 protestierte sie in ihrer Heimatstadt Minsk gegen das Ergebnis der damals stattgefundenen Präsidentschaftswahlen, die Alexander Lukaschenko durch einige Manipulationen zu einem grandiosen Erfolg für sich machte, obwohl er diese eh gewonnen hätte. Der Protest hatte für die junge Frau weit reichende Folgen. Um einer Anklage wegen "Rowdytums" zu entgehen, weswegen sich die Demonstranten damals verantworten mussten, ging sie nach Vilnius, wo sie seitdem Philosophie studiert.

Ihr neuer Wohnsitz hindert sie jedoch nicht daran, sich weiterhin am politischen Leben in ihrer Heimat zu beteiligen. Jelawaja, die sich von Vilnius aus in der Oppositionsgruppierung Bunt engagiert, nutzt heute das Internet als politische Bühne. Unter dem Pseudonym Zmagarka, was auf weißrussisch Aufständische bedeutet, hat sie nicht nur einen eigenen Kanal bei Youtube, sondern betreibt auch einen eigenen Blog. Hier positioniert sie sich weiter gegen Alexander Lukaschenko und sein Regime.

Jelawajas politisches Interesse gilt aber nicht nur dem Geschehen in Weißrussland. Auch die jüngsten Ereignisse im Iran haben die Studentin berührt, was ihre vielen Beiträge zu den dortigen Präsidentschaftswahlen bezeugen. Noch mehr aber als die Proteste der iranischen Opposition, interessiert Jelawaja die Politik des Kremls. "Die Darstellung der Geschichte auf dieser Seite kann gegen die Interessen Russlands verstoßen", steht als Überschrift in ihrem Blog. Das unterstreicht die Bloggerin nicht nur durch die georgische Flagge, sondern auch durch ihre Beiträge zum russisch-georgischen Konflikt. Gerade in den Tagen vor und nach dem ersten Jahrestag des Krieges vom August letzten Jahres veröffentlichte sie viele Texte, in denen sie sich kritisch mit der Rolle Russlands in dem Konflikt befasst.

Für Tatjana Jelawaja ist aber nicht nur Georgien ein Opfer der "imperialistischen Politik" Moskaus, sondern auch die einst aufständische Teilrepublik Tschetschenien (Russland erklärt Ende des Tschetschenienkriegs). Eine Meinung, die man teilen kann. Sowohl das blutige Regime von Ramsam Kadyrow, unter dem Tschetschenien zu leiden hat, sowie der Terror der Konfliktparteien, der sich mittlerweile auf den gesamten Nordkaukasus ausgebreitet hat sind durchaus ein Ergebnis der russischen Nordkaukasuspolitik. Das belegen auch die jüngsten Morde an den Menschenrechtsaktivistinnen Natalya Estemirowa und Sarema Sadulejewa sowie das am Montag stattgefundene Bombenattentat in Inguschetien beweisen. Doch die Art und Weise, mit der Jelawaja ihre Haltung zum Ausdruck brachte, war alles andere als gelungen.

Am 3. Juni stellte die weißrussische Bloggerin ein Video ins Web, auf dem gefangenen russischen Soldaten von tschetschenischen Kämpfern mit einem Messer der Hals durchgeschnitten wird. Mit dem 1999 entstandenen Filmmaterial wollten die Separatisten zur Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges russische Soldaten abschrecken. In den darauf folgenden Jahren tauchten diese Ausschnitte in mehreren Dokumentationen über den Krieg in der abtrünnigen Nordkaukasusrepublik auf, darunter in einem Film des weißrussischen Regisseurs Jurij Chaschtschewatskij.

Bei ihrer Veröffentlichung des Filmes, der heute in ihrem Blog nicht mehr abgerufen werden kann, zeigte Jelewaja jedoch wenig Taktgefühl. "Russische Soldaten werden von Tschetschenen wie Schweine getötet", überschrieb die Philosophiestudentin das Material, auf dem die jungen Soldaten qualvoll verbluten. Die ermordeten Soldaten nannte sie in ihrem Kommentar "Jungs aus der Provinz", die sich in Tschetschenien ein "Auto verdienen wollten" sowie Auszeichnungen, um mit ihnen "dekoriert vor den Freunden" angeben zu können. "So ist halt das Leben. Unter der Okkupation", lautete das Fazit Jelawajas unter dem Film.

Drohungen aus Russland und in Weißrussland Sprungbrett für Internetzensur

Eine Haltung und Wortwahl, die nicht lange unbeachtet blieb. Durch das russische Internetportal Yandex sorgte der Beitrag der in Litauen lebenden Weißrussin auch in Russland für Aufmerksamkeit, mit der Jelawaja wohl selber nicht gerechnet hat. Während sie vor und nach dieser Veröffentlichung zwischen 5 bis maximal 60 Kommentare unter ihren Texten hatte, sind es bei dem Tschetschenienfilm bis heute über 4.200 Einträge. Und darunter auch solche, auf die Jelawaja wahrscheinlich gerne verzichtet hätte. "Zu dir kommt Oberst Budanow (ein wegen Entführung, Vergewaltigung und Mordes einer Tschetschenin verurteilter Militär, der von russischen Rechtsradikalen und Nationalisten verehrt wird), du Hure", schrieb Jelawaja ein gewisser gutnik_real. "Kauf dir ein Grab", "Demnächst wird im Internet ein Film auftauchen, wie du geköpft wirst" und "Wir kriegen dich, bereite dich schon auf Tod vor", sind nur einige weitere hasserfüllte und bedrohliche Kommentare, die in den Tagen darauf im Blog der Weißrussin auftauchten.

Die Kommentare erinnern an den Doppelmord am russischen Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa im Januar. Damals feierte die rechtsradikale Szene ganz offen deren Tod im Internet ("Der Krieg hat schon längst begonnen"), und dies sogar im Forum der Novaja Gazeta, für die Baburowa schrieb.

Im Fall der Bloggerin Tatjana Jelawaja blieb es aber nicht nur bei hasserfüllten Kommentaren. Bei Vkontakte, dem russischen Gegenstück zur Facebook, veröffentlichten russische Rechtsradikale Verweise auf den Wohnort Jelawajas. Andere wiederum forderten von Livejournal, der Plattform auf der Jelawaja und viele andere Blogger aus der ehemaligen Sowjetunion veröffentlichen, die Entfernung des Films. Das löste in der russischen Blogosphäre eine bemerkenswerte Diskussion über Zensur im Internet aus. In einer Umfrage sprachen sich von den 7682 Teilnehmern 54 Prozent gegen die Entfernung dieses Videos und ähnlicher Filme aus.

Die Unterstützung der russischen Blogger bewahrte Tatjana Jelawaja, über deren Blog auch die osteuropäische Presse berichtete und die in Interviews, darunter auch für russische Medien, den Tod der Soldaten bedauerte, dafür aber erneut den Kreml verantwortlich machte, und andere weißrussische Blogger nicht vor weiteren Konsequenzen. Nachdem ein russischer Staatsbürger bei der Minsker Staatsanwaltschaft Jelawaja wegen Volksverhetzung anzeigte, wurde auch das Lukaschenko-Regime auf den Fall aufmerksam und nutzte die Angelegenheit für eigene Zwecke.

"Sie hat diese Soldaten noch einmal getötet", schrieb 3. August die Regierungszeitung Sowietskaja Belarus. Nicht andere Töne schlug am selben Tag eine weitere regierungstreue Zeitung an. "Sie ist eine Provokateurin. Man muss kein Jurist sein,um zu merken, dass ihre Handlungen gegen Gesetze verstoßen", schrieb die Respublika, die ebenso wie die Sowietskaja Belarus das Internet als einen rechtsfreien Raum bezeichnete und die Einführung einer Zensur forderte, damit sich ähnliche Fälle zukünftig nicht wiederholen.

Für den weißrussischen Journalisten Nikolaj Markewitsch kann die Forderung der zwei größten weißrussischen Tageszeitungen nur eins bedeuten. Das Regime versucht diesen Vorfall zu nutzen, um eine Internetzensur einzuführen, erklärte der Journalist der oppositionellen Internetzeitung Pahonia der polnischen Gazeta Wyborcza.

Das Vorhaben ist nicht neu. Bereits im Juni vergangenen Jahres verabschiedete das weißrussische Parlament ein Mediengesetz, mit dem die "Anarchie des Internet" beendet werden sollte (Lukaschenko beendet "Anarchie des Internet"). Nur die vorsichtige Annäherung zwischen der Europäischen Union und Weißrussland, von der sich die ehemalige Sowjetrepublik viel verspricht, verhinderte bisher die Realisierung dieses Projekts.