Wen schützt 2G – und wovor?

In der vierten Welle soll es Bewegungsfreiheit für Geimpfte und Genesene geben. Schürt das Konzept ein falsches Sicherheitsgefühl?

Schwere Wochen stehen uns bevor, wieder einmal. Mitte März 2020 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einer Fernsehansprache die Lockdown-Folgen bedauert und angekündigt: "Die nächsten Wochen werden noch schwerer." In ihrem jüngsten Podcast formulierte sie es – nun nur noch geschäftsführend im Amt – etwas anders: "Es sind sehr schwierige Wochen, die vor uns liegen."

Angesichts der erneuten Zuspitzung der pandemischen Lage ist nicht nur eine Debatte um die Impfungen entbrannt, auch die 2-G-Regel – de facto also der Lockdown für Ungeimpfte – steht in der Kritik. Wägen wir uns nach einem Jahr Impfungen in falscher Sicherheit?

Wortmeldungen dazu gibt es von allen Seiten. Der Präsident des Wirtschaftsinstituts Ifo, Clemens Fuest, etwa plädierte nun für mehr Tests, Impfungen und eine engere Nachverfolgung von Infektionsfällen. Nur so könne es gelingen, die vierte Corona-Welle einzudämmen.

Zugleich sprach sich Fuest gegen einen neuen allgemeinen Lockdown aus. Notwendig seien stattdessen "2-G- oder 3-G-Beschränkungen", so der Chef des in München ansässigen Wirtschaftsforschungsinstitut.

Fuest verwies darauf, dass die Intensivstationen erneut überlastet und auch Schulen wieder geschlossen werden könnten: "Das hat langfristig extrem hohe wirtschaftliche und soziale Kosten."

Das Münchener Ifo-Institut beziffert das Ausmaß des pandemiebedingten Einbruchs der Wirtschaftsleistung in Deutschland im vergangenen und laufenden Jahr auf mindestens 325 Milliarden Euro.

Gegenüber der Presseagentur dpa warnte der Jenaer Infektiologe Mathias Pletz indes vor einem zu großen Vertrauen in ein 2-G-Konzept, das Geimpften und Genesenen volle Bewegungsfreiheit garantiert. Pletz plädierte laut dpa neben sogenannten Booster-Impfungen für eine weitere Maskenpflicht für Geimpfte und Genesene.

Dass Geimpfte in einem Raum auf einen Mund-Nasen-Schutz verzichten könnten, sei "eine Fehlinterpretation" gewesen, so der Infektiologe. "Diese Annahme hat man im Frühjahr 2020 und ohne Delta getroffen", zitiert ihn die Agentur: "Aber für den kommenden Winter könne man das so jetzt nicht mehr stehenlassen."

Masseninfektionen Geimpfter und Genesener

Tatsächlich mehren sich Meldungen, die das 2-G-Konzept infrage stellen. So hat sich nach Berichten der Lokalpresse und des SWR im baden-württembergischen Tübingen fast die Hälfte der 75 Mitglieder eines örtlichen Chors mit dem Corona-Virus infiziert. Wie die Chorleiterin Daniela Debus bestätigte, seien "alle (…) Sänger und Sängerinnen geimpft" gewesen.

Nach Angaben Debus' kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Mitglieder des Tübinger Bach-Chors bei gemeinsamen Proben infiziert haben. Die Mitglieder des Chors hatten sich in der vergleichsweise kleinen Aula der örtlichen Musikschule getroffen.

Im September war es in Münster unter fast 400 Gästen eines Clubs zu einer Masseninfektion gekommen. Der Betreiber dort hatte die 2-G-Regel etabliert, also nur Geimpften und Genesenen Zutritt verschafft. Mitte Oktober dann wurde ein ähnlicher Ausbruch aus einem Club in Wuppertal gemeldet.

Gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit hat der Berliner Virologe Christian Drosten in der vergangenen Woche die viel verbreitete These kritisiert, nur die ungeimpfte Bevölkerungsminderheit sei für die Eskalation der Pandemie verantwortlich. Es sei falsch, nur von einer "Pandemie der Ungeimpften" zu sprechen, sagte Drosten, und weiter:

Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: die Pandemie der Ungeimpften. Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, wir haben eine Pandemie. Und wir haben Menschen, die noch sehr gefährdet sind, die älteren Ungeimpften. Bei den über 60-Jährigen haben wir nur eine Impfquote von 86 Prozent vollständig Geimpfter, das ist irrsinnig, das ist wirklich gefährlich.

Christian Drosten

Es gebe eine Pandemie, zu der alle beitragen – "auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger", sagte der Leiter der Klinik für Virologie an der Berliner Universitätsklinik Charité. Die Delta-Variante des Corona-Virus Sars-CoV-2 verbreite sich trotz der Impfung. Schon nach zwei bis drei Monaten beginne der Schutz der Impfung zu schwinden.

Dennoch plädierte Drosten nachdrücklich für die Impfungen, weil sie vor schweren Krankheitsverläufen schütze.