Wenn China Deutschland beim Umweltschutz überholt

Christoph Jehle

Lange Zeit galt Deutschland in Asien als leuchtendes Vorbild in Sachen Umweltschutz. Die Verlagerung so mancher umweltschädlichen Produktion ins Ausland war daran nicht ganz unbeteiligt. Diese Zeiten gehen zu Ende.

Das gute Vorbild schlägt in Fernost meist jede mühsame Argumentation. Chinesische Delegationen waren in der Vergangenheit ziemlich beeindruckt, wie sauber und aufgeräumt die Umwelt in Deutschland ist und waren ganz aus dem Häuschen, wenn sie dann auf dem Land doch mal eine Rauchwolke entdeckten, die sich dann bei näherem Betrachten doch nur als Kartoffelfeuer auf einem abgeernteten Acker entpuppte.

Schon in den 1990er-Jahren war "Clean Energy" in Shanghai ein nachgefragtes Thema. Kongresse und Vorträge in diesem Umfeld waren gut besucht. Parallel zur Motorisierung hat man in der Stadt, die sich schneller wandelte, als es sich ein Europäer damals vorstellen konnte, mit deutscher Hilfe den Bau eines U-Bahn-Netzes begonnen, das zügig um eine Hochbahn aus eigener Entwicklung ergänzt wurde.

Typisch für China haben sich die einzelnen Provinzen unabhängig von Vorgaben Beijings entwickelt und jede für sich hat selbst zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Schonung der Umwelt entschieden. Inzwischen fällt die Entscheidung immer häufiger für Umwelt und Klima.

Denn der Klimawandel ist heute nicht nur gut sichtbar in China angekommen, das Niedrigwasser im Jangtse sorgt auch dafür, dass die Wasserkraftwerke dort kaum noch zur Stromerzeugung beitragen, was inzwischen zu periodischen Stromabschaltungen führt und die Industriebetriebe in der Produktion behindert, was dem erhofften Wirtschaftswachstum eher hinderlich ist. Das haben inzwischen auch die staatlichen Stellen erkannt.

Das Sozialkreditsystem als Instrument für mehr Umweltschutz

Das chinesische Sozialkreditsystem (SCS) wird in Deutschland meist mit einer Bestrafung für das Überqueren einer Kreuzung bei einer roten Ampel in Verbindung gebracht. Die Überwachung der Individuen im täglichen Leben ist dabei mitnichten die Kernaufgabe des SCS und auch keine Aktivität der Zentralregierung in Beijing, sondern Aufgabe der Provinzen, die da weitgehend eigenständig vorgehen.

So gibt es einige Regionen, in welchen der Umweltschutz im SCS eine Rolle spielt. Das SCS ist Teil eines umfassenden Vorstoßes der chinesischen Regierung unter Xi Jinping zur Durchsetzung von Regeln und Vorschriften. Der wichtigste Kategorisierungsmechanismus des Systems besteht aus Einträgen in Register und Listen, mit denen das Verhalten von Unternehmen und Einzelpersonen belohnt (Redlisting) oder bestraft wird (Blacklisting und sogenannte Verwaltungsstrafen).

Bekannt ist die Bedeutung des SCS in Bezug auf Umweltschutzregeln aus den Provinzen Shanghai, Jiangsu und Jilin, wo Verwaltungsstrafen und die entsprechenden Einträge im SCS gegenüber Bayrischen Unternehmen im Rahmen einer Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt) gefunden wurden.

Wie unterschiedlich die einzelnen Provinzen ihre Schwerpunkte bei der Verfolgung von Regelverstößen setzen, erkennt man nicht zuletzt daran, dass aus den Provinzen Peking und Guangdong bislang keine entsprechenden Verwaltungsstrafen mit Umweltbezug bekannt sind. In diesem Zusammenhang wird es spannend, ob das chinesische SCS auch wie beabsichtigt Anwendung findet im Falle von chinesischen Beteiligungen an europäischen Firmen.

Schon seit 2017 sind einschneidende Umweltschutzmaßnahmen aus China bekannt, als fast 4.000 von über 7.000 Unternehmen in der Provinz Hebei ihre Produktion einstellen mussten, weil sie die Luft über Hebei zu stark verpesteten.

Ausländische Firmen, die ihre schmutzige Produktion nach China verlagern wollen, um deutsche Umweltvorschriften zu umgehen, werden kaum noch eine Chance im Reich der Mitte haben.

Alle Warnungen, wonach verschärfte Umweltvorschriften zu einer Gefährdung des Industriestandorts Deutschland führten, wie dies aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium kürzlich verlautete, haben die chinesische Politik nicht verstanden

Lernen aus Fehlern

Anders als im Westen, wo man sich üblicherweise beim Denken an einem linearen Zeitstrahl orientiert, ist in Fernost ein zirkulares Denken verbreitet, das sich einerseits kreisförmig wie die Zeiger einer analogen Uhr bewegt, andererseits bei jedem Durchgang in der dritten Dimension nach zunehmender Weisheit strebt.

Im Westen strebt man kontinuierlich nach mehr, also nach quantitativem Wachstum, während asiatische Denkweisen sich stärker auf eine kontinuierliche Verbesserung, was man auch als qualitatives Wachstum bezeichnet, konzentrieren.

Deutlich wird das Lernen aus Fehlern bei so manchem frühen chinesischen Investment in Deutschland wie der Norddeutschen Bleistiftfabrik (NBF), das schon nach wenigen Monaten scheiterte, weil man mit den deutschen Vorschriften nicht vertraut war.

Viele Investments später war man bei der Augsburger Kuka oder bei der Allgemeinbeleuchtungssparte der langjährigen Siemens-Tochter Osram, die jetzt auf den Namen Ledvance hört und im Besitz des chinesischen Lichtunternehmens MLS Co., LTD. ist, deutlich erfolgreicher.

Chinesische Unternehmen wurden in Deutschlandland so erfolgreich, dass man in Berlin glaubte, den chinesischen Firmenübernahmen einen Riegel vorschieben zu müssen, obwohl in umgekehrter Richtung 100-Prozent-Beteiligungen deutscher Investoren in China in fast allen Branchen schon länger erlaubt ist.

Wie schnell China sich auf neue Bedingungen einstellt, zeigt sich im Fahrzeugbereich, wo man aus dem Dilemma, bei den Verbrennern praktisch nicht aufholen zu können, mit den batterieelektrischen Automobilen die deutschen Hersteller zuerst im chinesischen Heimatmarkt überholt hat und jetzt mit Unterstützung der EU-Kommission den Weltmarkt ins Auge fasst.

Die deutsche FDP zweifelt am Siegeszug des E-Autos. Sie will unbedingt E-Fuels produzieren, die allerdings nur eine Marktchance haben, falls sie von Steuern befreit werden.

Die politischen Systeme in der EU scheinen bislang noch die Beharrungskräfte zu begünstigen.

Vom Denken in Zirkeln zur Kreislaufwirtschaft

Mit der Kreislaufwirtschaft, welche weg vom hohen Ressourcenverbrauch kommen will und langlebigere, haltbarere und somit nachhaltigere Produkte anstrebt, die den Absatz modischer, vom Marketing gehypter Produkte reduziert oder wenn möglich vermeidet, haben die Industrieländer des Westens noch so ihre Schwierigkeiten.

Es ist somit fast ausgemacht, dass schon bald einzelne Provinzen in China hierbei zum Vorreiter werden und die Industriestaaten unversehens überholen.