Wenn Fakt und Fiktion gleichberechtigt sind
In fernöstlichen Kulturen wird vielfach nicht zwischen Realität und Vision unterschieden. Kommt diese Denkweise jetzt auf digitalem Weg auch in den Westen?
Deutlich wird eine unterschiedliche Wahrnehmung der Welt ganz offensichtlich bei der Funktion von Zahlen und Statistiken. So haben Zahlen in chinesisch dominierten Ländern oftmals eine völlig andere Funktion als sie westlichen Mathematikern oder Controllern geläufig sind. So sagen die veröffentlichten Einwohnerzahlen chinesischer Städte wenig über die Zahl der dort lebenden Menschen aus, als über die Bedeutung der Stadt im Vergleich zu anderen Städten.
Dass der Maglev in Schanghai bei jeder Fahrt eine Spitzengeschwindigkeit von 431 km/h erreicht, ist ein Zeichen für Wohlstand und Prosperität, weil die Quersumme acht in der Landessprache so ähnlich klingt. In Fernost kann man mit diesen Informationen umgehen und weiß sie einzuschätzen, so ähnlich wie maßlose Übertreibungen im arabischen Sprachraum, die lediglich einer Betonung der vertretenen Meinung dienen.
In den westlichen Industriestaaten tut man sich mit fremden Kulturen und ihren kommunikativen Werkzeugen ganz offensichtlich ziemlich schwer. Interkulturelle Kommunikation ist trotz Globalisierung ein Schwachpunkt hierzulande.
Dabei hat Virtual Reality durch eine digitale, synthetische Bild- und Videogestaltung über die Welt der Computerspiele schon längst Eingang in das Leben der Spielbegeisterten gefunden. Seit den groben Pixelrastern von Mario ehedem sorgte eine steigende Rechenleistung für eine immer realistischere Darstellung.
Lichtfeldkameras zur Einbindung von realen Aufnahmen in die virtuelle Welt
Mit den Lytro-Kameras des malaysisch-amerikanischen Unternehmensgründers Ren Ng kam die Lichtfeldkameratechnik, die im Bereich der industriellen Fototechnik schon lange etabliert ist, ab 2012 für wenige Jahre auch in den Fokus der allgemeinen Fotografie. Eine plenoptische oder Lichtfeldkamera erfasst neben den üblichen zwei Bilddimensionen eine weitere, nämlich die Richtung einfallender Lichtstrahlen.
Durch diese zusätzliche Dimension enthalten plenoptische Aufnahmen Informationen über die Bildtiefe, die es ermöglichen, die Schärfenebene auch nach der Anfertigung der Aufnahme noch zu verändern. Die für die Nutzung in einer für das Smartphone-Publikum annehmbaren Bildqualität, benötigte jedoch viel mehr Rechenkapazität, als die angebotenen Kameras liefern konnten.
Daher wurde das Endkundengeschäft schon nach vier Jahren wieder aufgegeben und Lytro versuchte sich im Cinemabereich, was jedoch auch nur eine kurze Episode war und 2018 zur Einstellung des Geschäftsbetriebs führte.
Die von Lytro entwickelte Technik durfte, nachdem sich das Militär dafür interessierte, aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht exportiert werden. Gerüchte, dass Google die Firma kaufen wolle, bewahrheiteten sich nicht. Unzweifelhaft sind jedoch viele Mitarbeiter von Lytro zu Google gewechselt.
Was Google mit dem Wissen von Lytro beabsichtigt
Mixed Reality, also die Verknüpfung von Fakt und Fiktion hat sich im Automotive-Bereich schon längst etabliert, wo sie ausgehend von der Verkaufssituation zunehmend auf die Fahrzeugentwicklung übergegriffen hat und zunehmend rein virtuell entwickelt wird. Die Ergebnisse fließen dann nicht mehr wie früher in den Prototypenbau ein, sondern bleiben auf der virtuellen Ebene, bis ein Kunde die entsprechende Ausführung bestellt.
Für Google, wo man über einen umfangreichen Datenschatz hortet, weil man weiß, was seine Nutzer interessiert und so alle Suchanfragen kanalisieren kann, damit für jeden Nutzer die Erwartung bestmöglich befriedigt wird, ist die Versuchung groß, neben Links zu entsprechenden Seiten auch selbst die erwarteten News in der Form von Mixed Reality zu generieren, um die Erwartungen seiner Nutzer noch besser zu erfüllen.
Die USA wollen verhindern, dass China in der Rechnertechnologie aufholt
Die Simulation von scheinbaren Realitäten wird deutlich erleichtert, wenn man über eine große Zahl an schnellen Rechnersystemen verfügt. Mit Google und Meta besitzen zwei US-amerikanische Konzerne eine kaum zu unterschätzende Menge an Daten ihrer Benutzer, die heute schon dazu genutzt werden, diese mit genau den Informationen zu versorgen, die ihrem erwarteten Interesse entspricht und sie somit weitgehend in dieser Blase gefangen hält.
Dass die USA jetzt aktiv verhindern wollen, dass China, das augenblicklich wohl noch fünf Jahre in der Entwicklung modernster IT-Bausteine zurückliegt, schnell aufholen kann, wird derzeit massiver Druck auf die niederländische Regierung ausgeübt, damit sie verhindert, dass der niederländische Anlagenbauer ASML und seine deutschen Partner Trumpf und Carl Zeiss nicht nur ihre modernste Technik, sondern auch ältere Modelle nach China liefern.
Um die Kontakte chinesischer Einwohner mit der US-amerikanischen Kultur und der technischen Entwicklung möglichst umfassend zu behindern, hat man sich dieser Tage in den USA entschlossen, keine Visa an Chinesen mehr auszustellen. Ob man damit auch die US-amerikanischen Chinatowns beeindrucken kann, darf bezweifelt werden. Menschen chinesischer Abstammung sind in erster Linie ihrer Familie und in zweiter ihrer Herkunft verpflichtet.
Was man sieht, muss nicht so sein, wie es erscheint
Plakatwerbung kombiniert mit Rundfunkspots wurde in der Vergangenheit vom Publikum als TV-Spots erinnert, dies war jedoch deutlich kostengünstiger als das Fernsehangebot. Die Zersplitterung des Rundfunkangebots hat diese effiziente Kombination heute obsolet gemacht.
Während die Menschen in Fernost mit der Mischung aus Fakt und Fiktion meist ziemlich elegant umgehen können und sich durch den Dschungel von Information und gezielter Missinformation durchlavieren, ohne in große Zweifel zu verfallen, da gegensätzliche Aussagen keinen Widerspruch darstellen müssen, ist diese Kulturtechnik in den Industriestaaten nicht besonders ausgeprägt.
Die einen glauben noch, was sie in der Zeitung lesen oder in der Tagesschau präsentiert bekommen, andere orientieren sich an alternativen Medien, so wie man in früheren Zeiten den Nachrichtendienst beim Frisör oder das Wort des Pfarrers auf der Kanzel aufgenommen hat. Viele sind ob der komplexen globalisierten Welt völlig desorientiert und suchen nach einfachen Erklärungen und Schuldzuweisungen für das Dilemma, in welchem sie stecken.
Hier haben ganz offensichtlich die Bildungssysteme in den Industriestaaten bei der Vermittlung der in einer immer komplexer werdenden Welt benötigten Werkzeugkästen versagt. Die Folgen der Suche nach einfachen Erklärungen und der Flucht aus komplexen Systemen kann man in Europa derzeit in Polen, Ungarn, Frankreich, aber auch in Italien und Deutschland deutlich erkennen. Ob es gelingt, diese Defizite zu reduzieren, ist mehr als zweifelhaft. Das Risiko einer kontinuierlichen Verführung durch an die Nutzerinteressen angepasste Texte und Videos ist viel zu groß.