Wenn Hacker Sommerurlaub machen

Nuggets, betörende Waffeln und (Nicht-)tödliche Waffen auf dem zweiten Chaos Communication Camp

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Die Gerüchteküche in Altlandsberg brodelt: "Es soll wieder Haschischwaffeln geben", grinst Silke, die es sich in der Mittagshitze in einem Liegestuhl unter Sonnenschirm bequem gemacht hat. Ja, genau, wieder diese Leckereien, die schon anno 1999 beim ersten Chaos Communication Camp (Hackermeeting gehackt?) so manchen Hacker breit über die Pferdewiese galoppieren ließen. Den jungen Mann neben ihr macht das Gerücht aber vorerst nicht heißer, als das Super-Sommer-Lüftchen um ihn herum eh schon ist: "Tribble" baut sich gerade eine Raucherware, die ihn vorerst genug erfrischt.

Alle Fotos: Stefan Krempl

Relaxed geht es zu, auf dem Hacker-Zeltlager im märkischen Sand bei Berlin, zu dem der Chaos Computer Club (CCC) bis zum Sonntag noch weit über 1.500 internationale Gäste erwartet (dazu siehe auch: Wo Daten brutzeln und Hacker frotzeln und Kein Vertrauen in Trusted Computing). Auch die Sicherheitstester wollen mal Urlaub machen, dabei aber ein breitbandiges WLAN und den Spaß am Gerät nicht missen. Zentrum des Lagerplatzes ist daher ein fast schon überdimensioniert wirkendes weißes Hackerzelt in Oktoberfest-Größe, in dem die Kids reihenweise fast wie in der Schule vor ihren Rechnern sitzen, Linux aufspielen, Baller-Games spielen oder die Sicherheit des ein oder anderen Servers innerhalb und außerhalb des Camp-Netzwerks überprüfen. Websites der Bundeswehr, die im nahen Strausberg eines ihrer Forschungszentren betreibt, waren gestern vom Hackernetz aus schon mal nicht zu erreichen. Anscheinend hatten sich die dortigen Cyberkrieger vorsorglich vor Besuchen mit IP-Nummern aus der Zeltstadt abgesichert, so erzählt man sich zumindest.

Überhaupt kursieren viele Gerüchte im Camp, angeheizt durch die unnachgiebig schon ab 7 Uhr morgens auf die Zelte brennende Sonne, die Ausschlafen schlicht unmöglich macht. So soll demnächst ein "Nugget", ein Ableger der legendären Raumschiff-Rakete Heart of Gold, mitten auf dem Zeltplatz landen. Bisher ergehen sich dort die Hacker aber noch in Blinkenlight-Spielen, Schwertgefechten und Schwindel erregenden Überkopf-Dreh-Installationen. Gerüchteweise erzählt man sich auch, dass der eher lau vom großen Empfangsmast durch die Aluminium-verzierten "Datenklos" rauschende Bitstrom von bösen Spoofern, Hackern und Crackern behindert werde.

Beim letzten Mal hatten die Script-Kiddies einfach eine der gängigen Hacker-CDs in ihren Rechner eingelegt, einen der zentralen Datenschaufler in Routerform angegriffen - und ihr Untun doch glatt im Hitzefieber oder beim Baden im nahen Tümpel vergessen. Das drahtlose Netz war glatt fast vollkommen zusammengebrochen, was die bösen Jungs, die den Administratoren irgendwann doch regelrecht ins Netz gingen, mit längerem Putzen der echten Klos bezahlen mussten. Das war kein Spaß, denn nach wenigen Tagen waren die Dixies dermaßen gut gefüllt, dass es innerhalb der blauen Wände nur noch fette Sch(m)eißfliegen und zentimeterlange Grashüpfer aushielten.

Doch an die Stinkbomben will momentan auf der grünen Wiese noch niemand so recht denken. Während die Hackerkids im großen Zelt spielen, sinnieren die ebenfalls reichlich angerückten Veteranen beim Lockpicking oder im "Art & Beauty Village" über den Lauf der Zeit. Ihre Kids haben sie im "Kinderspace" abgegeben, wo pünktlich um 18 Uhr die Sesamstraße-DVD eingelegt wird.

Die ganz Cleveren haben schnurlose DECT-Telefone dabei, über die sie nach Drücken der 5566 sich ins subethernale, Camp-eigene Radioprogramm einwählen konnten. Doch auch übers Laptop dudelt der Hackerfunk natürlich ganz fein - selbstverständlich nur bis um 22.00 Uhr, denn dann ist den "Goldenen Campregeln" zufolge Schicht im Schacht und Ruhestörung verboten. Nur noch die psychedelisch-rote Ausleuchtung der Trampelpfade soll dann die Hackersinne stimulieren, während süßliche Rauchschwaden die blutgierigen Mücken vertreiben.

Suspected Terrorist

Das Camp scheint sich so auch beim zweiten Mal als Venue für den idealen Hackerurlaub und als Treffpunkt zahlreicher internationaler Cybergrößen zu bewähren. So stößt man im Zelt der Cypherpunks nicht nur erneut auf John Gilmore, den Mitgründer der Electronic Frontier Foundation (EFF), der nur allzu bereitwillig über sein Abenteuer als "Suspected Terrorist" und die Umwandlung der USA in einen handfesten Polizeistaat erzählt: Der Kryptofreak hatte sich jüngst an Bord einer Maschinen für einen Flug mit British Airways von San Francisco nach London geweigert, einen kleinen Button mit dieser Aufschrift vom Shirt zu nehmen. "Das hätte mein Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt", ärgert sich Gilmore. Der Kapitän des Jets hatte daraufhin kurz vor der Startbahn kehrt gemacht und Gilmore nebst Freundin am Gateway wieder ausgeladen. Nun will der streithafte Cypherpunk, der auch gegen US-Justizminister John Ashcroft wegen der Einführung einer Ausweispflicht für nationale Flüge in den Staaten klagt, den Fall gerichtlich klären lassen.

Insgesamt stand das Konferenzprogramm in den Vortragszelten häufig im krassen Gegensatz zur schönen, sonnigen Hackerwelt auf der Wiese. Der Journalist Erich Moechel etwa rechnete mit der Sammelwut der US-Behörden im transatlantischen Flugverkehr ab und bezeichnete den dahinter liegenden Plan als Spionagevorhaben gegen europäische Manager. Mit den neuen "Clearing Houses" für unzählige beim Fliegen anfallende Daten in US-Händen sei es "viel einfacher, Wirtschaftsspionage zu betreiben, als Terroristen zu finden" (Kriegsgegner auf CAPPS-Überwachungsliste).

Olaf Brandt vom Projekt TROIA gab einen irritierenden Überblick über den State of the Art momentaner Kontrolltechnologien der Polizei. Darin wimmelte es nur so von 50.000-Volt-starken Elektroschockwaffen, Taser-Guns, in "Anti-Terror-Koffern" versteckten E-Bomben, nur auf bestimmte Genprofile ansprechende Biochemische Waffen oder in "Trojanischen Vehikeln" (außen Krankenwagen, innen Waffenlager für all die sich ausbreitenden "Non-lethal Weapons" oder Gefängnistransporter) verborgenen Polizei-Kommandozentren.

Wie auch der "Hypersonic Laucher" zeige, mit dem man gezielt einem Demonstranten über weite Entfernungen hinweg Befehle oder Anweisungen in einem Luftkanal "zuflüstern" könne, gehe es dabei auch sehr stark um psychologische Waffen, die Desinformationen streuen sollen. Brandt und zwei weitere Künstlerkollegen haben sich angesichts der weitaus im verborgenen stattfindenden Einführung des neuen Arsenals an Kontrolltechniken entschlossen, die in Berichten wie dem mehrfach ergänzten STOA-Report fürs EU-Parlament angesprochenen Gefährdungen durch die oft doch tödlich wirkenden Non-leathal Weapons in einem Ausstellungsprojekt aufzubereiten, das 2004 in den Probelauf gehen soll.

Weitere Fotos vom Camp.