Wenn die Elefanten kämpfen, leidet das Gras
Reconstruindo a Esperanca betreut traumatisierte, ehemalige Kindersoldaten in Mosambik
Der Bürgerkrieg in Mosambik zwischen den links gerichteten FRELIMO und der rechts gerichteten RENAMO dauerte von 1975 bis 1992. In diesem Krieg starben rund eine Million Menschen, davon etwa 450.000 Kinder. Rund 250.000 Kinder wurden zu Waisen. Boia Efraime jr. gründete 1994 zur Betreuung traumatisierter Kinder den Verein Reconstruindo a Esperanca (RE). Der in Deutschland ausgebildete Psychologe hat ein Therapie-Konzept entwickelt, das traditionelle Heilmethoden und Verfahren der modernen Psychologie kombiniert.
Unsere Psychotherapeuten und Psychiater arbeiten psychoanalytisch, aber wir beziehen traditionelle Heilmethoden mit ein. Die Heiler - die Menschen glauben daran - sprechen beispielsweise mit den Seelen der Verstorbenen. Oft plagen Albträume die Kinder, denen die Ermordeten erscheinen. Der Heiler fungiert hier als Medium und erlaubt dem Jungen, mit seinem Opfer zu sprechen. So kann das Kind den Toten um Entschuldigung bitten, ihm sagen, dass es gezwungen wurde zu töten, denn sonst hätte man es selbst getötet. Das sind effektive Techniken, von denen wir Fachärzte lernen können - und die Heiler lernen wiederum von uns.
Boia Efraime jr.
Kindersoldaten werden vielfach unter Zwang rekrutiert, die Militärs nutzen ihre Unerfahrenheit und Unerschrockenheit gnadenlos aus. In Extremfällen werden Kinder eingesetzt, um begehbare Schneisen in Minenfelder zu sprengen. Sowohl Zwang als auch Drogen werden als Druckmittel zur Rekrutierung angewendet. Kinder schließen sich bewaffneten Verbänden aber auch aus Not und Angst an oder suchen in der Gruppe Geborgenheit. Die wachsende Zahl von Kindersoldaten hat zudem mit der weltweit steigenden Verbreitung von leichten, automatischen Handfeuerwaffen zu tun.
Im Jahr 2000 waren schätzungsweise 300.000 Kindersoldaten in 31 bewaffneten Konflikten im Fronteinsatz. Kinderhilfsorganisationen schätzten zum Jahrhundertwechsel, dass seit 1990 um die 10 Millionen Kinder schwer traumatisiert seien. In Mosambik wurden Schätzungen zufolge bis zu 10.000 Kinder rekrutiert. Efraime jr. hält diese Zahl aber für zu gering, da oft nur Jungen gezählt wurden, die mit einer Waffe kämpften. "Entführte Mädchen werden meist nicht mitgezählt," so der 42-Jährige, der an das Schicksal vieler Mädchen erinnert, die während des Krieges von den Militärs verschleppt wurden.
Armeen setzten Mädchen und Frauen zur Verbesserung ihrer Logistik ein, etwa um Lebensmittel zu produzieren oder Waffen zu transportieren. Sie müssen zudem sexuelle Dienste entrichten. In Mosambik entführte Mädchen mussten Massenvergewaltigungen über sich ergehen lassen. Als sie in ihre Dörfer zurückkehrten, wurden sie diskriminiert, weil sie sexuell ausgebeutet worden sind. Es ist schwierig, diese Mädchen zu betreuen. Sie wollen lieber anonym im Dorf leben, würde man für sie ein Projekt einrichten und sie es besuchen, so wüsste jeder: Aha, sie ist eine davon. Daher muss man mit vielen Jugendlichen arbeiten, um auch diese Mädchen zu erreichen.
Boia Efraime jr.
RE betreut derzeit mit drei Psychologen an zwei verschiedenen Orten rund 150 Kinder. Bis 1999 verfügte die Nichtregierungsorganisation in Mosambik noch über vier Behandlungszentren, die Kinder wurden von insgesamt sechs Fachärzten unter Mithilfe von Heilern und Lehrern betreut. Knapp 1.000 Kinder haben bislang Therapien besucht, weitere 2.000 nahmen an Handwerks-, Agrar- oder Schulprogrammen teil. Das Gros dieser oft schwer traumatisierten Kinder, so Boia Efraime jr., hat nur gelernt, dass der, der zuerst schießt, am Leben bleibt. Sie können zwar mit verbundenen Augen eine Kalaschnikow zusammenbauen, haben indes keine Schulen besucht. Ihre Sozialisation fand im Krieg statt, was den Aufbau einer friedlichen Gesellschaft erschwert und schon geringe Streitigkeiten können zu Gewaltausbrüchen führen. Zudem fassen diese Kinder nur zögerlich Vertrauen zu Menschen - insbesondere zu Erwachsenen, die sie oft nur ausgenutzt haben. Ein afrikanisches Sprichwort sagt, wenn die Elefanten kämpfen, leidet das Gras.
Ananda wurde mit 12 Jahren von den Rebellen entführt. Sie hat fünf Jahre auf dem Feld eines Soldaten arbeiten müssen, ihr wurden drei Finger und ein Ohr abgeschnitten. Nach Kriegsende wollte sie nicht zu ihrer Familie zurück, sondern im Militärlager bleiben. Weder ihr Bruder, noch ihr Vater konnten sie überreden, nach Hause zu kommen. Erst ihrer Großmutter gelang es, sie zurück zu holen. Ananda warf ihrem Vater und ihrer Mutter vor, dass sie sie nicht beschützt hatten. Sie meinte, dass die Eltern die Schuld trügen für das, was ihr widerfahren war. Diese Schuldzuweisung war das Hauptproblem. Wir mussten sowohl das Mädchen, wie auch die ganze Familie betreuen. Denn auch die Eltern empfanden Schuldgefühle. Das Mädchen hatte das Vertrauen in sie, in die Zukunft, in Liebe und Mitmenschlichkeit verloren. Es ging also darum, dieses Vertrauen wieder aufzubauen. Verschlimmert wurde Anandas Fall zudem, da sie wegen der Verstümmelungen keinen Bezug mehr zum eigenen Körper hatte. Sie war verwahrlost, hatte Ekel vor ihrem Körper und vor ihrer eigenen Weiblichkeit, in der sie den Grund dafür sah, weshalb sie missbraucht worden war.
Boia Efraime jr.
Reconstruindo a Esperanca heißt übersetzt Wiederaufbau der Hoffnung, die Organisation war im Jahre 2000 Preisträger des Aachener Friedenspreises. Gemessen an der immensen Problematik einer nahezu völlig traumatisierten Generation und Gesellschaft sei das von RE angebotene Hilfsangebot "überaus bescheiden", sagte Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung in seiner Laudatio. Schoch forderte während der Preisverleihung, RE benötige dringend mehr Unterstützung.
RE wurde bis 1999 von verschiedenen NGOs, Kirchenprojekten und medico international gefördert. Unterdessen aber, so Boia Efraime jr., können wegen fehlender Finanzen keine neue Patienten mehr aufgenommen werden. Dem Projekt drohe bis Ende des Jahres das Aus, auch, da internationale Hilfsorganisationen und Fördermittel heute in Krisenregionen wie Afghanistan oder Kosovo fließen.
Mosambik zählt weltweit zu einem der ärmsten Länder. Das Land hat weiterhin erheblich unter den Folgen eines 17 Jahre dauernden Krieges - eine Art Stellvertreterkrieg im ehemaligen Ost-West-Konflikt - zu leiden. Die beiden alten Kriegsparteien sind im Landesparlament vertreten, die FRELIMO stellen die Regierung.
RE-Spendenkonto: Aachener Friedenspreis e.V., Kontonummer 128 428 011, Aachener Bank eG, BLZ 390 601 80, Stichwort: Mosambik