Wenn die Gesellschaften schrumpfen und Mädchen oder Jungen fehlen

Christoph Jehle

Die Annahme, dass die Bevölkerung in Fernost unkontrolliert wachse, ist ein Trugbild. In manchen Ländern schrumpft sie sogar deutlich. Das Geschlechterverhältnis der jungen Generation ist dadurch verzerrt

Die in Teilen Ostasiens und Südostasiens rückläufige demografische Entwicklung führt zu unterschiedlichen Reaktionen der Politik. Im Inselstaat Japan versucht man, die fehlenden Arbeitskräfte durch Automatisierung zu ersetzen oder verlagert die Fertigung nach Vietnam, auf die Philippinen oder nach Thailand - und von dort weiter nach Laos.

So hat inzwischen praktisch die gesamte Fotobranche das Land verlassen. Die Überlegungen, zur Pflege der alternden Gesellschaft Immigranten anzuwerben, ist schnell wieder verworfen worden und man beschäftigt in diesem Bereich jetzt verstärkt androide Roboter.

Während in Deutschland und auch in anderen europäischen Staaten verstärkt Anreize gesetzt wurden, um das Geburtenniveau anzuheben, bemühte sich die Volksrepublik China mit der im Jahre 1979 eingeführten "Ein-Kind-Politik" darum, das Bevölkerungswachstum einzudämmen -- aus westlicher Sicht ein massiver Eingriff in die Privatsphäre und das Selbstbestimmungsrecht der Menschen.

Die Ein-Kind-Politik galt im Übrigen nicht für die im Lande lebenden Minderheiten. So zeigt die unruhige Provinz Xinjiang mit ihrer uigurischen Bevölkerung ein deutlich stärkeres Wachstum als die Provinzen, in welchen die Han-Chinesen die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Im Oktober 2015 hat China seine Ein-Kind-Politik beendet. Seitdem dürfen Paare zwei Kinder bekommen.

Die jahrelange Beschränkung auf ein Kind und die Bedeutung der männlichen Nachkommen hat im Zusammenhang mit der pränatalen Diagnostik dazu geführt, dass in China heute eine abnehmende Zahl junger Frauen einer immer größeren Anzahl von jungen Männern gegenüber steht. Die Konzentration auf ein Kind pro Familie hat in der Konsequenz auch dazu geführt, dass sich üblicherweise vier Großeltern um einen Enkel kümmern, was dem Gewicht und somit der Gesundheit der Enkel nicht gerade zuträglich ist.

Auf dem Land wird die Entwicklung zum Männerüberschuss noch dadurch verschärft, dass junge Frauen, wie auch im deutschen Osten, mobiler sind und in Regionen mit stärkerer wirtschaftlicher Entwicklung abwandern. Mit der Wanderung der jungen Frauen weg vom familiären Umfeld nimmt auch der gesellschaftliche Druck zu heiraten ab.

Die Financial Times meldete Ende April 2021, dass der jüngste Zensus ergeben habe, dass die Bevölkerungszahl in China zurückgegangen sei. Da die zahlenmäßige Darstellung der Bevölkerung immer auch etwas über die Bedeutung der jeweiligen Stadt aussagt, ist ein Schrumpfen immer auch mit Image-Problemen verbunden. Die einen sehen in erster Linie eine drohende Vergreisung der Gesellschaft, andere eher den sinkenden Druck, neue Arbeitsplätze zu entwickeln, was aufgrund der zunehmenden Automatisierung auch immer schwieriger wird.

Staatliche Hilfen zur Geburtenkontrolle in Thailand

Das südostasiatische Königreich hat schon vor Jahrzehnten ein Gesundheitssystem mit Ärztehäusern auch in den ländlichen Regionen eingeführt. Heute verfügt es über ein vergleichsweise vorbildliches Gesundheitssystem mit einem hohen Standard. Schon in den 1970er-Jahren hatte das Land damit begonnen, Frauen bei der Verhütung zu unterstützen.

Da die thailändische Gesellschaft eine traditionell matriarchalische Struktur besitzt, das Erbe zumindest auf dem Land meist der mütterlichen Linie folgt und der Bräutigam für die Braut einen Brautpreis an die Eltern der Braut abgeben muss, stehen weibliche Nachkommen deutlich höher im Kurs als männliche. So mancher Junge hat seine Existenz der Tatsache zu verdanken, dass man seine männlichen Attribute aufgrund seiner Position im Mutterleib per Ultraschall nicht gesehen hat.

In Thailand ist die Bevölkerung in den vergangenen Jahren in der Folge der Reduzierung der Zahl der Kinder pro Familie so sehr geschrumpft, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften das lokale Potenzial weit überstieg und Wanderarbeiter aus Myanmar und Kambodscha verstärkt auch illegal ins Land strömten und vielfach zu deutlich schlechteren Konditionen als ihre einheimischen Kollegen beschäftigt wurden.

Berichtet wurde sogar von Fällen, in denen Wanderarbeiter an ihren Arbeitsplätzen angekettet wurden. Mit dem Global compact for migration wuchs nicht nur bei lokalen NGOs, sondern auch bei staatlichen Stellen die Hoffnung, dass die Arbeitsmigration künftig legal und geordnet ablaufen könne. Im Zusammenhang mit einem aus Myanmar nach Thailand eingeschleppten Covid-19-Cluster wurde kürzlich beispielsweise erwogen, die illegal Eingewanderten zu legalisieren.

Eine Folge der komplementären Entwicklung in China und Thailand

Der durch die Ein-Kind-Politik in China ausgelöste Überschuss junger Männer im heiratsfähigen Alter passen nur auf den ersten Blick zur komplementären Entwicklung in Thailand, wo die Zahl der jungen Frauen traditionell die Zahl der Männer übersteigt, weil Familien vielfach befürchten, dass sie das geforderte Brautgeld nicht aufbringen können, ohne sich bis über beide Ohren zu verschulden oder Land zu verkaufen und somit ihre wirtschaftliche Basis zu schmälern.

Vor diesem Hintergrund blüht der Frauenhandel, dessen Profiteure die vielfach prekäre Lage von Familien mit Töchtern ausnutzen. Im zwischen China und Thailand gelegenen Laos hat sich der Frauenhandel zwischen den beiden Nachbarstaaten besonders professionalisiert. Obwohl die Volljährigkeit in Thailand erst mit 21 Jahren erreicht ist, werden Mädchen teilweise schon mit 15 nach China verkauft, wie das Onlinemagazin südostasien berichtet. Sie stehen dort vor dem Dilemma, keine chinesischen Ausweispapiere zu erhalten und müssen die Familie verlassen, sobald das erste Kind geboren ist, das dann beim Vater bleibt. Werden die Frauen jedoch nicht schwanger, droht ihnen die Gefahr, weiter verkauft zu werden.