Wenn ein Nazi die Frau in sich entdeckt
Marla-Svenja (hier nicht im Bild) zeigt: Nationalsozialismus kann in der Geschlechterpolitik flexibel sein.
Ein Neonazi wird zur Frau. Kann man mit Vollbart, Basecap und völkischer Gesinnung seine Transrechte durchsetzen? Und wann und wie gilt das Selbstbestimmungsgesetz?
Kritiker des Gesetzes hatten eine solche Wendung erwartet: Nun hat die Neonazi-Person mit dem ehemaligen Namen Sven Liebich das Selbstbestimmungsgesetz – seit November 2024 in Kraft – genutzt, um sich offiziell als Frau zu identifizieren und den Namen Marla-Svenja anzunehmen. Dieser Schritt hat nicht nur die Medien in Aufruhr versetzt. Liebichs Entscheidung wirft auch akute Fragen bezüglich der Unterbringung im Strafvollzug auf, da eine mögliche Haftstrafe ansteht.
Die Nachricht von Liebichs Geschlechtsänderung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Medien. Die Mitteldeutsche Zeitung berichtete als erstes Medium darüber, gefolgt von Welt und Zeit. Die Reaktionen reichten von Überraschung bis zu Skepsis und Kritik.
Liebich hatte jahrelang in Halle (an der Saale) rechtsextreme "Montagsdemos" organisiert und wurde wegen Volksverhetzung verurteilt. Optisch scheint es keine Veränderung zu geben. Reporter trafen Frau Liebich mit einem Vollbart an. Sie habe "Angst vor Diskriminierung", sagte die Dame – und warf damit mehr Fragen auf, als sie beantwortete.
Die Staatsanwaltschaft Halle steht nun vor einer ungewöhnlichen Situation. Ein Sprecher erklärte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass es keinen Automatismus für eine Unterbringung im Frauengefängnis gebe und jeder Fall einzeln geprüft werde. Die rechtlichen Auswirkungen der Geschlechtsänderung scheinen begrenzt zu sein, da Liebichs Vorstrafen bestehen bleiben und die laufenden Verfahren fortgeführt werden.
Kritiker sehen sich bestätigt
Doch die Diskussion geht weit über den Einzelfall hinaus. Kritiker des Selbstbestimmungsgesetzes sehen sich in ihren Befürchtungen bestätigt. Sie hatten von jeher vor Missbrauch und Sicherheitsrisiken gewarnt. Die stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag, Andrea Lindholz, hatte das Gesetz als "großen Fehler" bezeichnet, während Sachsens Innenminister Armin Schuster vor "Schützenhilfe für Kriminelle" warnte.
Der Fall Liebich hat eine Debatte wieder entfacht, die die Spannung zwischen dem Schutz von trans Personen und der Angst vor Missbrauch des Gesetzes widerspiegelt. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen die Geschlechtsänderung für Liebichs anstehende Gerichtsverfahren und eine mögliche Haftstrafe haben und wie sich die Diskussion um das Selbstbestimmungsgesetz weiterentwickeln wird.
Von Neonazi-Person vorgeführt
Klar ist schon jetzt: Die politischen Kräfte hinter dem Gesetz und die Befürworter werden von einer in der Neonaziszene fest verankerten Person vorgeführt.
Insgesamt hatten 374 Abgeordnete für das Gesetz gestimmt, 251 dagegen, elf enthielten sich. Die Mehrheit von ihnen muss sich nun vorwerfen lassen, als Gesetzgeber versagt zu haben. Denn wenn ein Gesetz von radikalen Kritikern ad absurdum geführt werden kann, dann versagt es in der eigentlichen Intention: Schutzbedürftigen Schutz zu bieten.
Ideologische Grabenkämpfe
Aber sowohl die Diskussion um das Selbstbestimmungsgesetz als auch die parlamentarischen Lesungen und die am Ende die Abstimmung im Bundestag waren überschattet von ideologischen Grabenkämpfen. Genderpolitik ist neben Windrädern oder Migration eines der Lieblingsthemen der politischen Rechten.
Die Anhänger einer woken Identitätspolitik bei SPD, Linken und Grünen – und am Ende auch der FDP – sahen sich in der Pflicht, aus ideologischen Prinzipien dagegenzuhalten. Zwischentöne gab es kaum. Akteure der einen Seite wurden und werden von der anderen Seite aggressiv angegangen.
Die Olympia-Debatte
Das hatte sich zuletzt diesen Sommer gezeigt, als die intersexuelle Person Imame Khelif im Profiboxen bei den Olympischen Spielen gegen die Italienerin Angela Carini antrat. Der Kampf war nach 46 Sekunden vorbei. Es dauerte nur wenige Sekunden mehr, bis sich die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf dem Kurznachrichtendienst X wütend zu Wort meldete. In den Stunden und Tagen danach folgte eine radikale Kampagne konservativer und rechtsgerichteter Kräfte.
Für sie dürfte nun der designierte Präsident Donald Trump zum Vorbild werden: Als Teil seines 100-Punkte-Programms für die ersten 100 Tage seiner Präsidentschaft will er Intersexuellen und trans Personen der Zugang zum Frauensport verbieten.
Woke Widersprüche
Die in der Neonaziszene fest verankerte Person Sven Liebich ist nun also Marla-Svenja – und die Befürworter einer woken Identitätspolitik haben ein Problem. Denn während sie noch vor wenigen Monaten alle und jeden harsch angingen, beschimpften und verklagten, die Khelif aufgrund des männlichen Erscheinungsbildes und der unklaren Vorgeschichte kritisierten, sind sie jetzt erschüttert über den Fall Liebich. Plötzlich ist keine Rede mehr von "missgendern", "Diskriminierung" und "Ehre". Nein, da wird richtig vom Leder gezogen. Die taz schreibt:
Wohl kaum jemand glaubt, dass Liebich das neue Gesetz nutzte, um endlich x>ein Coming-out als Frau zu realisieren. Die Mitteldeutsche Zeitung, die zuerst über den Fall berichtete, traf Liebich mit Vollbart an, der gilt als männliches Attribut.
Die SPD-nahe Seite Endstation Rechts meint:
Der Rechtsextremist Sven Liebich missbraucht das neue Selbstbestimmungsgesetz und hat seinen Namen sowie Geschlechtseintrag offiziell zu Marla Svenja Liebich geändert. Das hat womöglich auch strategische Gründe, ihm drohen aktuell mehrere Haftstrafen.
Endstation rechts
Auch das Magazin Queer zweifelt die selbsterklärte Geschlechteridentität Liebichs an und befindet:
Der für seine Provokationen berüchtigte Rechtsextremist Sven Liebich hat laut einem Bericht der Mitteldeutschen Zeitung seinen Geschlechtseintrag auf "weiblich" ändern lassen. Sein neuer Name sei Marla Svenja Liebich.
Queer.de: "Queerfeindlicher Rechtsextremist Sven Liebich hat Geschlechtseintrag ändern"
Einige dieser Akteure und Medien könnten Probleme bekommen. Denn die Neonazi-Person Marla-Svenja Liebich will jeden verklagen, der in dem Fall "missgendert".
"Taktisch genial" findet der Nürnberger Psychiater Thomas Lippert das Vorgehen der Neonazi-Person Liebich:
Wer die Rechtsextremistin Frau Liebich weiterhin zu Unrecht mit ihrem Deadname Sven bezeichnet, begeht (...) eine strafbewehrte Ordnungswidrigkeit. Finde ich sehr bemerkenswert.
Thomas Lippert
Der Ludwigsburger Arbeitsrechtler Arnd Diringer meint:
Ist der Rechtsextremist Sven Liebich transsexuell? Oder will er in Frauenräume(n) eindringen? Will er sich vlt. "faktisch" (= für sein Umfeld) durch mehrfachen Namenswechsel ein "neues Leben schaffen"? Das weiß keiner. Und genau das ist das Problem am #Selbstbestimmungsgesetz.
Arnd Diringer
Dabei hatten Befürworter der umstrittenen Gesetzesegelung einen möglichen Missbrauch immer in Abrede gestellt: In einem Gastbeitrag für das juristische Fachportal Legal Tribune Online hatte ein Befürworter des Selbstbestimmungsgesetzes die Feministin Alice Schwarzer harsch angegangen. Sie halte Transsein "für eine Modeerscheinung und unterscheidet ohne empirische Belege zwischen 'unechten' und 'echten Transsexuellen' Was für eine Anmaßung!"
Hü und Hott bei Transvereinen
Und jetzt? Der Verein "Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit" schreibt reichlich verklausuliert über die "Causa Liebich", es bestehe "eine gewisse Wahrscheinlichkeit", dass die aus der Neonaziszene bekannte Person dieses Namens provoziere, "um rechtsradikaler Propaganda, transgeschlechtliche Frauen unter Generalverdacht zu stellen, neue Nahrung zu geben".
Kalle Hümpfner, Leiter der gesellschaftspolitischen Arbeit beim Bundesverband Trans*, forderte nach der Verabschiedung des Gesetzes im vergangenen November aber sogar noch einen weiteren Abbau der staatlichen Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung:
Uns erreichen regelmäßig Berichte, dass Standesämter die Vorgaben des Gesetzes unterschiedlich auslegen und interpretieren. Das betrifft vor allem die Wahl der Vornamen. Es darf keine diskriminierenden Bestimmungen bei der Vornamenswahl geben, die das Recht auf Selbstbestimmung einschränken. Das Selbstbestimmungsgesetz muss in seiner Anwendung respektvoll mit dem breiten Spektrum geschlechtlicher Identitäten umgehen.
Kalle Hümpfner
Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet Argumente
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes schreibt indes, "nicht alle Individuen, die sich als Transgender verstehen, unterziehen sich einer Geschlechtsangleichung". Warum wird von Journalisten dann darauf verwiesen, dass "Marla-Svenja Liebich" einen Bart trägt, Jeans und Basecap?
Kann das – gemeinsam mit der rechtsextremen Einstellung – nicht eine weitere Spielart neuer Geschlechteridentitäten sein: die verängstigte Nazibartfrau oder "veNa#Ba*Fr_u"?
Strafvollzug vor Problemen
Die aus der Neonaziszene bekannte Person mit dem neuen Namen "Marla-Svenja Liebich" ist alles Mögliche, sicher aber nicht blöd. Sie weiß, dass die Anerkennung der geschlechtlichen Identität von trans* Personen im Strafvollzug in Angesicht des Selbstbestimmungsgesetzes erhebliche Probleme schafft. Und diese offene Flanke der Justiz wurde vom Gesetzgeber aus ideologischer Verblendung bewusst geschaffen.
Das Gesetz ermöglicht die Änderung des Geschlechts, es regelt aber nicht explizit alle Bereiche, in denen Konflikte auftreten können, wie im Strafvollzug. Dort besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz- und Antidiskriminierungsprinzip, das eine getrennte Unterbringung von Männern und Frauen vorsieht, und dem Schutz der Geschlechtsidentität.
Unterbringung "in der Regel" nach Geschlecht
In der Regel erfolgt die Unterbringung nach dem im Pass eingetragenen Geschlecht. Im Falle einer Nichtanerkennung ihrer selbstbestimmten geschlechtlichen Identität gibt es jedoch Möglichkeiten für Betroffene, eine Nichtanerkennung durch die Behörden anzufechten.
Auf nationaler Ebene können Verwaltungsgerichte angerufen werden, um eine Unterbringung entsprechend der Geschlechtsidentität zu erwirken. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit mehrfach zugunsten der Rechte von trans* Personen entschieden.
EU-Rechtsprechung transfreundlich
Auch auf europäischer Ebene hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in mehreren Fällen die Rechte von trans* Personen gestärkt, darunter das Recht auf Anerkennung der Geschlechtsidentität (2002) und das Recht auf geschlechtsangleichende Operationen ohne vorherige Sterilisation (2015).
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass die Diskriminierung einer trans* Person aufgrund ihrer Geschlechtsangleichung eine Form der Geschlechtsdiskriminierung darstellt (1996) und dass trans* Arbeitnehmer/innen das Recht haben, gemäß ihrem erworbenen Geschlecht behandelt zu werden (2007).
Mehrfachdiskrininierung hinter Gittern
Trotz dieser juristischen Möglichkeiten gibt es weiterhin Herausforderungen: Die Rechtsverfahren zur Geschlechtsanerkennung fallen unter nationale Kompetenzen, es gibt keine einheitlichen europäischen Erlasse in diesem Bereich. Entscheidungen werden oft im Einzelfall getroffen, was zu Unsicherheiten führen kann. Im Strafvollzug kann es zur Isolierung "zum eigenen Schutz" kommen, was eine weitere Form der Diskriminierung darstellen kann.
Die Ampelkoalition hat in den drei Jahren ihres Bestehens aus ideologischer Verbohrtheit vieles schlimmer gemacht. Dazu gehört auch die Geschlechterpolitik, bei der Gesetze auf Basis weltanschaulicher Wunschvorstellungen erlassen worden sind, nicht jedoch auf Basis rechtsstaatlicher Prinzipien oder gar gesellschaftlichen Konsens. Die "Causa Liebich" lässt Befürworter einer woken Identitätspolitik schon jetzt nicht gut dastehen.
Den weiteren Verlauf des Falles werden viele Beobachter mit großem Interesse verfolgen. Darunter empörte Transaktivisten, sich selbst widersprechende linke Presse – und eine unter ihrem Vollbart wohl grinsende "Marla-Svenja Liebich", bisher berüchtigt als, wie der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt einmal schrieb, "der bekannte Rechtsextremist Sven Liebich".
Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version dieses Beitrags stand, dass das Geschlecht im Ausweis vermerkt werde. Das war unpräzise: Der Begriff "Ausweis" wurde durch "Pass" ersetzt. In Deutschland ist das Geschlecht im Personalausweis nicht vermerkt, wohl aber im Reisepass. Zudem war in einer früheren Version die Aussage zur Person Liebich am Ende des Textes fälschlicherweise dem Verfassungsschutz Sachsen zugerechnet worden. Richtig ist, dass das Zitat aus dem Verfassungsschutzbericht Sachsen-Anhalt stammt, wie auch aus dem Link hervorgeht.