Wer Frieden will, bereite den Frieden vor

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Telepolis dokumentiert: "Runter von dem Irrweg der Eskalation im Ukraine-Krieg" – Erklärung der Martin-Niemöller-Stiftung

Mit der folgenden Erklärung hat sich die 1977 gegründete protestantische Martin-Niemöller-Stiftung zum Krieg in der Ukraine zu Wort gemeldet. Die Organisation wirbt für Dialog und den Abbau von Feindbildern, um das friedenspolitische Engagement des Theologen Martin Niemöller fortführen. Die Niemöller-Stiftung ist weder parteipolitisch noch konfessionell gebunden. Arbeitsschwerpunkte sind Tagungen, Diskussionsveranstaltungen, die jährliche Verleihung des "Julius-Rumpf-Preises" sowie das "Projekt Peremoha" in der Ukraine.

In der Tradition der Ersten Ökumenischen Vollversammlung in Amsterdam 1948 sagen wir: "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!" Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf das Schärfste!

Nach langen Wochen des Krieges stellen wir fest: Die Erwartung einer besseren Position der Ukraine für einen Verhandlungsfrieden durch die Lieferung von immer mehr und immer gefährlicheren Waffen führt in die Irre, weil sie eine letztlich unkontrollierbare Eskalation des Krieges und eine Gefahr für den Weltfrieden bis hin zur Gefahr eines Weltkrieges mit sich bringt.

Mit jedem weiteren Tag verlängern und steigern sich die Leiden der Bevölkerung und der Soldaten. Durch Waffenlieferungen werden Kriege befeuert und nicht beendet. Als Christ:innen suchen wir im Vertrauen auf Gottes Zuspruch nach Alternativen zum gegenwärtigen Streben nach Absicherung durch Abschreckung, Gewalt und Drohungen. Wir suchen Alternativen, die nicht gegeneinander, sondern miteinander gemeinsame Sicherheit und Frieden in Europa ermöglichen.

Die militärische Entwicklung im Ukraine-Krieg (19 Bilder)

Frontverlauf am 26. Februar 2022

Wie alle, die sich persönlich und ernsthaft in Gesellschaft, Kirchen und Politik um Klarheit bemühen, müssen wir uns mit Zweifeln und Irritationen auseinandersetzen. Wir fordern aus ethischen und Gründen der Vernunft: Es müssen unverzüglich ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand eingeleitet werden.

Erst ein Waffenstillstand bildet die Voraussetzung dafür, politische Verhandlungen über einen Friedensschluss und eine künftige Friedensordnung führen zu können.

Den Vorschlag des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr Harald Kujat, den Nato-Russland-Rat (NRR) einzuberufen, halten wir für einen aussichtsreichen Weg für den Spurwechsel aus dem Krieg zu Verhandlungen.

Der Beginn von Verhandlungen ist keine "Kapitulation". Der Abzug der russischen Truppen bei gleichzeitiger Verringerung der Sanktionen könnte einen zu verhandelnden Ausgangspunkt bilden.

Eine Grundlage für Verhandlungen können u.a. die von Präsident Selenskyj in den ersten Kriegswochen vorgetragenen Ideen einer Neutralität der Ukraine und späterer Verhandlungen über den Status des Donbass und der Ukraine bilden.

Verhandlungen müssen so geführt werden, dass eine gesichtswahrende Lösung und eine künftige Friedensordnung im Interesse aller europäischen Staaten möglich wird – einschließlich Russlands und aller ost- und mitteleuropäischen Staaten.

Die Annexion Elsass-Lothringens 1871 sowie der Friedensvertrag von Versailles 1919 lehren uns, dass die Demütigung des Gegners zu dauerndem Unfrieden und Revanchepolitik führt.

Hoffnung auf militärische Lösung trügerisch

Die Hoffnung auf einen militärischen Siegfrieden der Ukraine mithilfe westlicher Waffen, militärischer Ausbildung und Logistik trügt. Sie würde das militärisch übermächtige Russland in eine Ecke drängen, die es zu noch gefährlicheren, möglicherweise nuklearen Eskalationsschritten verleiten könnte. Deshalb dürfen die roten Linien bei Waffenlieferungen und militärischer Unterstützung nicht beständig nach vorne verlegt werden.

Die Eskalation der militärischen Gewalt wird dem "Ernstfall Frieden" (Heinemann) und dem Erhalt der Freiheit des ukrainischen Volkes nicht gerecht.

Die Martin-Niemöller-Stiftung e.V. hält angesichts der dramatischen Dynamik des Kriegsgeschehens an erprobten Maximen fest, die geeignet sind, den Konflikt militärisch und politisch zu deeskalieren:

- Sie unterstützt friedensfördernde Initiativen und Debatten. Sie spricht sich gegen Flugverbotszonen, gegen weitere Waffenlieferungen, gegen die Ausbildung ukrainischer Soldaten an "schweren" Waffen und gegen das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus.

- Deutschland und die Nato dürfen infolge des Beistandes für die Ukraine in einem absehbar längeren Abnutzungskrieg nicht zur Kriegspartei werden. Gegenwärtig sind wir de facto und entgegen den Erklärungen seitens Deutschlands und der Nato auf dem Weg dorthin. Die Grenze dazu könnte schon überschritten sein, weil ukrainische Soldaten seit dem 11.5.2022 in Deutschland an "schweren" westlichen Waffen, der Panzerhaubitze 2000, ausgebildet werden, sodass "der gesicherte Bereich der Nichtkriegführung verlassen" sein könnte.1

- Im Hinblick auf einen künftigen Friedensschluss ist schon jetzt eine Politik zu konzipieren, die sich an den in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von Helsinki (KSZE) entwickelten Grundsätzen der Souveränität aller Staaten und ihrer "Gemeinsamen Sicherheit" orientiert. Wir plädieren für eine Kurskorrektur in der aktuellen Kriegs- und Sicherheitspolitik.

- Das Paradigma des Wettrüstens und des Blockdenkens ist umzudenken in ein Paradigma der Entfeindung und der Abrüstung. Es muss zunächst auf die Bestätigung und dann ggf. die Weiterentwicklung der Verträge über antiballistische Raketen (ABM), nukleare Mittelstreckenraketen (INF), unbewaffnete Beobachtungsflugzeuge (Open Sky) und konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) gedrungen werden.

- Die diesjährige Konferenz der Vertragsstaaten des Atomwaffenverbotsvertrages (AVV) muss die Abschaffung aller Atomwaffen fordern. Die Absage an Geist, Praxis und Politik der atomaren Abschreckung bleibt auf der Tagesordnung. Rüstung tötet schon jetzt! Der damit verbundene Aufwand von Ressourcen behindert den Kampf gegen die ökologische Zerstörung der Erde und gegen den Hunger von Millionen Menschen. Bei weiterer Hochrüstung können die überlebenswichtigen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen nicht erreicht werden. Sozial prekäre Verhältnisse gefährden die Stabilität von Demokratien und begünstigen menschenfeindliche Attacken.