Wer das freie Internet gegen Staat und Konzerne verteidigt

Journalist Stefan Mey stellt in seinem neuen Buch die "digitale Gegenwelt" zu Google, Windows und Co. vor. Auf Telepolis lesen Sie exklusiv einen Auszug aus "Der Kampf um das Internet".

"Der Traum ist aus. Das Internet ist kaputt." So lautete eine Diagnose wenige Tage nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden. In den Tagen im Sommer 2013 war allen klar geworden: Die schönen, oft kostenlosen Dienste, Programme und Plattformen, die das Leben bereichern, sind gleichzeitig dreiste Datensammelmaschinen.

Grell leuchten sie ihre User aus, in denen sie beliebig anzapfbare wandelnde Datenpakete sehen. Die so entstehenden Daten sind die Grundlage eines paranoiden staatlichen Überwachungsapparats, der alles sammeln und alles wissen will.

Macht über Technologie und damit über Daten, Geldströme und gesellschaftliche Regeln ist Macht über Menschen. Und die ist auf eine absurde Art ungleich verteilt.

Stefan Mey. Bild: Sergei Magel

Auf die unbefriedigenden Verhältnisse im kommerziellen Internet haben Politik und Wirtschaft bisher kaum funktionierende Antworten gefunden. Die Zivilgesellschaft im Netz hat Antworten.

Zu fast jedem kommerziellen Produkt gibt es eine Alternative. Nicht alle sind perfekt. Nicht alle sind so datensparsam und partizipativ, wie sie es sein könnten. Einige Projekte laden auch Laien zur Mitarbeit ein, andere sind voraussetzungsvoll oder eher verschlossen. Projekte wie Wikipedia, Firefox und Signal haben jeweils mehr als 100 Million User. Andere sind nischig.

Die zehn detailliert vorgestellten Projekte sowie die 25 im Anhang skizzierten Initiativen sind nur ein Ausschnitt der Vielfalt. Es gibt Hunderte solcher Projekte zu freien Inhalten, freier Software und vielem mehr, die nicht in dieses Buch gepasst haben.

Communitys, Organisationen und Unternehmen

Diese digitale Gegenwelt hat eigene Logiken. Viel entsteht in ehrenamtlicher Arbeit. Menschen beteiligen sich, weil sie in der Befreiung von Bits und Bytes einen Beitrag zur Befreiung der Gesellschaft sehen.

Die Communitys, die mal nur aus wenigen Personen, mal aus Tausenden Aktiven bestehen, treibt die Freude an, Technologie zu verstehen und deren Grenzen zu sprengen. Bewaffnet nur mit einem scharfen Verstand und einer Tastatur hebeln sie die Übermacht von Konzernen und staatlichen Überwachungs- und Zensurapparaten aus.

Die Aktivist*innen wollen Privatsphäre dort technisch schützen, wo die Wirtschaft übergriffig ist, der Staat nur unzureichende Lösungen parat hat und mitunter selbst Teil des Problems ist. Sie treibt das ur-menschliche Bedürfnis an, mit anderen zusammen an etwas Großem zu arbeiten. Oft sitzt man dabei vor einem Bildschirm.

Manchmal besteht die Zusammenarbeit auch darin, in einer Kneipe Bier zu trinken, auf Konferenzen in Hunderte Augen zu schauen oder aufmerksam durch die Nachbarschaft zu gehen, um eine freie Weltkarte zu komplettieren.

Organisationen sind oft eine zweite Säule. Sie sind mal winzig klein und mal Giganten. Einige erledigen den Großteil der Arbeit, andere dienen im Hintergrund dezent und bescheiden der Community.

Und dann sind da noch die Unternehmen, die auf den ersten Blick wie Fremdkörper wirken. Ohne ihre Beteiligung wäre die digitale Gegenwelt allerdings sehr viel ärmer. Mit ihren Open-Source-Geschäftsmodellen sprengen sie die Grenzen von Gemeinwohl und Kommerz.

Das Zauberelixier dieser magischen Welt sind die freien Lizenzen. In ihrer radikalsten Form verwandeln sie alles, was sie benetzen, ebenfalls in digitales Gemeingut. Die Lizenzen zähmen die Unternehmen, weil immer die Möglichkeit im Raum steht, dass unzufriedene Communitys rebellieren und sich mit Abspaltungen selbstständig machen. Und sie sorgen für ein permanentes Wachstum, weil immer neue Projekte entstehen.

Noch nicht am Ziel

Die Begeisterung darf nicht den Blick darauf verstellen, dass die aktuellen Machtverhältnisse im Internet erdrückend sind. Die meisten Menschen surfen nicht mit Firefox oder dem Tor-Browser im World Wide Web, sondern mit Chrome von Google oder Safari von Apple.

Sie kommunizieren nicht über Signal, sondern über WhatsApp. Nicht OpenStreetMap leitet sie durch die Welt, sondern Google Maps. Keine Frage: Bis sich die Machtverhältnisse auch praktisch ändern, muss viel passieren.

Jede*r kann sich auf verschiedene Arten beteiligen. Die Nutzung der Dienste, Plattformen und Programme ist kostenlos. Man bezahlt noch nicht einmal mit Daten. Die digitale Gegenwelt ist eine Mitmachwelt. Mit allen neuen Usern wird sie vielfältiger.

Projekte, die einem am Herzen liegen, kann man mit Spenden unterstützen. Das macht sie stark und unabhängig. Und man kann aktiv mitarbeiten und Zeit und Arbeitsbeiträge spenden.

Mastodon und Wikipedia, LibreOffice und OpenStreetMap, Firefox und Signal, Debian und Tor. Im Zusammenspiel ergeben diese Projekte einen ernst zu nehmenden Gegenentwurf, der darauf wartet, entdeckt und genutzt zu werden.

Eine andere digitale Welt ist nicht nur möglich. Sie ist schon lange da.