Wer fürchtet Chinas Atomstrom?
Chinas rasanter Ausbau der Kernenergie bereitet der Konkurrenz Kopfzerbrechen. Welche Rolle spielt die Geopolitik bei der Renaissance der Atomkraft? Ein Ausblick.
"Chinas schneller Ausbau der Kernenergie bedroht die Vorherrschaft der USA in diesem Sektor", befürchtet Oilprice.com.
Da blicken die Kollegen des bekannten Online-Portals allerdings (noch) in die falsche Richtung. Top-Exporteur von Atomtechnik und Kernbrennstoffen ist nämlich Russland. Die größten Importeure von Atomtechnik sind China und Frankreich.
Dennoch: China ist mittlerweile zu einem weltweit führenden Produzenten von Kernenergie aufgerückt.
Atomenergie wird weltweit inzwischen wieder als vielversprechende Grundlaststromquelle für eine kohlenstoffarme Zukunft propagiert, und viele Länder nehmen dieses Argument ernst. Atomkraftwerke bauen wollen vorwiegend Russland und Indien, aber auch die Türkei, der Iran, Ägypten und Argentinien. Darum wird diese Technologie mehr und mehr zu einem geopolitischen Schlachtfeld.
Atomenergie als Grundlaststromquelle für eine kohlenstoffarme Zukunft?
Russlands Kernenergiesektor erwirtschaftet trotz der Sanktionen gegen seine fossilen Brennstoffe zudem weiterhin beträchtliche Einnahmen mit der Branche: 2023 waren es umgerechnet immerhin 740 Mio. US-Dollar. Westliche Länder wenden sich also zunehmend an China, wenn es um Lieferketten für Kernenergie geht, was Chinas wirtschaftliche und geopolitische Macht stärkt.
Waren die Vereinigten Staaten jahrzehntelang der weltweit größte Kernenergieerzeuger, hat sich Peking seine Nutzung der Atomenergie verdoppelt und in den vergangenen zehn Jahren eine Kernenergiekapazität von 34 Gigawatt aufgebaut. Dafür haben die Vereinigten Staaten vier Jahrzehnte benötigt.
Derzeit sind in China 56 Atomkraftwerke in Betrieb, womit das Reich der Mitte mit Frankreich gleichgezogen hat. In den Vereinigten Staaten laufen 94 Reaktoren, in Russland 36 Reaktoren.
30 Reaktoren in sechs Jahren
Laut World Nuclear Organisation plant Peking bis 2030 wohl weitere 30 Reaktoren zu bauen. China errichtet seine Anlagen wesentlich kostengünstiger als andere Länder, was zum einen Vorzugskrediten mit günstigen Konditionen von staatlichen Banken zu verdanken ist, zum anderen einer günstigen Struktur der Lieferketten.
In den USA lebt die Branche dagegen von der Substanz. Das neueste Atomkraftwerk der USA ging mit sieben Jahren Verspätung ans Netz – bei verdoppelten Baukosten. Bei der Lobby geht die Furcht um, dass die zivilen Nuklearambitionen des Landes völlig zum Erliegen kommen könnten.
Chinas schnelles und rasantes Wachstum auch in diesem Sektor hat führende Politiker in den USA aufgeweckt, weil China bald Atomkraftwerke in großem Umfang exportieren könnte. Das wiederum könnte die Beziehungen der USA zu den Importländern zusätzlich schwächen. Und es würde im Gegenzug den Einfluss Chinas im Energiebereich in den Schwellenländern noch weiter stärken.
Abhängigkeit von Energieimporten verringern
Für Peking ist es allerdings zunächst viel wichtiger, seine Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten zu verringern. Und solange keine wirklich preiswerte Energiespeichertechnologie vorhanden ist, bieten Atomkraftwerke Peking eine Möglichkeit, den Grundlastbedarf beim Elektrizitätsverbrauch zu decken.
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China baut viele Windturbinen und Sonnenkollektoren, aber diese sind von den natürlichen Gegebenheiten abhängig. China hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, bis 2060 den Anteil der in Kernkraftwerken erzeugten Elektrizität von heute rund fünf auf 18 Prozent zu erhöhen.
Technische Weiterentwicklungen
Bleibt die Frage, ob Atomtechnik auch technisch zukunftsfähig ist – vorwiegend angesichts immer preiswerter werdender, ökologisch verträglicherer Energieformen. Die Antwort Pekings sind Kugelhaufenreaktoren der vierten Generation. Ein Kraftwerk, das nach dem gleichen Prinzip funktionierte, wurde auch in Hamm-Uentrop errichtet, lief aber nur wenig mehr als 400 Volllasttage.
Zwar ist die Abfallproblematik auch für diesen Reaktortyp keineswegs geklärt und eine Menge Sicherheitsfragen blieben bisher offen. So entzünden sich die tennisballgroßen Kugeln bei der Berührung mit Luft. Auch liefert eine solche Anlage mit rund 200 MWh nur etwa ein Fünftes des Stromes eines herkömmlichen Großkraftwerks.
Doch hat die Technologie auch Vorteile: Eine Kernschmelze wie in Tschernobyl oder Fukushima ist in einer solchen Anlage nicht möglich. Die Kraftwerke kommen zudem ohne hohe Drücke aus, was möglichen Unfallszenarien einen weiteren Schrecken nimmt.
Ein AKW mitten in der Wüste Gobi
Einige Modelle laufen zudem bei höheren Temperaturen als herkömmliche Atomkraftwerke. Diese Prozesswärme kann etwa in der chemischen Industrie genutzt werden.
Seit Mitte 2023 läuft zudem der erste Thorium-Salz-Schmelzreaktor im Reich der Mitte. Er versorgt die Stadt Wuwei in der Wüste Gobi und wird vom renommierten Shanghai Institute of Applied Physics der Chinesischen Akademie der Wissenschaften betrieben.
Hier wird Thorium statt Uran verwendet, um die Atomspaltung aufrechtzuerhalten. Der abgelegene Standort konnte gewählt werden, weil dieser Reaktortyp kein Wasser für die Kühlung benötigt. Gekühlt wird stattdessen mit Helium.
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