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Wer gesehen wird, hat schon verloren

Bild: Bildersturm Film

Der neue Dokumentarfilm "Krieg & Spiele" versucht die Beziehungen zwischen Drohnentechnologie, Robotik, KI und Computerspielen zu zeigen

Was haben ein DDR-Modellflugzeug-Enthusiast, eine israelische Firma für unbemannte Fluggeräte, ein Chip mit Nanodraht-Synapsen und das Computerspiel "Call of Duty: Black Ops II" miteinander zu tun? Fast nichts? Richtig. Diese Technologie-Themen dennoch in einen intimen Zusammenhang miteinander zu bringen, schickt sich der neue Dokumentarfilm "Krieg & Spiele" von Katrin Jurschick an.

90 Minuten lang stellt "Krieg & Spiele" dokumentarische Szenen aus der Industrie, von Privatleuten mit dediziertem technischen Interesse, Aufnahmen aus Kriegsgebieten, Interview-Passagen mit Wissenschaftlern, Militärs und Industriellen und immer wieder Computer- und Kamerabilder von Drohnen, die zur Observation im militärischen und zivilen Einsatz sind, nebeneinander.

Verbunden ist diese Inszenierung durch zwei Stilmittel: Zum einen die immer wiederkehrenden inszenierten Drohnen-Perspektiven als Cut-ins zwischen den einzelnen Sequenzen und zum anderen der aphorismenhafte Off-Kommentar der Filmemmacherin.

Bild: Bildersturm Film

Man ahnt bereits im Vorspann, dass "Krieg & Spiele" eine Agenda besitzt, wenn ein kleiner Junge, der mit einem ferngesteuerten Flugzeug spielt, von einer bedrohlich wirkenden Überwachungsdrohne verfolgt wird. Kurz darauf, in der ersten Sequenz, folgen dieser Horrorfiktion Fakten: Ein ehemaliger Meister im Modellkunstflug der DDR, der seinerzeit den "Höhenrekord" für Modellflugzeuge innehatte, ist vom Flugzeug auf den Hexacopter umgestiegen.

Er stellt das Fluggerät in seinem Garten auf, schaltet es ein, die Rotoren drehen kurz an und geben ein Piepsgeräusch von sich. Auf die Frage der Interviewerin, was das war, kann der Rentner nur vage antworten: "Da verbindet sich was."; die Tage, in denen er die Technik vollständig verstanden hat, die er benutzt, sind vorbei. Dafür kann er jetzt Fotos seiner Wohngegend aus der Luft machen, von denen er weiß, dass er sie nicht ungefragt im Internet veröffentlichen darf. Technisches ist juristischen Wissen gewichen.

Vom Werkzeug zum Utilitarismus

Die "neue" Technik der unbemannten Flugzeuge wirft nämlich offensichtliche moralische Fragen auf, die nicht leicht zu beantworten sind. Dass es dabei nicht immer um möglicherweise nackte Nachbarn geht, wird kurz darauf klar, wenn die Dokumentarfilmerin den Handlungsort nach Israel verlegt. Dort wird der Militäreinsatz von Drohnen bei der Terrorismusbekämpfung vorgeführt.

Bild: Bildersturm Film

Außerdem findet die Filmemacherin hier die Erfinder dieser Technologie, David Harari, Yair Dubester und Michael Shefer [1], welche die (später nur einmal beim Namen genannte) "Drohnen-Philosophie" formulieren: Mit ihrer Technologie würden zwar Menschen getötet, aber weit weniger Menschen und weit seltener die falschen als mit vorherigen Kriegsgeräten. Utilitarismus ist hier und auch bei anderen "Befürwortern" der Drohnen-Technologie die moralphilosophische Methode der Wahl.

Der Berliner Politologie Herfried Münkler [2], der als Experte auf dem Gebiet der "neuen Kriege" und der asymetrischen Kriegsführung gilt, theoretisiert die Fragestellung noch weiter: Wir leben in einem postheroischen Zeitalter, einem, in dem man nicht mehr das eigene Leben und die eigene Gesundheit in die Waagschale der Kriegsschlacht wirft, sich also nicht mehr als Kriegsheld sieht und sehen will, sondern aus sicherer Distanz Krieg führt: mit dem post-heroischen Utility per excellence - der ferngesteuerten Kampfdrohne.

Später formuliert der ehemalige Berater Colin Powells und echte Kriegsheld, Lawrence Wilkerson, es so: Der Soldat im Feld vertritt und praktiziert noch eine "echte" Ethik der Kriegsführung. Wenn er tötet, dann auf Basis dieser Ethik. Drohnenkriege werden ihm zufolge aber nicht mehr von Soldaten, sondern von Technologen geführt, die sich keine ethischen Fragen, sondern allein Fragen der technischen Machbarkeit führen. Diese Leute, die Wilkersen zufolge alle aus dem Silicon Valley stammen, machen dem Militär Angst, denn sie sind (anders als Soldaten) Mörder [3].

Das Ethos der Waffe

Die Kriegsführung befindet sich also im Umbruch. "Krieg & Spiele" versucht nun zu sondieren, welche Ursachen und Auswirkungen dieser Übergang hat. Wenn es um eine kritische Einschätzung von Techno-Utopismus geht, darf eine Stimme, die aufgrund ihres grenzenlosen Zukunftsoptimismus ein leichtes Ziel abgibt, nicht fehlen: die Ray Kurzweils.

Bild: Bildersturm Film

Er wird als Stichwortgeber für eine neue künstliche Intelligenz der Nanotechnologie gesehen, die die Dokumentarfilmerin als Keim für intelligente, (moralisch) selbst entscheidende Waffensysteme proklamiert. Und Beispiele für die Forschung an diesen Themen führt sie ebenfalls gleich an: James Gimzewski, der an der UCLA [4] einen Chip entwickelt hat, der "wie ein menschliches Gehirn funktioniert" (still vorausgesetzt, dass man bereits weiß, wie ein menschliches Gehirn funktioniert), und hierzulande Yvonne Hofstetter, die eine Firma in München [5] leitet, welche an neuer KI-Software arbeitet, die automatisch optische Muster (wie zum Beispiel fliegende Kampfflugzeuge) erkennt und daraus lernt. Erklären kann die Geschäftsführerin nicht, wie die Software das macht; "das können nicht mal die Algorithmiker".

Den Diskurs über die Angst vor der allzu neuen Technologie spielt der Film geschickt zwischen diesen beiden Polen, von denen auch die wenigsten Zuschauer detailliertere Kenntnisse besitzen, hin und her. Insbesondere dann, wenn die Maschine zur selbstständigen ethischen Bewertung ihrer Handlungen oder Handlungsoptionen gebracht werden soll, muss KI eine Methode verwenden, die die Entscheidungen weniger "kalt" erscheinen lässt.

Um den Utilitarismus kommen die autonomen Roboter aber auch nicht rum. Der wird Kampfdrohnen als Software implementiert, die auf Basis der bereits verursachten Kollateralschäden bei der Terroristenbekämpfung, bestimmte, allzu verheerende Waffentypen (sozusagen zur Strafe) deaktiviert, um nicht noch mehr Schaden bei Unbeteiligten zu verursachen.

Kriegsspiele und Krieg

Genau dieser Punkt könnte der vielleicht eigentlich innovative dieses Films sein, der sich ansonsten recht nahtlos in technik-skeptizistische und -pessimistische Werke à la "Plug and Pray" (Dafür werden wir alle exkommuniziert [6]) einreiht: Welches Ethos bringt eigentlich die Maschine selbst mit? Muss es ein von Menschen programmiertes sein oder besitzt sie vielleicht bereits eine Agenda? Diese Frage blitzt immer wieder auf - vor allem im Off-Kommentar der Filmemacherin; beantwortet wird sie allerdings nie.

Bild: Bildersturm Film

Philosophen wie der bereits genannte Herfried Münkler, Peter W. Singer [7] (wohlgemerkt: nicht der Utilitarist - der schreibt sich ohne w!), Ronald Arkin [8] und Daniel Stratman sind mehr damit beschäftigt, die ethischen Konsequenzen des Einsatzes dieser Technologien zu prognostizieren und zu bewerten; nicht aber das Ethos der Maschine selbst. Ist sie (im Nietzscheanischen Sinne) vielleicht einfach nur amoralisch oder erscheint mit ihr nicht vielleicht doch ein neuer Agent und damit die Notwendigkeit einer dialogischen Ethik zwischen ihm und den Mensch auf [9]?

Angesichts der Todesdrohung, die von den hier vorgestellten Maschinen ausgeht, erscheint die Frage zynisch - bestenfalls irrelevant. Aber es gibt Roboter ja nicht nur im Kriegseinsatz ...

Der Film zieht sich deshalb lieber auf bekanntes "kritisches" Terrain zurück … und es fehlt ja noch die zweite titelgebende Konstituente: die Spiele. Dave Anthony, der Kopf hinter der "Call of Duty: Black Ops"-Reihe und zwischenzeitlich politischer Berater [10] wird ihr Stichwortgeber. Zu Beginn werden bereits die Schwierigkeiten für den Ungeübten, den Joystick eines unbemannten Fernlenk-Aufklärers zu verwenden, in Großaufnahme inszeniert. Später wird der Joystick zur Synekdoche der postheroischen Fernsteuerung erklärt.

Dann blendet der Film mehrfach Szenen einer 3D-Shooter-Lanparty ein (wie es sie seit der günstigen und schnellen Vernetzung von heimischen Spielcomputern ja eigentlich gar nicht mehr geben dürfte), in denen sich die "Krieger" in virtuellen Schlachten austoben. Anthony und Singer sind sich sicher: Hier wird schon einmal für den späteren Einsatz am Trigger der Kriegsdrohne trainiert.

Einer der "Gassenhauer" [11] der Computerspielkritik betritt damit die Szenerie des Films. Mittlerweile weiß man längst, dass das, was man durch Shooter mit militärischen Sujets lernt, auf ganz anderen Gebieten angesiedelt ist: eher Gehorsam und militärische Disziplin als Tötungsenthemmung und Joysticktraining stehen da auf dem/im Programm.

Input-Hermeneutik

Interessanter als die Frage, was der Film durch wen und in welcher Reihenfolge sagt (davon kann sich jeder Zuschauer ja selbst ein Bild machen), ist die Frage nach dem ästhetischen Verfahren, mit dem das Gesagte und Gezeigte zu einer Aussage komponiert wird. Wie diese Aussage lautet, ist, wie geschrieben, bereits seit dem ersten Bild unzweideutig klar.

Bild: Bildersturm Film

Die Konstruktionsmethode lässt sich am besten mit dem beschreiben, was Wolfgang Welsch als "Input-Hermeneutik" [12] markiert: In Peter Weiss’ eigenen "Leseanweisungen" für seine Texte, die er an den Leser heranträgt und damit im Prinzip auch sagt, wie sie zu verstehen seien, wird das Verhältnis von Künstler und Rezipient auf den Kopf gestellt und der künstlerische Ausdruck mit der ideologisch engagierten Aussage vertauscht.

Die Mittel dazu bleiben freilich dennoch ästhetischer Natur. (Und man unterstellt sicherlich nicht zu viel, wenn man hier Beziehungen zur Sophistik sieht.) Welsch sieht derlei Input-Hermeneutik im diametralen Widerspruch zur Freiheit der Kunst und der Kunstinterpretation.

Das gilt natürlich nicht nur für Literatur, sondern auch für Filme. Jurschicks "Krieg & Spiele" hat zwar - das deutet bereits die Gattungsbezeichnung "Dokumentarfilm" an - eher den Anspruch etwas auszusagen als etwas darzustellen. Der Zuschauer soll die Beziehungen zwischen den "neuen" Technologien verstehen - und zwar so verstehen, wie sie die Dokumentarfilmerin verstanden oder zumindest komponiert hat.

Dass dokumentarische Medieninhalte nie objektives Wissen widerspiegeln, ist dem medienkompetenten Zuschauer klar. Dass sie zur Authentisierung ihrer Darstellungen inszenatorische Tricks verwenden, ebenso. Jurschick geht in der Nutzung der Input-Hermeneutik aber noch einen Schritt weiter. Es sind die oft hohlen, bedeutungsschwanger eingesprochenen und zumeist im Modus der Frage formulierten Off-Kommentare der Autorin selbst, die nicht bloß eine semantische Soundbridge zwischen den thematisch nicht immer gleich als zusammenhängend wahrzunehmenden Sequenzen des Films schlagen sollen.

Wer gesehen wird, hat schon verloren (13 Bilder) [13]

[14]
Bild: General Atomics

Sie transportiert darin auch ihre "Philosophie": Wir wissen nicht, was durch die Drohnentechnologie, durch die Robotik, durch die KI-Forschung und durch die Computerspiele-Entwicklung auf uns zukommt. Aber es deuten sich ethische Probleme an und all das verheißt nichts Gutes.

Das klingt wie das ewige Klagelied [15] der "Generation der Alten" vor dem unverstandenen Neuen. "Krieg & Spiele" hätte die Chance gehabt, einmal neue Fragen aufzuwerfen; die Personage stand - gerade in Form der Protagonisten aus Geistes- und Sozialwissenschaften - vor der Kamera. Wenn man allerdings eine Frage stellen will, dann muss man nicht nur wissen, wer und was das Befragte ist, sondern auch, was das Gefragte sein könnte.

Das sollte angesichts der wirklich wichtigen ethischen Positionen am Beginn eines Zeitalters autonom handelnder technischer Agenten nicht immer wieder der gleiche anthropozentrische Utilitarismus sein - selbst wenn er ästhetisch noch so geschickt verpackt ist, wird er langsam langweilig, weil er keine Antworten gibt, sondern nur ideologische Grenzen markiert.


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[1] http://www.iai.co.il/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Herfried_M%C3%BCnkler
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Soldaten_sind_M%C3%B6rder
[4] http://gim.chem.ucla.edu/
[5] http://www.teramarktechnologies.de
[6] https://www.heise.de/tp/features/Dafuer-werden-wir-alle-exkommuniziert-3387589.html
[7] http://www.pwsinger.com/
[8] http://www.cc.gatech.edu/aimosaic/faculty/arkin
[9] http://www.zeit.de/digital/internet/2013-05/roboter-ethik-kate-darling
[10] http://ind.pn/29X8Jzb
[11] http://gamestudies.typepad.com/game_studies/2009/03/zum-mythos-der-t%C3%B6tungshemmung.html
[12] http://bit.ly/29Q3oXN
[13] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_3294644.html?back=3294642
[14] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_3294644.html?back=3294642
[15] http://bit.ly/29Q6k6n