Wer ist Wladimir Putin?

Seite 3: Putin – eine Kollektivperson

Der Blick auf die Person Putins soll in dieser Analyse im Mittelpunkt stehen. Es ist aber unvollständig, russische Politik auf das Individuum Putin zu reduzieren. Der Ukraine-Krieg ist nicht nur "Putins Krieg". Es ist richtig, dass sich der russische Präsident eine willfährige Entourage geschaffen hat, die er autokratisch lenkt und in Distanz hält.

Trotz seines geradezu mönchisch wirkenden Hanges zur Selbstisolation ist er nicht isoliert. Ihn umgeben Geheimdienstler, Militärpersonen und loyale Oligarchen, die ihn stützen. Und er demonstriert immer wieder seine Verbundenheit mit der Bevölkerung, durch ständige Fernsehansprachen, in großen und kleinen öffentlichen Auftritten und Begegnungen, auf plakativen Bildern, in denen er sich als Sportler, Angler oder Tigerjäger präsentiert.

Putin ist eine Kollektivperson. Das gilt auch in seinem Verhältnis zur russischen Bevölkerung und ihrem Verhältnis zu ihm. Er ist mit seinem Leben eine Identifikationsfigur.

Seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen, mit Eltern, die Anhänger des Sowjetsystems waren, unter dem Krieg und Misswirtschaft gelitten hatten, sein Weg als Mitarbeiter des Staatsapparats, sein Erleben des Zusammenbruchs des Sowjetsystems, die Suche nach Neuorientierung, sein Bemühen sich hochzuarbeiten – das alles bildet Kollektiverfahrungen ab.

Als Staatslenker wird er zur Projektionsfläche der Hoffnungen vieler auf eine Neubelebung Russland. Tatsächlich hat er auch darauf hingearbeitet, dem Image als gutes, um das Wohl der Gemeinschaft und der Nation bemühtes Staatsoberhaupt zu entsprechen.

Umfragen zu Putins Akzeptanz in Russland

Kein Politiker kann sich so lange wie er ohne Unterstützung des Volkes halten. Von anfänglich knapper Mehrheit ausgehend wurde er mit immer größerer Zustimmung gewählt. Dem hat auch der Ukrainekrieg keinen Abbruch getan.

In einer repräsentativen Umfrage des russischen, nicht regierungsabhängigen Levada-Centers mit der Frage "Billigen Sie die Aktivitäten W. Putins als Präsident (Premierminister) Russlands?" bejahten dies im März 2022 83 Prozent, im Oktober 2021 waren es 67 Prozent. Die Aktivitäten der russischen Regierung billigen im März 2022 70 Prozent, im Oktober 2021 waren es 50 Prozent.

Eine gewisse Skepsis oder Unsicherheit ist aber doch feststellbar. 2022 sind es 22 Prozent, die einen "Staatsstreich" erwarten oder für möglich halten. "Massenunruhen" oder "Volksproteste" erwarten bzw. halten 47 Prozent für möglich. Angst vor dem "Missbrauch der Macht von Autoritäten" haben immerhin 53 Prozent.

Die Befürchtung, es könnte zu einem "Weltkrieg" kommen, ist übrigens nicht gering: 56 Prozent haben diese Angst. Im Vordergrund der Befürchtungen steht allerdings die Angst vor Krankheiten geliebter Angehöriger – was auf eine eher private und unpolitische Lebensorientierung der meisten Russen hinweisen könnte.4

Ein Grund der Bejahung des Putin-Regimes bei der Mehrheit der Bevölkerung ist die innenpolitische Stabilität, die er nach der chaotischen Jelzin-Zeit geschaffen hat, einhergehend mit größerem Wohlstand. Auch dass er Russland außenpolitisch wieder Geltung verschafft hat, wird mit Befriedigung wahrgenommen. Ein weiterer Grund ist die Übereinstimmung mit russisch-nationalen Werten, die Putin vertritt. Darauf werde ich noch eingehen. Es ist in nächster Zeit nicht zu erwarten, dass Bevölkerung und Führung dem Putin-Regime die Unterstützung entziehen.