"Wer ist hier der eigentliche Terrorist?"

Seite 2: Die türkische Verfassung und ihre Bedeutung für Minderheiten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die heutige türkische Verfassung basiert in Bezug auf die Minderheiten im Land auf dem "Türkentum".

Zu sehen ist das am Artikel 3: "Der Staat Türkei ist ein in seinem Staatsgebiet und Staatsvolk unteilbares Ganzes. Seine Sprache ist Türkisch."

Dies bedeutet: Es darf innerhalb der Türkei kein eigenes kurdisches oder sonstiges Gebiet geben, das Selbstverwaltung genießt und wo neben dem Türkischen andere Amtssprachen zugelassen sind.

Artikel 4: Die Vorschrift … des Artikels 3 (ist) unabänderlich, das Einbringen eines Änderungsvorschlages ist unzulässig.

Dies bedeutet: Wer vorschlägt bzw. eine Initiative ergreift, den Artikel 3 der Verfassung zu ändern, ist bereits ein Verfassungsfeind. In der Realität der heutigen Türkei wird man bereits dadurch zum Terroristenunterstützer.

Artikel 5: Die Grundziele und -aufgaben des Staates sind es, die Unabhängigkeit und Einheit des Türkischen Volkes, die Unteilbarkeit des Landes zu schützen.

Artikel 14: Von den Grundrechten und -freiheiten dieser Verfassung darf keines gebraucht werden, um Aktivitäten mit dem Ziel zu entfalten, die unteilbare Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk zu zerstören …

Artikel 27: Jedermann hat das Recht, Wissenschaft und Kunst frei zu lernen und zu lehren, zu äußern, zu verbreiten und in diesen Bereichen jede Art von Forschung zu betreiben. Das Recht zur Verbreitung darf nicht zu dem Zweck gebraucht werden, eine Änderung der Artikel 1, 2, 3 der Verfassung herbeizuführen.

Dies bedeutet: De facto wird die Freiheit der Wissenschaft und Forschung und der Kunst massiv eingeschränkt.

Artikel 66: Jeder, den mit dem türkischen Staat das Band der Staatsangehörigkeit verbindet, ist Türke. Das Kind des türkischen Vaters oder der türkischen Mutter ist Türke.

Dies bedeutet: Die Existenz von Nichttürken unter den Staatsbürgern wird abgestritten; außerdem gilt jedes Kind von Migranten aus der Türkei im Ausland automatisch als Türke/-in, egal ob er oder sie das will oder nicht.

Artikel 42: … Den türkischen Staatsbürgern darf in den Erziehungs- und Lehranstalten als Muttersprache keine andere Sprache beigebracht und gelehrt werden als Türkisch.

Dies bedeutet: Es ist verboten Kurdisch oder eine andere Sprache als Muttersprache zu lehren.

Artikel 126: Die Türkei wird hinsichtlich des zentralen Verwaltungsaufbaus, der geographischen Lage, den wirtschaftlichen Bedingungen und den Erfordernissen der öffentlichen Aufgaben entsprechend in Provinzen, die Provinzen in weiter abgestufte Einheiten unterteilt.

Artikel 127: Die lokalen Verwaltungen sind juristische Personen des öffentlichen Rechts … Die zentrale Verwaltung hat über die lokalen Verwaltungen zum Zwecke der Erfüllung der lokalen Aufgabengemäß dem Prinzip der Einheit der Verwaltung … im Rahmen der durch Gesetz bestimmten Grundsätze und Verfahren die Kompetenz der Verwaltungsaufsicht.

Dies bedeutet: Der strikte Zentralstaat bzw. seine Führung hat bis in die Kommunen hinein alles unter seiner direkten Kontrolle.

Das gegenwärtige Parteienspektrum

Grob kann man das heutige Parteienspektrum der Türkei in vier Gruppen aufteilen.

  1. Das säkulare Lager - hier ist die älteste, noch bestehende Partei Kemal Atatürks zu verorten, die CHP.
  2. Das nationalistische Lager - hier sind die faschistische MHP und deren neueste Abspaltung, die IYI Parti, zu nennen.
  3. Das islamische, bzw. islamistische Lager - hier ist die AKP die wichtigste Partei, die aus Erbakans Wohlfahrtspartei hervorgegangen ist. Dem ist noch die eher unwichtige Saadet-Partei und die kurdische islamistische Partei ‚Hüda Par‘, der legale Arm der ehemaligen kurdischen Hizbullah hinzufügen. Alle diese Parteien der beiden Lager verbindet eines: Ein mehr oder weniger extremer Nationalismus und eine feindliche Einstellung gegenüber Minderheiten. "Ein Staat, ein Volk, eine Sprache" ist der gemeinsame Slogan. Eine Ausnahme bildet:
  4. Das demokratische, linke Lager. Hier ist die junge HDP die wichtigste Partei, die aus Selahattin Demirtas Partei BDP hervorgegangen ist. Hinzu kommen noch einige kleine kommunistische Parteien, die aber relativ bedeutungslos sind. Eine Sonderrolle spielt die Arbeiterpartei Kurdistans PKK, die, ursprünglich stark stalinistisch geprägt, heute einen demokratischen, föderalen Staat mit Autonomierechten für Minderheiten favorisiert. An dieser Stelle - und nur an dieser Stelle - sind die HDP und die PKK sich ideologisch nahe. Die PKK besitzt aber, anders als die anderen Parteien einen militärischen Flügel, was ihr den Vorwurf einer ‚Terrororganisation‘ eingebracht hat. Doch dazu später.