Wer profitiert von der militarisierten "Festung Europa" gegen Flüchtende?
Mauern und Waffen für Grenzschützer. Das EU-Grenzregime wird von Rüstungsunternehmen forciert. Über Gewinner und Verlierer der Abwehr.
Das Migrations- und Grenzregime der Europäischen Union militarisiert sich zunehmend. Die jüngste Entwicklung bei dem Versuch, den reichsten Kontinent der Welt weiter abzuschotten, ist, dass man ein Netz von Auffanglagern für Flüchtlinge und Migranten anvisiert. Dabei soll enger mit afrikanischen Ländern zusammengearbeitet werden, um gegen Asylsuchende vorzugehen.
Frankreich plant Militäroperation gegen Migranten
Dabei kooperiert man mit Rüstungskonzernen, Sicherheitsdiensten und ausländischen Partner, was jedoch die Migrationskrisen nicht löst, sondern nur weitere Gewalt erzeugt und Menschenrechte sowie demokratische Standards in Europa aushöhlt.
Ein aktuelles Beispiel für diesen Trend ist ein Plan, den der französische Innenminister Gérald Darmanin im Februar vorstellte. Darin geht es um eine großangelegte Militäroperation gegen Migranten auf der Inselkette Mayotte im Indischen Ozean, ein Übersee-Département und eine Region Frankreichs, wo sich zudem ein großer französischer Marinestützpunkt befindet.
Tausende Migranten, die dorthin von benachbarten Inseln, insbesondere den Komoren, auf der Suche nach Arbeit kamen, sind in den letzten Jahren von dort abgeschoben worden, obwohl die Komoren zu dem Archipel gehören.
Im vergangenen Jahr führte Paris eine "militärisch-polizeiliche Operation mit massiven Zerstörungen" gegen Flüchtlinge auf den Inseln durch, wie es Human Rights League formuliert. Nun kündigt der französische Innenminister "extrem harte" Maßnahmen an, um die Einwanderung zu stoppen. Sogar die Erlangung der Staatsbürgerschaft qua Geburt soll abgeschafft werden.
Militarisierung von Rüstungskonzernen forciert
Den Trend zur Militarisierung der europäischen Migrationskontrolle ist von Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen in den letzten Jahrzehnten forciert worden. Während die Verteidigungsbudgets nach dem Ende des Kalten Kriegs in den europäischen Ländern schrumpften, wurde Migration zur großen neuen Bedrohung der nationalen Sicherheit erhoben.
Das Ganze bekam einen Booster nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und dem folgenden "Anti-Terror-Krieg" im Nahen Osten und Afrika.
Militärfirmen berieten die Europäische Kommission, gründeten 2004 die Europäische Verteidigungsagentur und veröffentlichten Studien, die Migration als große Gefahr ins Visier nahmen, die nur durch mehr Militärausgaben eingedämmt werden könne.
Das führte so weit, dass befürchtet wurde, die Politik werde durch Konzerne, den militärisch-industriellen Komplex, gelenkt. Zwischen 2003 bis 2013 leiteten Waffenhersteller mindestens 39 europäische Forschungsprojekte, die auf Migration fokussierten.
Smarte Grenzschutzprogramme
Die EU-Kommission stellte für "smarte Grenzschutzprogramme" fast 800 Millionen Euro bereit. Dabei ging es auch um die Entwicklung von Roboter-Hunden. Rüstungskonzerne wie Thales, Finmeccanica und Airbus profitieren von der Grenzkontrolle.
2015 wurde im Zuge der "Flüchtlingskrise" mit der Operation Sophia die erste Marineoperation im Mittelmeer gestartet, woran sich 27 Länder mit Schiffen, Flugzeugen und U-Booten an der Überwachung der Seegrenzen beteiligten.
Parallel dazu blähte man in den letzten Jahren die europäischen Sicherheitsbudgets auf. So erhält die EU-Grenzschutzagentur Frontex heute mehr Mittel als jede andere EU-Agentur.
Lukrative Geschäfte
Auch die physische Infrastruktur zur Abwehr von Schutzsuchenden ist ein lukratives Geschäft. Seit den 1990er-Jahren haben die europäischen Länder über 1.000 Kilometer Grenzzäune errichtet – das entspricht sechs Berliner Mauern. Ausgestattet werden die Grenzsicherungen mit Wärmebildkameras, Sensoren und Satelliten.
Allein die Zaunkonstruktionen und Abwehrmaßnahmen an der spanischen Enklave Melilla in Nordafrika erhielt mehr als die Hälfte der 77 Millionen Euro, die die EU für den Bau von Mauern in drei Schlüsselstaaten bereitgestellt haben.
Zugleich verfolgt die EU die Strategie, Teile des Grenzregimes auszulagern an andere Länder. So wird zum Beispiel die Türkei dabei unterstützt, Europa gegen Flüchtende abzuschotten. Zu Syrien errichtete die Erdogan-Regierung eine 746 Kilometer lange und drei Meter hohe Mauer, auf die noch ein meterhoher Nato-Draht gespannt wurde.
Der Bau wurde 2018 beendet, eine weitere Mauer zum Iran entstand kurz darauf. Die EU stattete die türkischen Grenzschützer dabei mit Sicherheits- und Überwachungstechnologie im Wert von 80 Millionen Euro aus.
Nordafrika im Visier
Auch die Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Libyen wurden von Brüssel aus unterstützt. So erhielt Marokko zwischen 2015 und 2021 für Abwehr- und Migrationskonzepte 234 Millionen Euro.
Algerien kooperiert mit der EU bei der Errichtung von Sandmauern und Erdbarrieren, an denen 50.000 Soldaten patrouillieren, um Flüchtende von Subsahara-Afrika abzuwehren. Und Libyen wird von europäischen Behörden mit schätzungsweise 100 Millionen Euro für die Küstenwache unterstützt. Italien hat Dutzende Schiffe für Tripolis bereitgestellt.
Zugleich verdienen Rüstungsunternehmen in Europa am Export von Waffen an Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas. Sie profitieren also an der Militarisierung von Staaten, die Konflikte, Gewalt und Unterdrückung verstärkt, vor denen dann Menschen Richtung Europa fliehen, während sie bei der Abwehr der Menschen auf der anderen Seite mit Sicherheitsdienstleistungen und Militarisierungen wiederum Geld machen.
Es ist also aus ihrer Sicht eine perfekte, sich selbst verstärkende Kreislaufwirtschaft.
80.000 tote Flüchtlinge: Der Preis der Abschottung
Währenddessen werden die Leichname von Hilfesuchenden an europäische Strände gespült. Seit 2014 seien, so der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk, über 26.000 Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers ums Leben gekommen oder verschollen.
Das ist sicherlich eine deutliche Unterschätzung des wahren Dramas. Das gut recherchierende Projekt "Migrant Files" geht davon aus, dass von 2004 bis 2019 bis zu 80.000 Flüchtende allein im Meer gestorben sind. Dazu käme noch einmal mindestens die gleiche Opferzahl in Folge von Verdursten, Verhungern und Ermordungen.
Die Militarisierung ist also ein zentraler Grund, der die Erosion von Menschenrechten an den Grenzen Europas vorantreibt. Dabei funktioniert sie nicht einmal im technischen Sinn, die Flüchtlingskrisen abzuschwächen, zu lösen und Migration zu ordnen.
Es ist größtenteils verschwendetes Steuerzahlergeld, womit Chaos erzeugt. Die militärische Aufrüstung führt zu weiteren Krisen, die die Lage in den Ländern verschlimmert und Fluchtbewegungen befördert.
Militarisierung und Rechtsruck
Studien zeigen uns zudem, wie die Rahmung von Flucht und Migration als Sicherheitsrisiko und Bedrohung für den europäischen Kontinent, Rechtsentwicklungen in den Ländern auslöst und befördert.
Danach ist nicht der reale Zuzug von Schutzsuchenden, sondern die Art und Weise, wie sie als Gefahr für die Bürger in der Öffentlichkeit dargestellt wurden – von etablierten Parteien, aber vor allem auch den Massenmedien – verantwortlich dafür, rechtsextreme Anti-Migrationsparteien überall in Europa in die Parlamente und auf die Erfolgsspur gebracht zu haben.
Dieser Prozess begann vor allem mit der sogenannte "Flüchtlingskrise" 2015/2016 und hält bis heute an. Das Anti-Flüchtlings-Ticket ist dabei die wichtigste Plattform, auf der die AfD, Giorgia Meloni in Italien, Marine Le Pen in Frankreich, Viktor Orbán in Ungarn, die Schwedendemokraten, Geert Wilders in den Niederlanden und so weiter frustrierte Wähler:innen mobilisieren.
Beobachter sprechen heute sogar von einem "neuen Zyklus des Rechtsextremismus" auf dem Kontinent. Die Parlamentswahlen für das Europaparlament im Juni könnten diese Entwicklungen auf eine neue Stufe heben, mit allen Konsequenzen, die das in sich birgt.
Solange die Verantwortlichen weiter auf militarisiertes Abwehr-Chaos setzen und gegenüber der eigenen Bevölkerung Schutzsuchende als Gefahr porträtieren – und das über ganz Europa hinweg –, werden Menschen- und Schutzrechte an den Grenzen mit Füßen getreten, während sich die politische Erosion der Demokratie in europäischen Ländern fortsetzt.
Die Gewinner sind Rüstungsunternehmen, Sicherheitsdienstleister und die extreme Rechte in den EU-Staaten.