Westliche Diplomatie-Verachtung: Kriege in der Ukraine, Nahost könnten beendet werden

Am 9. April 2022 erstattete der britische Premierminister Boris Johnson dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, einen überraschenden Blitzbesuch in Kiew. Einige sehen in der Intervention von Washington und London den Grund dafür, dass die Friede

Am 9. April 2022 besuchte der britische Premierminister Boris Johnson überraschend den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, in Kiew. Die Intervention von Washington und London wird von Beobachtern als Grund gesehen, warum die Friedensverhandlungen in Istanbul scheiterten.

Hätte der Krieg in der Ukraine verhindert werden können? Und was ist mit Gaza und der Rolle der Medien? Ein Essay, Teil 2 und Schluss.

Das ist der zweite Teil des Essays. Der erste Teil, "Warum wir in Gaza und der Ukraine auf der falschen Seite stehen", finden Sie hier.

Der Verteidigungsakt in der Ukraine ist längst zu einem Stellvertreterkrieg geworden, in dem die USA und Nato indirekt gegen Russland kämpfen.

Das wird im Westen auch offen anerkannt. Man gibt als Kriegsziel aus, Russland zu schädigen und zu schwächen. Über die Gefahren, die darin stecken, muss nicht weiter gesprochen werden. Es dürfte klar sein, dass die russische Atommacht bei diesem Unternehmen nicht einfach zusehen wird.

Diplomatie-Blockade als Versagen

Daher verfehlt der Fokus auf Waffenlieferungen und auf die Frage, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht, den eigentlichen Punkt. Denn es geht ja nicht darum, alle Waffenlieferungen für die Ukraine von heute auf morgen einfach einzustellen. Das würde die Ukraine wehrlos machen, die Konsequenzen kann sich jeder vorstellen.

Es geht vielmehr um den Rahmen, in dem die Waffenlieferungen stattfinden. Nämlich: Waffen ja, immer mehr, immer schwerere, egal, wie schlimm die Konsequenzen sind. Dabei sendet man an Moskau die Botschaft, dass bis zum letzten Ukrainer gekämpft werde, während es keine Verhandlungen mit Russland über eine Beilegung des Kriegs geben kann. Keine Kompromisse.

Diese Diplomatie-Blockade bzw. Diplomatie-Tabuisierung über zweieinhalb Jahre Krieg ist das eigentliche moralische Versagen des US-angeführten Westens. Und dieses Versagen geht weit in die Konfliktgeschichte zurück.

Nato-Expansion und rote Linien Moskaus

Blicken wir ein wenig zurück. Letztlich ist der Konfliktherd die Osterweiterung der Nato bis einschließlich die Ukraine und Georgien. Es gab bei der Wiedervereinigung Deutschlands das Versprechen der USA an Michail Gorbatschow, dass es keine Ausweitung der Nato nach Osten geben wird. Doch das Versprechen wurde gebrochen.

Viele ehemalige russische Satellitenstaaten wurden in die Nato aufgenommen. Auf dem Nato-Gipfel 2008 wollte die Bush-Regierung auch offiziell die Ukraine und Georgien in die Nato einladen. Dagegen legten Frankreich und Deutschland ihr Veto ein, aber aus Rücksicht auf die Vereinigten Staaten blieb der Vorschlag auf dem Tisch.

Nahezu jeder hochrangige US-Diplomat, der mit der Situation vertraut war, einschließlich des derzeitigen CIA-Chefs William Burns und anderer, warnte erneut, dass das äußerst gefährlich sei. Damit würden die roten Linien Russlands überschritten, der Kern seiner geostrategischen Bedenken missachtet, das werde Russland sich nicht gefallen lassen.

Wenn an der Aufnahme der Ukraine und Georgiens festgehalten werde, drohe am Ende eine militärische Antwort Moskaus. Washington machte weiter.

Janukowitsch-Sturz und Aufrüstung

Die USA und europäische Länder unterstützten dann den Maidan-Aufstand von 2014, manche sagen, sie hätten ihn mit angezettelt. Eine legitime, gewählte Regierung, die von Wiktor Janukowitsch, wurde gestürzt, manche sprechen von Staatscoup.

Die USA halfen dann dabei, eine US-freundliche, westfreundliche Regierung einzusetzen. Ich erinnere nur an das geleakte Telefonat der damaligen Staatssekretärin im US-Außenministerium Victoria Nuland, in dem klargemacht wurde, wen man als ukrainischen Premierminister haben wolle. Arsenij Jazenjuk ("Yats"), der Ex-Banker, wurde es dann auch.

Russland annektierte die Krim, wo ihre Schwarzmeerflotte im eisfreien Hafen liegt, ein militärstrategisch wichtiges Gebiet. Auch die Separatisten in den selbsterklärten Volksrepubliken im Osten scheint Russland unterstützt zu haben, in welcher Weise, darüber gibt es verschiedene Berichte.

Die generelle Haltung Moskaus zu den von Separatisten gehaltenen Gebieten, in denen bürgerkriegsartige Kämpfe mit vielen Toten stattfanden, blieb aber zweideutig. Man erkannte die Volksrepubliken bis zum Einmarsch im Jahr 2022 nicht an.

Parallel bemühten sich die Nato unter US-Führung, die Ukraine enger in die Nato-Strukturen einzubinden. Am 1. September 2021, ein paar Monate vor der russischen Invasion, erklärte die Biden-Regierung in einem offiziellen Dokument, nachzulesen auf der Webseite des Weißen Hauses:

Wir beabsichtigen, die Ukraine weiter mit einem robusten Ausbildungs- und Übungsprogramm auszustatten, das dem Status der Ukraine als Partner mit erweiterten Möglichkeiten der Nato entspricht.

Der "unprovozierte Krieg"

Weiter heißt es, dass die USA moderne Panzerabwehrwaffen liefern. Es gehe dabei um einen strategischen Verteidigungsrahmen, der das Fundament für erweiterte strategische Verteidigungs- und Sicherheitskooperationen zwischen den USA und der Ukraine lege. Und: Man unterstütze das Land dabei, die Voraussetzungen für die Nato-Teilnahme zu erreichen.

Im Grunde wurde also bis zum Schluss der Ukraine die Tür zum Nato-Beitritt geöffnet, während man die Ukraine aufrüstete. Das Land erhielt seit 2014 moderne Waffen, militärische Ausbildung, gemeinsame Militärübungen und Maßnahmen zur Integration der Ukraine in das Militärkommando der Nato.

In der westlichen Presse tauchte nach Kriegsbeginn die merkwürdige Formulierung vom "unprovozierten Krieg" auf, die sonst kaum verwendet wird (Die Regierung in den USA und der EU hatten dieses Narrativ vorgegeben).

Ich denke, dass es halb schlechtes Gewissen, halb Vernebelungstaktik ist, die diese Bezeichnung antreibt. Natürlich weiß man um die Vorgeschichte und die westliche Beteiligung an der Konflikteskalation. Aber besser den Krieg als "unprovoziert" in die "schwarze Wolke" zu stecken.

Die Provokationen rechtfertigten sicherlich nicht die Invasion. Aber sie machen insbesondere die USA mitverantwortlich, manche sagen hauptverantwortlich für die Konflikteskalation.

Mexiko, Kuba-Krise

Auf der anderen Seite wird gesagt, dass die Provokationen nichts zur Sache tun. Jedes Land habe das Recht, frei der Nato beizutreten. Das ist eine naive Ansicht.

Stellen wir uns nur kurz vor, in Mexiko würde ähnliches, nur umgekehrt passieren. Eine chinesisch-russische Militärallianz, feindlich gegenüber den USA und dem Westen eingestellt, würde versuchen, Mexiko derart an sich zu binden. Man denke an die Kuba-Krise, die Stationierung von russischen Raketen dort. Es wäre fast zum Atomkrieg gekommen, er konnte mit Glück knapp verhindert werden.

Fakt ist: Die Nato ist keine Wohltätigkeitsorganisation, der man frei beitreten kann, sondern ein aggressives Militärbündnis. Das ist uns im Westen vielleicht nicht so bewusst, wir profitieren ja auch von dieser Macht, siehe die Absicherung von Handelsrouten und Märkten, aber die Opfer und Gegner der Nato sehen das ein wenig anders.

Warum scheiterte Minsk?

Vor dem Einmarsch Putins gab es Optionen, die im Allgemeinen auf den Minsker Vereinbarungen beruhten und die den Krieg hätten verhindern können. Über die Frage, ob die Ukraine diese Vereinbarungen tatsächlich akzeptierte, wird debattiert. Doch die ukrainische Seite sperrte sich bis zum Schluss, Vorkehrungen der Übereinkunft umzusetzen. Zumindest verbal scheint Russland das bis kurz vor dem Einmarsch getan zu haben.

2019 wurde Wolodymyr Selenskyj mit einer überwältigenden Mehrheit – über 70 Prozent der Stimmen – auf einer Friedensplattform gewählt, mit einem Plan zur Umsetzung des Friedens mit der Ostukraine und Russland, um das Problem zu lösen.

Er begann, sich dafür einzusetzen, und versuchte tatsächlich, in den Donbass, die russisch geprägte Ostregion, zu gehen, um das sogenannte Minsk-II-Abkommen umzusetzen. Es hätte eine Art Föderalisierung der Ukraine mit einer gewissen Autonomie für den Donbass bedeutet. Er wurde von rechten Milizen und Ultranationalisten blockiert, die ihm drohten, ihn zu ermorden, wenn er seine Bemühungen fortsetzt.

Mit Unterstützung der USA und mehr Hilfe von Europa hätte Selenskyj weitermachen können. Doch Washington rührte keinen Finger. Niemand half ihm, die Umsetzung des Minsk-Abkommen innenpolitisch durchzusetzen, wie Beobachter kritisieren.

Man ließ ihn im Regen stehen. Die USA waren demgegenüber weiter fest entschlossen, die Ukraine Schritt für Schritt in das militärische Kommando der Nato zu integrieren. Das hat sich nach der Wahl von Präsident Joe Biden noch beschleunigt.

Er kam, sah und siegte

Hätte es der Diplomatie gelingen können, die Tragödie abzuwenden? Es hat nur eine Möglichkeit gegeben, das herauszufinden: indem man den Versuch unternommen hätte. Doch diese Möglichkeit wurde ignoriert.

Am Ende lehnte Putin die Bemühungen des französischen Präsidenten Macron bis fast zur letzten Minute ab, Russland eine gangbare Alternative zur Aggression anzubieten.

Kurz nach Beginn des Kriegs, nach dem gescheiterten Marsch auf Kiew und dem Rückzug der russischen Armee auf die Donbass-Region im Osten, fanden Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland statt. Das war im März/April 2022 in Istanbul unter türkischer Schirmherrschaft. Sie sind gescheitert.

Die USA und Großbritannien lehnten sie ab. Wir erinnern uns an den Blitz-Auftritt des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson in Kiew. Teilnehmer der Verhandlungen sagten später, dass die Ablehnung von Washington und London ein wichtiger, wenn nicht entscheidender Faktor für das Scheitern war.