Westliche Sanktionen und Gazprom: Der Riese wankt
Von der Cashcow zum Sorgenkind Russlands: Der Gasmonopolist Gazprom hat an Bedeutung verloren. Ein Ende seiner Krise ist trotz Strategiewechsel nicht in Sicht.
Etwa 40 Milliarden Euro hat der Verlust des Europäischen Marktes des russischen Gasriesen Gazprom infolge des Ukrainekriegs gekostet. Krisenmeldungen über den Konzern Anfang Mai erschütterten auch regierungsnahe russische Zeitungen. Einen Verlust von 6,4 Milliarden Euro musste die Gasholdinggesellschaft für 2023 vermelden.
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Die Zeitung Kommersant sprach von einer Rückkehr in die krisengeschüttelten 90er-Jahre für den Gaskonzern. Es war auch in dieser Zeit, dass der Konzern überhaupt das letzte Mal Verluste einfuhr.
Die westlichen Kunden werden weniger
Neben den stark zurückgegangenen Gasexporten in die EU machen Analysten auch den niedrigeren Gaspreis für den Rückgang verantwortlich. Die Talsohle des Gazprom-Abstiegs ist aber bisher nicht erreicht.
Der langjährige deutsche Kunde Uniper verkündete Mitte Juni ein Ende seiner langjährigen Gaslieferbeziehungen mit dem russischen Konzern.
Das Klima zwischen dem deutschen Kunden und dem Gasriesen war schon seit 2022 vergiftet, als Gazprom nach Beginn des russischen Ukraine-Feldzugs erst weniger und dann zeitweise gar kein Erdgas mehr nach Deutschland lieferte. Die Ursache waren hier einmal nicht westliche Sanktionen, sondern eine Drosselung der Zufuhr.
Uniper schreibt demzufolge seinen Anteil an der Finanzierung der Gaspipeline Nordstream 2 und seine russische Tochter Unipro ab.
Ein Schiedsgericht in Stockholm hatte Uniper erst kurz zuvor den Ausstieg aus den Lieferverträgen mit Russland ermöglicht und einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 13 Milliarden Euro wegen der Lieferausfälle wegen zugesagter, aber nicht gelieferter Gasmengen zugesprochen. Die Verträge hätten sonst automatisch bis 2030 fortbestanden.
Als letzter Großkunde in Mitteleuropa verbleibt für Gazprom jetzt noch die österreichische OMV, die Verträge bis 2040 besitzt. Doch auch hier ist das Geschäftsklima schlecht. Schiedsgerichtsverfahren sind laut der russischen Wirtschaftszeitung Wedomosti anhängig. Österreich ließ nach einer Ankündigung des zuständigen Ministeriums vom Februar den vorzeitigen Ausstieg aus den Verträgen prüfen, der nun vorerst abgewendet scheint.
Insgesamt ist das Volumen der russischen Gasexporte nach Europa um zwei Drittel gesunken. Es könnte noch weniger werden. Das Abkommen über den Transit von russischem Gas durch die Ukraine läuft Ende 2024 aus.
Die Ukraine will es auch nicht verlängern, trotz der dann sinkenden Transiteinnahmen und der Gefahr, dass auch die Gasinfrastruktur des Landes dann zum Zielobjekt russischer Luftangriffe wird, wie aktuell schon die Stromversorgung.
Markt Asien-Pazifik nur als Teilrettung mit langem Anlauf
Der Gaskonzern tut aktuell alles, um die weggefallenen europäische Großkunden zu ersetzen. Das ist nicht so einfach wie im Ölgeschäft, da beim Erdgas der Transport über feste Pipelines eine wesentlich größere Rolle spielt.
Das Erwachen folgt zudem spät, da sich Gazprom als Monopolist "auf den Rohren nach Europa ausgeruht hat und seine Lieferungen bisher eher langsam diversifiziert hat" zitiert die Moskauer Nesawisimaja Gaseta den russischen Energieexperten Adrianow.
Der russische Inlandsmarkt ist für den weggefallenen Kunden Europa dabei kein Ersatz. Tatsächlich konnte Gazprom hier seinen Absatz in der letzten Heizperiode sogar um fünf Prozent steigern, wie die Nesawisimaja Gaseta weiter vermeldet.
Das brachte aber kaum zusätzliches Geld in die Kasse, da der Konzern sein Gas innerhalb Russlands nur zu einem stark verbilligten Preis absetzen darf. "Für Gazprom ist der Inlandsmarkt vorwiegend eine soziale Belastung. Die Preise dort sind etwa vier- für fünfmal niedriger als in die EU" fasst der Marktanalyst Sergei Kaufman die Gründe für diese fehlende Alternative zusammen.
Die finanzielle Rettung soll deswegen der sogenannte Asien-Pazifik-Markt bringen: Gaslieferungen nach China, Mittel- oder Südostasien. Da sich Gasströme jedoch nur langsam umlenken lassen, schwanken die Schätzungen, bis der Lieferausfall nach Europa damit aufgefangen werden kann, zwischen sechs Jahren (regierungsnahe russische Medien) und mehr als zehn Jahren (Financial Times).
Dabei nennt die Financial Times stichhaltige Gründe für eine pessimistische Prognose. Die Kapazität der neuen Gaspipeline nach China betrage nur einen Bruchteil derer in Richtung Europa. Die Gaspreise der Chinesen seien zudem niedriger.
Zu den Argumenten des Wirtschaftsblatts sei noch hinzugefügt, dass China generell nicht beabsichtigt, nur zur russischen Stützung möglichst viel Erdgas zu kaufen. Vielmehr wird wie in Europa versucht, möglichst große Teile der chinesischen Energieversorgung auf regenerative Quellen umzustellen. Das kommt der Situation Chinas als eher rohstoffarmes Land bei Energieträgern entgegen.
Der russische Staat hat die Krise des Monopolisten bereits zu spüren bekommen. Die Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft spielen eine wichtige Rolle im russischen Staatshaushalt. Während 2023 das Ölgeschäft mit 20 Prozent aller Einnahmen des Staates noch eine zentrale Rolle spielte, steuerte das Geschäft mit dem Erdgas nur noch fünf Prozent zum Staatseinkommen bei.