Westsahara: Marokko provoziert, Polisario beendet Waffenstillstand
Seit 30 Jahren versagt die Weltgemeinschaft in der UN-Mission, das Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara zu organisieren
Seit 29 Jahren hintertreibt das autokratische Königreich Marokko systematisch das Abkommen mit der Westsahara-Befreiungsfront Frente Polisario. Grundlage für den Waffenstillstand, der 1991 zwischen Marokko und der Polisario unter Vermittlung der UNO geschlossen wurde, war ein Referendum über die Unabhängigkeit der völkerrechtswidrig von Marokko besetzten Westsahara. Sie war 1975 im sogenannten "grünen Marsch" besetzt worden.
Nach langen bewaffneten Auseinandersetzungen kam es 1991 zu einem Waffenstillstandsabkommen. Die UNO-Mission (Minurso) wurde für die Durchführung eines Referendums eingesetzt, in dem die Bewohner über die Unabhängigkeit entscheiden sollten. Doch Minurso setzt sich seit drei Jahrzehnten nicht gegen Marokko durch und lässt sich durch Rabat an der Nase herumführen.
Marokko hat das Referendum stets hintertrieben und verändert durch eine beträchtliche marokkanische Einwanderung gezielt die Bevölkerungsstruktur im besetzten Gebiet. Möglich wurde das alles auch dadurch, dass zum Beispiel die USA und Frankreich mit Rabat schon Verträge über die Untersuchung und Verwertung der Ölvorkommen in der Westsahara geschlossen hatten. Auch über das Desertec-Projekt wollte sich Marokko Wohlwollen in EU-Ländern sichern.
Die vergangenen 30 Jahre kann man als Abfolge von marokkanischen Provokationen sehen, die die Region immer wieder an den Rand des Kriegs geführt haben. Da war zum Beispiel die brutale Auflösung eines Protestlagers von Saharauis nahe der von Marokko besetzten Stadt Al-Aaiún (Laâyoune). Dabei soll es Dutzende Tote gegeben haben. Danach kam es zu massiver Empörung, als 24 Saharauis nach der Auflösung zu Haftstrafen von 20 Jahren bis lebenslänglich verurteilt wurden.
Unabhängige Berichte gibt es ohnehin praktisch nicht, da die besetzten Gebiete abgeriegelt sind, weder Journalisten noch Parlamentarier lässt Marokko in das Gebiet. So wurde zum Beispiel im vergangenen Februar auch katalanischen Parlamentariern die Einreise verwehrt.
Marokkanische Provokation
In der Nacht vom vergangenen Donnerstag auf Freitag kam es zu einer neuen und nun sehr massiven marokkanischen Provokation. Auf direkten Befehl von König Mohammed drangen marokkanische Truppen in die entmilitarisierte und von UN-Soldaten gesicherte Pufferzone am südlichen Zipfel der Westsahara ein, um eine Transitstrecke zu räumen.
Seit gut zwei Wochen blockierten Saharauis aus Protest die Straße, die den marokkanischen Teil der Westsahara mit Mauretanien verbindet, beim Grenzübergang Guerguerat. Die Straße durchquert einen fünf Kilometer schmalen Landstrich zwischen Marokko und Mauretanien. Bei der Räumung der Straße, die wieder für den Warenverkehr geöffnet werden sollte, wurden auch Schusswaffen eingesetzt.
Das war die Spitze der Eskalation und als Reaktion auf diesen Militäreinsatz erklärte der Polisario-Chef Brahim Ghali, was vor allem junge Leute in den Wüstenlagern, in die etwa 200.000 Saharauis nach dem Einmarsch geflüchtet sind, seit Jahren fordern: Der seit 1991 anhaltende Waffenstillstand sei nun beendet.
Ghali kündigte an, dass sich die Polisario nicht länger an das fast 30 Jahre alte Waffenstillstandsabkommen halten werden. Marokko habe "die Schlacht begonnen und den Krieg entfacht", erklärte Ghali. Seither mobilisiert die Polisario Tausende Kämpfer und greift wieder militärische Ziele Marokkos in der Region an. Inzwischen sind dabei mindestens vier marokkanische Soldaten getötet worden.
Als Reaktion soll es in den besetzten Gebieten zu zahllosen Verhaftungen von Saharauis kommen. Die Sicherheitskräfte sollen willkürlich in Häuser eindringen.
Das Scheitern der Weltgemeinschaft
Dass es nun wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt, markiert das Scheitern der Weltgemeinschaft, die sich sogar als unfähig erwiesen hat, ein autokratisches Königreich wie Marokko zur Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen zu drängen. Marokko erpresst wie die Türkei die EU und vor allem Spanien immer wieder damit, nicht mehr den Vorposten bei der Abwehr von Flüchtlingen zu spielen.
Die EU ließ es sich sogar bieten, dass Marokko Fischerboote von EU-Staaten aus den Hoheitsgewässern der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS), die von 82 Staaten weltweit anerkannt wird, vertrieben hat.
Sogar Schweden knickte 2016 vor dem Autokraten Mohamed ein und erkannte nach einem Boykottaufruf durch Marokko die DARS doch nicht an, wie es eigentlich schon Jahre zuvor beschlossen worden war. Das bestätigte Marokko darin, seinen bisherigen Weg fortzusetzen. Dass nun sogar Deutschland Marokko zum sicheren Herkunftsstaat erklären will, wo Dissidenten gefoltert und willkürlich zu langen Haftstrafen verurteilt werden, sagt eigentlich alles.
Deutschland verschließt seit vielen Jahren systematisch die Augen vor Menschenrechtsverletzungen in der Westsahara. Dabei wird sogar in Spanien gegen Marokko wegen Völkermord ermittelt. Allerdings tun auch die jeweiligen Regierungen in Madrid praktisch nichts für Bürger der ehemaligen Kolonie, die oft noch die spanische Staatsbürgerschaft haben.
Dass Marokko jedenfalls kein sicheres Herkunftsland ist, wurde kürzlich auch in einem ausführlichen Feature im Deutschlandfunk herausgearbeitet. Darin fiel allerdings peinlicherweise kein Wort zur massiven Repression in der besetzten Westsahara.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker warnt nun vor einem eskalierenden Krieg in der ehemaligen spanischen Kolonie. Die Menschenrechtsorganisation befürchtet eine humanitäre Katastrophe. Dringend müsse die Europäische Union (EU) ihre Friedensanstrengungen verstärken und sich der Weltsicherheitsrat in einer Dringlichkeitssitzung mit der Eskalation des Konflikts beschäftigen.
"Ein neuer Krieg hätte katastrophale Folgen für die Zivilbevölkerung in der Region, die ohnehin unter der wachsenden Destabilisierung in der Sahara leidet. Wenn nach Mali, Burkina Faso und Niger nun auch noch die Westsahara brennt, wird dies Flucht und Elend in Nordafrika schüren", erklärte der GfbV-Direktor Ulrich Delius.