Wie Bildausschnitte uns manipulieren können

Abbildung aus der Wechselausstellung des Hauses der Geschichte in Bonn unter dem Titel "X für U. Bilder, die lügen". Aus dem Buch "Medienanalyse", Westendverlag

Wie die Aussage von Abbildungen durch Platzierung und Auswahl verändert werden kann – und was das für Journalisten und Mediennutzer bedeutet

Medien umgeben uns täglich mit massenhafter Information und Unterhaltung, Qualität und Trash. Die Medienöffentlichkeit stellt den zentralen Diskursraum einer Demokratie dar. So sollte es sein, aber beobachtbar sind immer mehr, teils abgeschottete Diskursräume. Alle werben um Zustimmung und werden dabei auch mal schrill oder manipulativ.

Wissenschaftliche Studien zeigen, wie um Glaubwürdigkeit gerungen wird. Tatsächlich stützen auch solche Nutzerstudien immer wieder Aufforderungen, diesen oder jenen Informationsanbietern zu glauben und bestimmten anderen nicht – per se sozusagen.

Sabine Schiffer geht hier einen dezidiert anderen Weg und warnt davor, Medienkonsum und Medienkritik zum Glaubensgrundsatz zu machen. In ihrem soeben erschienen Lehrbuch zur kritischen „Medienanalyse“ zeigt sie auf, wie jeder einzelne Medienbeitrag auf Herz und Nieren geprüft werden kann. Mit ihrem Werkzeugkasten an Prüfkriterien schafft sie einen Kriterienkatalog, der dem Doppelmaß den Kampf ansagt.

Die Methoden bleiben nicht abstrakt, sondern werden an Beispielen aus der Berichterstattung anschaulich und nachvollziehbar. Der folgende Auszug zur Bildanalyse bietet einen Einblick in das Buch.

Aus der Augenbewegungs- und Werbeforschung ist bekannt, dass wir alle zuerst die bildlichen Darstellungen sehen, im hiesigen Kulturkreis mit einer Schrift von links nach rechts zwar links den "Anfang" vermuten, aber unser Blick zunächst auf die rechte Seite eines aufgeschlagenen Printprodukts fällt, und dass wir die obere Hälfte einer Seite für wichtiger halten als die untere. Deshalb ist die Frage der Platzierung einzelner Beitragselemente entscheidend für die Wahrnehmungsreihenfolge und damit für die potentielle Wirkung.

Vergleichbares gilt für die Ausstrahlzeiten im analogen TV- oder Radioprogramm, wo es die sogenannte "Prime Time" gibt, in der die Kosten für Werbeschaltungen höher sind als zu anderen Zeiten, weil sie messbar mehr Menschen erreichen. Die Aufmerksamkeits-Relevanz steht also an erster Stelle im Fokus der Untersuchung von Sendern und Sendezeiten, von Titelseiten über Umschlagsseiten bis hin zum Innenteil von Printprodukten. Im Internet gibt es noch einmal andere Aufmerksamkeitsmarker, wozu schließlich noch die Algorithmen zählen werden.

Inwiefern wir uns als Mediennutzer einer ersten Hypothesenbildung über Inhalte und Zusammenhänge aufgrund der Komposition (Montage) separater Beitragselemente bewusst sind, kann hier nicht erörtert werden. Auf jeden Fall ist es sinnvoll, vor der Detailanalyse einen Text zu beschreiben; also eine Art Vortext, der aus den ersten Oberflächenelementen einer Ansicht konstruiert wird; was man auf Anhieb sieht: Bilder, große Lettern, typografische und grafische Hervorhebungen, eventuell noch Teaser-Texte. Im Fernsehen sind das Trailer, also extrem verkürzte Zusammenschnitte längerer Beiträge, die eine erste Orientierung mit auf den Weg einer möglichen weiteren Rezeption geben.

Wichtig ist, immer von einer möglichen Wirkung beziehungsweise Wirkwahrscheinlichkeit auszugehen. Medienwirkungsforschung ist zu Recht ein komplexes und umstrittenes Feld, die Möglichkeiten der Forschung sowie der Korrelation von medialem Angebot mit Reaktionen des Publikums sind sehr beschränkt, da ein direkter Zusammenhang aufwändig zu überprüfen ist. Denn es muss gleichzeitig von einem großen Einfluss persönlicher Wahrnehmungsraster und Vorlieben ausgegangen werden. Hier müssten aufwändige Befragungen durchgeführt werden, um eindeutige Kausalitäten für Einflüsse auf Meinungen oder gar Einstellungen zu belegen. Wir müssen uns hier auf die Analyse des Medienangebots beschränken.

Beginnen wir also als erste Näherung mit der Betrachtung von Printprodukten. Wir konstruieren ad hoc aus der Sichtung einer Anordnung an der Oberfläche einer Zeitungsseite unter Einbeziehung von Bildern, großen Typgrafien wie Überschriften und eventuell Grafiken und anderen auffälligen Gestaltungselementen eine erste Hypothese über den Inhalt des Beitrags, der uns interessiert: Text’. Die Abfärbeffekte (Sinn-Induktion) durch die Montage der einzelnen Elemente strukturieren bereits eine erste Bedeutungseinheit, die wir als wiederum strukturierendes Vorwissen mit in die Lektüre des Textes nehmen, wenn wir ihn überhaupt (ganz) lesen. Ansonsten bleibt diese (sinn-induktive) Komposition von Text’ als Wissen stellvertretend für den eigentlichen Inhalt stehen.

Am Anfang ist das Bild

Wer regelmäßig die Zeitung liest, kennt und erwartet unter bestimmten Positionen in "seinem" Blatt bestimmte Rubriken und Genres des Angebots. Insofern kann bei individuellen Interessenlagen von einer direkten Ansteuerung und einer gezielten selektiven Wahrnehmung des gedruckten Angebots ausgegangen werden. Wir treten also nun einen Schritt zurück und betrachten möglichst unvoreingenommen eine erste Seite.

Dabei sehen wir zunächst die Bilder, die großen vor den kleinen, Farbe und Form vor Details. Das Verstehen von Bildern gilt als blitzschnelle Interpretation. Darum bedeutet die Bildanalyse eine schrittweise Zerlegung dieses Vorgangs, um die mögliche Wirkung nachvollziehen zu können. Die erste Wahrnehmung betrifft das Bildliche und das bedeutet, dass oftmals die Bildinformationen den Rahmen für die weitere Rezeption legen: (Visual) Framing, und wie alle Framingprozesse bedeutet dies das Vorgeben bestimmter Rezeptions- und Interpretationswege beziehungsweise -kanäle.

Hier ist es wichtig, das Pressefoto aus einer Distanz zu betrachten und mit Wissen über die Arbeitsweise von Fotografen und Bildbearbeitenden in Redaktionen abzugleichen. Dort entscheidet man über Bildmotive – wer oder was wird gezeigt und was nicht (Was bietet das Bildarchiv unter welcher Verschlagwortung überhaupt an?) – sowie Bildausschnitte, sprich: Was wird weggeschnitten? Mit der Festlegung des Ausschnitts beginnt bereits das Framing, für den Laien zunächst unsichtbar.

So können schließlich ein repräsentatives Foto oder auch eine Gerichtszeichnung oder anderes gedruckt werden oder ein Detail, das durch die bildliche Darstellung eine Symbolfunktion bekommt und stellvertretend für die Gesamtsituation zur Wahrnehmung angeboten wird. Dies kann illustrativen, aber auch ablenkenden Charakter haben.

Ein Klassiker der Verdeutlichung einer Bedeutungsveränderung durch die Wahl eines Bildausschnitts stellt eine Darstellung aus der Wechselausstellung des Hauses der Geschichte in Bonn unter dem Titel "X für U. Bilder, die lügen" dar (siehe das Bild am Anfang des Beitrags). Bei der Entscheidung für eine Seite des Bildmotivs eines gefangenen Soldaten kann die Bildbedeutung zwischen Bedrohung und Hilfestellung changieren.

An einem einfachen Beispiel der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) lässt sich zeigen, wie harmlos eine bedeutungsrelevante Veränderung zunächst sein kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie weitreichend ein von der Autorin dieses Buches angefertigter Bildausschnitt wirken kann - bis hin zum Stereotyp.

Abbildung aus dem Buch "Medienanalyse", Westendverlag

Zebras mögen nicht die wildesten Tiere Afrikas sein, aber bestimmte Vorstellungen über die Natur des Kontinents werden mit diesem Motiv bedient – natürlich auch, weil wir bereits bestimmte (Klischee)Bilder von der Südhalbkugel im Kopf haben. Hier könnte das Bild schon bis zu einem gewissen Grad konterkarierend wirken, weil das Land relativ fruchtbar und nicht karg und wüstenartig erscheint. Aber Natur und freie Wildbahn dürften klar im Vordergrund der Betrachtung stehen. Diese Interpretation ermöglicht das Weggelassene durch den Zuschnitt – wie der Vergleich des Bild-Ausschnitts mit dem weitwinkligen Original schnell klarmacht.

Das Ausblenden von Urbanisierung (siehe unten) und vieler anderer Fakten (die bereits erwähnten Ellipsen), welche zum Kontinent ebenso gehören wie die hier gezeigten Zebras, dürften unsere Vorstellung von dieser Weltgegend bestimmen. Je weiter wir von den Menschen, Orten und Sachverhalten entfernt sind, über die berichtet wird, umso mehr sind wir auf mediale Vermittlung von Wissen angewiesen und umso größer ist das Verzerrungspotential durch die jeweilige mediale Darstellung - auch dann, wenn nur Fakten gezeigt werden (vgl. "mit Fakten lügen" in Kapitel 1.2). Dass in der Wiederholung der gleichen (gewohnten) Ausschnitte ein Manipulationspotential liegt, wurde theoretisch schon erschlossen (vgl. "Wiederholen ist Überzeugen" in Kapitel 1.1.2.2) und zeigt an dieser Ausprägung beispielhaft sein Wirkpotential.

Abbildung aus dem Buch "Medienanalyse", Westendverlag

Wo man nicht direkt vor Ort ist, die beschriebenen Dinge oder Personen nicht kennt, ist eine Überprüfung zur Einordnung der gewählten Ausschnitte schwierig bis unmöglich. Das gilt für Journalisten beziehungsweise Redakteure ebenso wie für ihr Publikum. Darum ist es umso wichtiger, mit Kriterien der Prüfung an jede Darstellung heranzutreten – auch und gerade, wenn sie einem vertraut vorkommt und man sie deshalb ohne Überprüfung geneigt ist zu "glauben" und vorschnell Schlüsse daraus zu ziehen.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch Medienanalyse. Ein kritisches Lehrbuch von Sabine Schiffer, erschienen im Westendverlag.

Sabine Schiffer, geboren 1966, studierte Sprachwissenschaft in Erlangen und entdeckte früh die Semiotik. Sie promovierte zum Islambild in den Medien und gründete 2005 das Institut für Medienverantwortung. Neben der Forderung nach einem systematischen Lehrplan für ein Schulfach Medienbildung setzt sich das IMV für eine kritische Auseinandersetzung mit jeglichen medial konstruierten Debatten ein.