Wie China und Facebook unsere Überwachung befördern

Unterstützt von Telepolis: Zum zehnten Mal wurden die Surveillance-Studies-Preise an Nachwuchswissenschaftler vergeben

Zum zehnten Mal wurden unlängst die Surveillance-Studies-Preise. Pandemiebedingt wurde die Entscheidung und Preisverleihung vom Januar in den Juni verlegt. Das Hamburger Netzwerk Surveillance Studies wird diesen Turnus auch in Zukunft so beibehalten.

In diesem Jahr wurden die Preise in zwei Kategorien vergeben: Zum einen wurde der jährliche Preis für journalistische Arbeiten verliehen, dessen Preisgeld von 1.000 Euro von Telepolis gestellt wird. Vergeben wurde zum anderen der alle zwei Jahre ausgelobte Preis für Fachpublikationen von Nachwuchswissenschaftler:innen. Die Preise werden von zwei unabhängig voneinander tagenden Jurys vergeben.

Bei der Auszeichnung für die journalistische Arbeiten lag in diesem Jahr ein Schwerpunkt auf dem Thema Corona. Es ging um die Eindämmung von Viren, aber auch die Überwachungsmaßnahmen im Zuge der Pandemiepolitik.

Überraschend war, dass es eine überschaubare Zahl von Einsendungen gab, die sich explizit mit diesem Thema beschäftigt haben. Vielleicht war es noch zu früh oder die Verbindung von Gesundheit, Kontrolle und Überwachung, die sich in der Pandemie als hochvirulent gezeigt hat, hat sich noch nicht als Objekt der Berichterstattung über Expertenzirkel hinaus durchsetzen können.

Überwachung und Kontrolle in der journalistischen Berichterstattung sind außerdem häufig mit dem Thema Technik verbunden. Da die Corona-Warn-App eher ein Schattendasein in der Pandemie gefristet hat und - Ebenso wie die Luca-App - erst nach Einsendeschluss zum Thema wurde, gab es hier eher weniger Anschlusspunkte.

Wir können Dich sehen … das Himmelsnetz der Überwachung in China

So hat ein Beitrag zum Überwachungssystem Chinas den Preis verliehen bekommen. Christoph Giesen, der China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, hat mit seinem Artikel Wir können Dich sehen (erschienen 16./17. 5. 2020) die Jury überzeugt. Er schildert wie in China die Überwachung auch mittels Apps mittlerweile ein fester Bestandteil des Alltages geworden ist.

Ohne diese App kann ich nicht mehr zum Bäcker gehen, nicht mehr zur Bank und auch nicht in die meisten Restaurants. Ich kann nicht mit dem Zug fahren oder ein Flugzeug besteigen. Gerate ich in eine Polizeikontrolle oder checke in einem Hotel ein, wird mit Sicherheit von mir verlangt, die App vorzuzeigen. Beinahe über Nacht hat sich China dem Urteil eines Algorithmus unterworfen, der unbarmherzig Türsteher spielt.

Christoph Giesen

Dabei zeigt er auch wie die Corona-Pandemie zu einem Beschleuniger eines ohnehin bereits weitreichenden Überwachungssystems geworden ist. Die Führung in Peking habe die Pandemie genutzt, um die ohnehin schon recht üppige Überwachung in China noch einmal kräftig auszubauen.

Was selbst in China bis vor ein paar Wochen noch undenkbar gewesen wäre und vor allem in der Provinz Xinjiang so umfassend war, wurde nun ausgedehnt. Und man hätte es ahnen können, so Giesen. Dass diese Maßnahmen keinen nennenswerten Widerstand hervorrufen, ist dabei wohl die wichtigste Erkenntnis.

Von einer Diktatur würde niemand reden, ganz im Gegenteil fände man das "Himmelsnetz" in Peking, ein System aus 800.000 Kameras, geradezu als ein Garant einer gut funktionierenden Gesellschaft, in der Fehltritte jeglicher Art protokolliert und in Verbindung mit anderen Technologien, wie Gesichtserkennung usw., schnell zu Sanktionen einzelner zum Wohle aller führen können.

Vielleicht schaut Giesen hier in ein sozio-technisches Laboratorium, welches nur in China jetzt bereits umgesetzt werden konnte. Man kann den Artikel auch als Warnung lesen, was auch im Westen bereits technisch möglich wäre. China ist hier zwar enteilt, aber ob es wirklich weit weg ist, wird sich noch zeigen müssen, so eine Schlussfolgerung, die man beim Lesen ziehen kann.

Es war vor allem die Mischung aus persönlicher Reportage, kenntnisreicher Recherche und anschaulicher Beschreibung des Kontroll- und Überwachungssystems in China, welche prämiert wurde. Das Thema China ist häufig Gegenstand von Berichterstattung in Deutschland. Giesen aber ist es zu schildern gelungen, wie dieses System jeden Winkel des Alltages in Beschlag nimmt und so ohne den "brutalen" Big Brother-Effekt das Leben der Menschen prägt.

Zusätzlich hat sich die Jury entschieden zwei lobende Erwähnungen auszusprechen, u.a. um gute Recherchen und wichtige, aber häufig eher am Rande stehende Themen sichtbar zu machen. Diese Erwähnungen wurden für diese beiden Teams und ihre Arbeiten ausgesprochen.

Adrienne Fichter, Mehdi Atmani, Sylke Gruhnwald: Dossier zu #Cryptoleaks, verschiedene Artikel, u.a. Mysteriöse Schwesterfirma, Republik, 11.11.2020.

Sebastian Meineck und Daniel Laufer: PimEyes. Eine polnische Firma schafft gerade unsere Anonymität ab.

"Programmierte Alternativlosigkeit": Facebook und die neue Öffentlichkeit

Die Jury des Publikationspreises für Nachwuchswissenaftler:innen hat sich in ihren Beratungen für einen erst in Kürze erscheinenden Artikel der Beiden Autor:innen Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski entschieden. Ihre Arbeit trägt den Titel Der plattformökonomische Infrastrukturwandel der Öffentlichkeit: Facebook und Cambridge Analytica revisited und erscheint demnächst in einem Sonderbandes von Leviathan - Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft.

Das Autorenduo argumentiert in dem Aufsatz, Cambridge Analytica habe nur durch Facebook und dessen bereitgestellte Infrastruktur erfolgreich in die Wahlen in den USA 2016 eingreifen können. Sie zeigen überzeugend, wie sich mit Facebook eine Infrastruktur durchsetzen konnte, mit der eine Intensivierung des "Strukturwandels der Öffentlichkeit" mit plattformökonomischen Mitteln stattfinden würde. Konkret beschreiben es die Autor:innen so:

Während sich soziale Netzwerke lange als Inbegriff eines radikaldemokratischen Pluralismus, als Vorreiter des "equal access" und einer digitalen ‚Kultur der Partizipation‘ darstellten, in der vermeintlich herrschaftsfrei über die öffentlichen Angelegenheiten diskutiert werden könne, ist heute […] klar, dass die Intermediäre die Kommerzialisierung der Öffentlichkeit nicht nur beschleunigen, sondern auch Machtstrukturen auf programmatischer Ebene konzentrieren.

Nosthoff und Maschewski folgern daraus, dass die Plattform keineswegs ein bloßes Medium für Sender und Empfänger sei, sondern vielmehr einen eigenen Modus kanalisierter wie kanalisierender Kommunikation formiere und darüber ihre kommerziellen Interessen nicht zuletzt im Verbund mit kybernetischen Mechanismen vehement ausspiele.

Facebook stelle damit, so die beiden Preisträger:innen, "die Infrastruktur bereit, über die Individuen der Welt begegnen - welche dann zu einer "programmierten Alternativlosigkeit" gerinnen würde.

Hier finden die beiden prämierten Artikel einen gemeinsamen Nenner. Auch in China scheint es eine programmierte Alternativlosigkeit zu geben, dort verbunden mit einem effektiven Repressionsapparat.

Im Zusammenhang mit Facebook wird Habermas aus der Perspektive eines Überwachungskapitalismus à la Shoshana Zuboff neu gelesen und für die gegenwärtige Welt neu gedacht. Das behaviouristische Spielzeug von Cambridge Analytica konnte erst über eine solche Plattform überhaupt Erfolg haben. Und so kommen sie zu dem Schluss, dass das wiederholte Mantra von den sozialen Medien als "selbstlernende Organismen" (Mark Zuckerberg) kaum darüber hinwegtäuschen kann, dass in der überwachungskapitalistischen Applikation kybernetischer Logiken auf die öffentliche Meinungsbildung, […] "das Wertsystem auf Maximierungsregeln für Macht und Wohlstand […] zusammengeschrumpft" ist. Umso mehr gälte deshalb heute, was Habermas schon in den 1960 Jahren konstatierte hatte: "Dieser Herausforderung der Technik ist durch Technik allein nicht zu begegnen."

Die Jury fand in ihrer Begründung, dass die Neubearbeitung des Facebook-Cambridge-Analytica-Skandals unter Zusammenführung mit plattformkapitalistischen Überlegungen hervorragend recherchiert war und im Hinblick auf Aktualität, Relevanz, Originalität und als Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte überzeugt hat. Die bisherige einschlägige Forschung zu diesem Thema wird lückenlos aufgearbeitet und auf hohem Niveau weitergeführt.

Der Preis ist mit 250 Euro dotiert und wird vom Surveillance Studies Forschungsnetzwerk vergeben.

Weitere Infos zum Preis, den Gewinnern und den beiden Shortlists finden sich im Blog des Netzwerkes unter www.surveillance-studies.org.

Die Ausschreibung für 2022 wird spätestens im September 2021 auf den Webseiten bekannt gemacht.

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