Wie Einwanderer zu "wandelnden Krankheitsbomben" werden
Law-and-Order-Wahlkampf mit Hexenjagd auf Traffickingopfer?
Es ist gut, dass Griechenlands Wahlkampf sich am Sonntag dem Ende zuneigt. Die Sündenböcke gehen aus. Denn nach den Immigranten haben die um Stimmen ringenden Politiker schnell noch eine weitere Randgruppe als populistisches Hassobjekt entdeckt: die Prostituierten. Eine Nachricht [1] und ihre Hintergründe.
Nachdem jahrelang Kontrollen der überwiegend ohne Zulassung betriebenen Bordelle unterlassen wurden, begann pünktlich in der letzen Woche vor den Wahlen eine wahre Gesundheitskontrollwelle. Immer mehr mit HIV infizierte Liebesdienerinnen werden entdeckt. Gesundheitsminister Andreas Loverdos möchte ebenso wie sein Kollege, Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis, den Law-and-Order-Garanten der nominell sozialistischen PASOK spielen.
Loverdos bezeichnete wiederholt die im Land befindlichen illegalen Einwanderer als "wandelnde Krankheitsbomben", Chryssochoidis assistierte, indem er hervorhob, dass zahlreiche Asylsuchende gefährliche übertragbare Krankheiten hätten.
Der Bürgerschutzminister handelte noch in der letzten Wahlkampfwoche und eröffnete [2] das mehrfach umzäunte Gefängnislager Amygdaleza in einem Vorort Athens. Dort werden Asylsuchende zusammen mit Wirtschaftsflüchtlingen eingepfercht. Chryssochoidis ließ die Eingesperrten medienwirksam von Seuchenspezialisten untersuchen.
Loverdos wollte etwas Analoges unternehmen und sandte seine Gesundheitskontrolleure auf Straßenstrichsuche und in Bordelle. Ziel der Aktion war es offenbar, möglichst viele illegal eingewanderte Prostituierte als krank zu identifizieren. Anfänglich schien es zu klappen. Die erste erwischte HIV-infizierte Prostituierte war eine illegal ins Land eingewanderte Russin. Die Dame warb im Internet für ihre Dienste und hatte unter anderem Oralverkehr ohne Verhütung im Angebot [3].
Der erste diesbezügliche Polizeibericht vermerkte, dass in einem illegal betriebenen Bordell zahlreiche gesundheitsbehördlich nicht erfasste Prostituierte arbeiteten und dass dieses Freudenhaus von einer neunundvierzigjährigen Ausländerin betrieben wurde. Eine der getesteten Frauen, eine zweiundzwanzigjährige Ausländerin, sei HIV-positiv, vermerkt der Bericht und verweist [4] auf ein Protokoll der Gesundheitsbehörde.
Kurze Zeit später wurden von der Staatsanwaltschaft die Daten und Fotos der illegal eingewanderten Russin zur Veröffentlichung frei gegeben. Die Hexenjagd hatte begonnen. Allein am ersten Tag der Bekanntgabe der Identität der Infizierten hatten sich 700 Männer beim Gesundheitsamt gemeldet. Sie baten um AIDS-Tests, dass sie mit der erst seit wenigen Monaten im Land befindlichen Russin ungeschützten Geschlechtsverkehr ausgeübt hatten. Bei einigen von ihnen gibt es, so besagen durchgesickerte Informationen der Behörde, bereits positive Testergebnisse.
"Böse Ausländerin steckt Griechen an"
Die Medien hatten ihr gefundenes Fressen, "eine böse Ausländerin steckt Griechen an". Sie fanden heraus, dass die Russin bereits in ihrer Heimat als HIV-infiziert identifiziert wurde. Vor Gericht in die Enge getrieben gab die Prostituierte an, sie habe direkt nach ihrer Ankunft in Griechenland einen Test gemacht, der sie frei vom Virus zeigte. Man glaubte ihr nicht. Sie kam mit dem Vorwurf der vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung und vorsätzlichen versuchten Tat sowie der Gefährdung der öffentlichen Gesundheit in Untersuchungshaft.
Telepolis hat die Fakten der Woche gesammelt und mit Anna Kouroupou [5], einer bis zu Beginn der Eurokrise legal arbeitenden transsexuellen Prostituierten diskutiert. Frau Kouroupou hatte mit einem Beitrag in ihrer regelmäßigen Kolumne im Online-Magazin Eyedoll [6] Thesen aufgestellt, die entgegen dem allgemeinen Trend kritischer Zeitgenossen eine gewisse Berechtigung zur Aufdeckung der Identität der Russin sahen.
Noch bevor Frau Kouroupous Beitrag erschien, waren weitere 12 Prostituierte entdeckt worden. Auch diese wurden an den öffentlichen Pranger gestellt. Ein Vorgang, der selbst das ansonsten wenig zimperliche, deutsche Boulevardblatt mit den vier Buchstaben auf den Plan brachte [7]. Die griechische Presse dagegen ergötzte sich in der Veröffentlichung der Fotos [8] die auf den Titelblättern der jeweiligen Printmagazine landeten.
Mittlerweile liegt die Zahl der innerhalb der letzten Tage kontrollierten und als AIDS-Virus-Trägerinnen polizeilich angeprangerten Frauen bei 13. Rein statistisch ergibt sich, dass mehr als 15 Prozent der untersuchten Frauen potentielle HIV-Überträger sind. Mehr als 7.000 Männer (Stand 5.5. 2h) hatten mit ihnen ungeschützten Geschlechtsverkehr. Menschenrechtsorganisationen [9], Frauengruppen, Bürgeranwälte [10] sowie Parteien des linken Spektrums laufen Sturm gegen die konzertierte Minister- und Polizeiaktion.
Chryssochidis gab an, dass in der Güterabwägung zwischen dem Recht auf Privatsphäre, dem ärztlichen Geheimnis und der öffentlichen Sicherheit die Sicherheit der Bürger Vorrang hätte. Loverdos sah sich in seiner Virenbombentheorie bestätigt und setzte im Wahlkampf noch einen drauf. Der Gesundheitsminister möchte im ganzen Land für alle den ungeschützten Geschlechtsverkehr unter Strafe stellen lassen. In seinem vom Wahlkampf geprägten Eifer übersah er offenbar, dass solche Akte auch für die natürliche Zeugung von Kindern dienlich sind. Ebenso entging dem regen Minister die Tatsache, dass bis auf zwei alle anderen infizierten Prostituierten drogenabhängige Griechinnen sind.
Das System der Bordelle und die Kunden als "Virenbomben"
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[1] http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,830938,00.html
[2] http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_wsite1_1_29/04/2012_439869
[3] http://www.pinnokio.gr/arthro/deite-etsi-diafhmizotan-sto-internet-h-ierodoylh-rwsida-foreas-toy-aids-fwto
[4] http://www.astynomia.gr/index.php?option=ozo_content〈='..'&perform=view&id=14535&Itemid=879〈=
[5] http://www.tanea.gr/ellada/article/?aid=4675942
[6] http://eyedoll.gr/index.php?option=com_k2&view=item&id=1322%3A%CE%A4%CE%B7%CF%82-
[7] http://www.bild.de/news/ausland/aids/griechen-minister-stellt-aids-huren-an-den-pranger-23944658.bild.html
[8] http://www.astynomia.gr/index.php?option=ozo_content〈='..'&perform=view&id=14673&Itemid=902〈=
[9] http://www.kethea.gr/%CE%9D%CE%AD%CE%B1/%CE%94%CE%B5%CE%BB%CF%84%CE%AF%CE%B1%CE%A4%CF%8D%CF%80%CE%BF%CF%85/tabid/141/articleType/ArticleView/articleId/206/language/el-GR/Default.aspx
[10] http://elawyer.blogspot.com/
[11] http://video.google.com/videoplay?docid=-9117424207346585027#
[12] http://www.lifo.gr/team/bitsandpieces/30077
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