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Wie Feindseligkeit zwischen den USA und China Klimaschutz blockiert

US-Außenminister John Kerry mit Enkelin auf dem Schoß unterzeichnet 2016 das COP21-Klimaschutzabkommen. Bild: U.S. State Department / Public Domain

Die Klimakrise ist ein globales Sicherheitsrisiko. Doch USA und China schüren Konflikte, blockieren Klima-Kooperation, während viel Geld ins schmutzige Militär statt in Entwicklungsprojekte fließt. Was muss getan werden?

Auf der 27. Konferenz der Vereinten Nationen über den Klimawandel (COP27) in Ägypten haben sich die Delegierten mit zwei Tatsachen abgefunden: Das Ziel, den globalen Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, ist so gut wie sicher verloren; denn um das zu verhindern, müssten die Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gesenkt werden [1] – eine kaum realisierbare Aussicht.

Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute for Responsible Statecraft [2].

Die zweite Erkenntnis ist, dass unabhängig davon, was wir jetzt tun, einige sehr unangenehme Folgen des Klimawandels nicht nur unvermeidlich sind, sondern bereits eintreten. Das hat dazu geführt, dass auf der COP27 ein neuer Schwerpunkt auf die Notwendigkeit gelegt wurde, die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels in besonders gefährdeten Regionen zu stärken.

Die zunehmenden Katastrophen stellen alle Staaten vor große Herausforderungen. Für die Vereinigten Staaten und Europa sind die Folgen für die Migration, die in diesem Jahr bereits ein Rekordniveau erreicht hat, die größte.

Die Kohlendioxidemissionen haben weiter zugenommen [3], wenn auch viel langsamer als früher. Es wird erwartet, dass die CO2-Emissionen im Jahr 2022 um rund 300 Millionen Tonnen ansteigen werden, nachdem sie 2021 noch um fast zwei Milliarden Tonnen zugenommen hatten. Ohne den wirtschaftlichen Abschwung in China, dem größten Nutzer von Kohle weltweit, wäre der Anstieg der Emissionen aus der Verbrennung von Kohle wahrscheinlich noch viel stärker ausgefallen.

Darüber hinaus fließen weiterhin hohe Investitionen in die Förderung fossiler Brennstoffe, was zum Teil auf den durch den Krieg in der Ukraine verursachten Preisanstieg zurückzuführen ist. Die Zahl dieser Investitionen ist in diesem Jahr im Vergleich zu 2021 um 15 Prozent gestiegen.

Man schätzt, dass die bisher eingegangenen Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung bis zum Jahr 2100 zu einer Erwärmung von mindestens 2,4 Grad [4] führen werden – das ist deutlich besser als die Prognosen von vor zehn Jahren, aber immer noch gefährlich hoch. Der britische meteorologische Dienst hat gewarnt [5], dass ein Temperaturanstieg von über zwei Grad mehr als eine Milliarde Menschen im Zuge von akuten Hitzewellen und damit verbundenen Naturkatastrophen bedrohe.

Zu den Folgen des Klimawandels gehörte in diesem Jahr eine rekordverdächtige Hitzewelle in Indien [6], die die Getreideerträge erheblich reduzierte. Infolgedessen sah sich Indien – das gehofft hatte, den Rückgang der russischen und ukrainischen Getreidelieferungen durch eine Steigerung seiner Exporte ausgleichen zu können – gezwungen, ein Ausfuhrverbot zu verhängen [7], um die heimische Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

In Pakistan kam es nach der Hitzewelle zu verheerenden Überschwemmungen [8]. Auch in China und Europa kam es aufgrund von Hitzewellen und Dürren zu erheblichen Einbußen bei der landwirtschaftlichen Produktion, was die Lebensmittelpreise in die Höhe trieb. Das wurde jedoch bis zu einem gewissen Grad durch gute Ernten in Australien und Argentinien kompensiert.

In den westlichen Teilen der Vereinigten Staaten wurden zahlreiche lokale Hitzerekorde [9] gebrochen. 61 Millionen Menschen litten unter extremer Hitze. Die Wissenschaft ist sich einig, dass diese Bedingungen wahrscheinlich von Dauer sein werden [10] und sich zudem noch verstärken werden.

Die Vereinten Nationen haben davor gewarnt, dass durch die Kombination von Klimawandel und Krieg in der Ukraine weltweit 45 Millionen Menschen zusätzlich vom Hungertod bedroht sind. Die Hotspots befinden sich in Afrika [11], einschließlich der Sahelzone [12], wo die Auswirkungen der Dürre verstärkt werden von lokalen Bürgerkriegen. Abgesehen von den humanitären Folgen hat das zu Besorgnis [13] über die extrem zunehmende politische Instabilität und einen enormen Anstieg der Migration geführt.

US-Präsident Biden versucht, ernsthaftes Bemühen zu signalisieren, indem er selbst an der COP27 teilnimmt. Das ermöglicht es ihm, die US-Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung vorzustellen und beim chinesischen Staatschef Xi Jinping, der nicht teilnimmt, zu punkten. Offensichtlich beobachten die Delegierten der COP27 jedoch die US-Zwischenwahlen, die Hoffnungen auf weitere Maßnahmen vonseiten der USA zumindest kurzfristig einen schweren Schlag versetzen könnten.

US-Sicherheitsstrategie vernachlässigt Klimakrise als destabilisierenden Faktor

Die Biden-Administration und einige Kommentatoren in den USA hoffen, dass sich zwischen den Vereinigten Staaten und China eine Art wohlwollender Wettbewerb [14] um Klimaschutzmaßnahmen entwickeln kann, bei dem jeder versucht, den anderen sowohl mit Maßnahmen als auch durch die Weise, bei anderen Ländern um Bewunderung und Unterstützung zu werben, zu übertreffen.

Dieser Wettbewerb besteht aus zwei Teilen. Der erste ist der Umfang der CO2-Reduktionen. In diesem Bereich sind beide Supermächte stark in ihrem Handeln eingeschränkt: die Vereinigten Staaten durch innenpolitische Spaltungen und China durch seine anhaltende Abhängigkeit von der Kohle. Der andere wichtige und wachsende Bereich, in dem Amerika und China miteinander konkurrieren, ist die Hilfe für arme und gefährdete Länder, um die Widerstandsfähigkeit gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu stärken.

Die dafür zur Verfügung stehenden Mittel sind jedoch offensichtlich durch die enormen Summen, die im Rahmen des sich verschärfenden Kalten Kriegs zwischen den USA und China ins Militär fließen, deutlich limitiert. Im Falle der Vereinigten Staaten verschlingt der Militärhaushalt fast das Zwanzigfache der für internationale Unterstützung aufgewendeten Summen. Wenn man weitere indirekte Kosten wie die Unterstützung von Veteranen einbezieht, ist der Unterschied noch gravierender.

Chinas nachlassende Bereitschaft, mit Washington im Bereich des Klimawandels zusammenzuarbeiten – eine Art Vergeltung für den Besuch der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan –, unterstreicht ebenfalls die extreme Schwierigkeit, beim Klima zu kooperieren, während man im geopolitischen Feld feindselig agiert.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie der Regierung Biden wird der Klimawandel zwar als "potenziell existenzielle Bedrohung" bezeichnet, der größte Teil des Dokuments ist jedoch den "traditionellen" Sicherheitsbedrohungen durch Russland und China gewidmet, die zwar für ihre Nachbarn durchaus ernst zu nehmen sind, für die Vereinigten Staaten aber nicht ernsthaft als existenziell bezeichnet werden können [15].

Die US-Hilfe für arme und gefährdete Länder bleibt daher im Vergleich zu ihren Bedürfnissen und den Sicherheitsbedrohungen, die sie in Zukunft für den Westen darstellen dürften, gering. Gleichzeitig ist es aufgrund der innenpolitischen Gegebenheiten in den USA schwer vorstellbar, dass man zumindest für eine gewisse Zeit auch nur annähernd die erforderlichen Summen aufbringen wird.

Was jedoch für das überparteiliche außen- und sicherheitspolitische Establishment der USA möglich sein sollte, ist eine stärkere Konzentration auf die Gefahren in Amerikas eigenem Hinterhof Mittelamerika und Karibik. Guatemala, Honduras und Haiti gehören zu den Ländern, die derzeit am stärksten von Nahrungsmittelknappheit bedroht sind, mit offensichtlichen Folgen sowohl für die politische Stabilität als auch für die Migration.

Angesichts der Ängste der Republikaner vor illegaler Migration und der zunehmenden Erkenntnis der Demokraten, dass dieses Thema ihnen bei den Wahlen schadet, sollte es möglich sein, einen gut finanzierten, überparteilichen Entwicklungsplan für diese Region auszuarbeiten.

Denn derzeit ist der Kontrast zwischen den Summen, die Washington für die Ukraine und den Nahen Osten bereitstellt, und denjenigen, die für Amerikas eigene Nachbarn bereitgestellt werden, geradezu grotesk [16]. Ganz Mittelamerika erhält weniger Hilfe als der Irak oder Jordanien für sich genommen. Die Militärhilfe für die Ukraine übersteigt die gesamte Entwicklungs- und humanitäre Hilfe der USA für ganz Lateinamerika und Afrika zusammengenommen.

Ein zentraler Grund für diese Vernachlässigung ist, dass die Vereinigten Staaten keinen Großmachtkonkurrenten in ihrem eigenen Hinterhof haben und Zentralamerika daher nicht die Art von "klassischen" Sicherheitsbedrohungen darstellt, auf die das US-Establishment ausgelegt ist und auf die sich Bidens Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) konzentriert.

Das verweist auf ein grundlegendes Problem nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern für die meisten großen Staaten der Welt, China und Indien ausdrücklich eingeschlossen: das Problem der Eliten und Institutionen. Sie sollen eine Reihe von Herausforderungen bewältigen, und taten das mit Erfolg. Aber sie sind weder kulturell noch fachlich darauf vorbereitet, mit einer sich radikal verändernden Welt umzugehen.

Brüche haben in der Geschichte zum Untergang vieler großer Staaten und politischer Systeme geführt. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass unser System dagegen immun ist. Wir hoffen, dass die Demokratie den notwendigen Wandel herbeiführen wird – aber das ist in der Tat eine Hoffnung, keine Strategie.

Kyilah Terry hat zur Recherche für diesen Artikel beigetragen.

Der Artikel von Anatol Lieven erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original [17]. Übersetzung: David Goeßmann.

Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und an der Abteilung für Kriegsstudien des King's College London. Er ist Mitglied des beratenden Ausschusses der Südasienabteilung des britischen Außen- und Commonwealth-Büros. Lieven ist Autor mehrerer Bücher über Russland und seine Nachbarländer, darunter "Baltic Revolution: Estonia, Latvia, Lithuania and the Path to Independence" und "Ukraine und Russland: A Fraternal Rivalry [18]" (Eine brüderliche Rivalität).


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7337077

Links in diesem Artikel:
[1] https://climateactiontracker.org/press/release-global-climate-report-card-finds-some-progress-but-action-across-all-sectors-must-accelerate-dramatically-to-limit-warming-to-1-5c/
[2] https://responsiblestatecraft.org/
[3] https://www.iea.org/news/defying-expectations-co2-emissions-from-global-fossil-fuel-combustion-are-set-to-grow-in-2022-by-only-a-fraction-of-last-year-s-big-increase
[4] https://www.iea.org/news/defying-expectations-co2-emissions-from-global-fossil-fuel-combustion-are-set-to-grow-in-2022-by-only-a-fraction-of-last-year-s-big-increase
[5] https://www.metoffice.gov.uk/weather/climate-change/effects-of-climate-change
[6] https://timesofindia.indiatimes.com/india/total-heatwave-days-in-2022-over-5-times-more-than-last-years/articleshow/93172931.cms
[7] https://www.fas.usda.gov/data/india-india-bans-wheat-exports-due-domestic-supply-concerns
[8] https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2022/10/06/world-bank-pakistan-s-economy-slows-down-while-inflation-rises-amid-catastrophic-floods
[9] https://www.nytimes.com/interactive/2022/us/heat-wave-map-tracker.html
[10] https://worldpopulationreview.com/country-rankings/us-foreign-aid-by-country
[11] https://www.thelancet.com/journals/lanam/article/PIIS2667-193X(22)00203-4/fulltext
[12] https://www.rescue.org/press-release/hunger-central-sahel-reaches-record-levels-irc-calls-further-attention-towards-crisis
[13] https://news.un.org/en/story/2022/09/1126221
[14] https://www.foreignaffairs.com/united-states/rewards-rivalry-us-china-competition-can-spur-climate-progress
[15] https://time.com/6230122/bidens-national-security-strategy-uses-fear/
[16] https://worldpopulationreview.com/country-rankings/us-foreign-aid-by-country
[17] https://responsiblestatecraft.org/2022/11/09/grim-outlook-on-global-warming-emerges-from-un-conference/
[18] https://www.amazon.de/Baltic-Revolution-Estonia-Lithuania-Independence/dp/0300060785/ref=sr_1_4?qid=1664279877&refinements=p_27%3AAnatol+Lieven&s=books&sr=1-4