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Wie Indien zu knappes Erdöl nach Deutschland exportiert – und was Russland damit zu tun hat

Kanzler Scholz und Premier Modi im Februar 2023. Foto: Büro des indischen Premierministers / CC BY-SA 4.0

Auf die Schwüre und schönen Bilder vom G20-Gipfel in Neu-Delhi folgt die Ernüchterung: Wahrscheinlich exportiert Indien trotz Sanktionen russisches Erdöl nach Deutschland. Wie ist damit umzugehen?

Die wegen der Invasion der Ukraine gegen Russland von Deutschland und der EU verhängten Sanktionen bleiben zum Großteil wirkungslos und werden permanent unterlaufen. Nun steht Indien im Verdacht, russisches Rohöl zu raffinieren und nach Deutschland zu befördern, wie die Tagesschau [1] berichtete.

Sollte sich das bestätigen, wäre dies seitens Indien eine wissentliche Irreführung seiner Partner, da auch über Drittländer kein russisches Öl nach Deutschland kommen darf.

Indische Schattenexporte

Laut dem Bundesamt für Statistik sind Deutschlands Importe indischer Ölprodukte seit Anfang 2022 erheblich gestiegen [2]. Indien kann seinen Bedarf ebenso wenig selbst decken.

Zu seinen wichtigsten Lieferanten zählt seit Langem Russland (und vorher die Sowjetunion). Diese Importe wurden seit der russischen Invasion der Ukraine und ebenfalls massiv gesteigert, mit erhöhtem Bedarf der indischen Bevölkerung und Wirtschaft ist dieser Anstieg nicht zu erklären.

Es gehört nicht viel Kombinationsvermögen dazu, um zu verstehen, woher das zusätzliche aus Indien importierte Erdöl, das in seinen Raffinerien zuerst veredelt wurde, ursprünglich stammt. Und diese Entwicklung ist nicht neu.

Sie setzte fast unmittelbar nach März 2022 ein. Größter Nutznießer auf Indiens Seite ist übrigens die Reliance Group, die zum Imperium von Mukesh Ambani [3] gehört, eines indischen Oligarchen, der zu den engsten Freunden des Premiers Modi zählt.

Zwar ist der Anteil indischer Importe am gesamten Erdölbedarf Deutschlands mit 2,4 Prozent nicht hoch oder besonders bedeutsam. Doch vermutlich stellt man sich in der Bundesregierung die angestrebte engere Kooperation mit Indien so nicht vor.

Noch wurden im Bundeswirtschaftsministerium keine Stimmen laut (es kann unmöglich unbemerkt geblieben sein), aber wenn man in Zukunft in der Zusammenarbeit mit Indien Versäumnisse und Fehler wie mit Russland und China vermeiden will, sollte demnächst dieser Missstand deutlich zur Sprache kommen.

Der am vergangenen Sonntag beendete G20-Gipfel wäre kaum passend gewesen, andererseits wollte sich Indien bei der Gelegenheit ganz besonders dem Westen als Partner empfehlen.

Dazu dient auch vor allem die von Indien, den USA, der EU und Saudi-Arabien präsentierte Gegeninitiative zu Chinas "Neuer Seidenstraße".

Containment China

In der sich anbahnenden Neuen Weltordnung, die von einem Widerstreit zwischen dem Westen unter der Führung der USA und China gekennzeichnet sein wird, würde Indien seinen Platz leicht finden. Denn China ist mit Abstand der schärfste Rivale, und das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch territorial und militärisch.

Entlang der fast 3.500 km langen Grenze herrscht zwar nicht die gleiche Spannung wie zwischen China und Taiwan, der Verlauf bleibt aber seit der Gründung der beiden modernen Nationen umstritten und es kommt regelmäßig zu militärischen Scharmützeln mit Toten auf beiden Seiten.

Die anfängliche Freundschaft ("Hindi Chini Bhai Bhai" [4]) endete mit dem China-Indien Krieg 1962, in welchem Indien eine herbe Niederlage erlitt, die es bis heute nicht verwunden hat. Besonders weil in Kaschmir ein großes Territorium verloren ging, das zumindest in der Vergangenheit strategisch ziemlich bedeutend war.

Wiederum widerstrebte niemand Indiens Aufstieg zur Nuklearmacht so stark wie China. Trotz aller Spannungen ist China mit Abstand Indiens wichtigste Importnation, es gibt ein großes Handelsdefizit [5] zu Ungunsten Indiens.

Containment Russland?

Indiens Verhältnis zu Russland gestaltet sich völlig anders, das wurde im Westen erst richtig offenkundig, als für ihn überraschend Narendra Modi sich weigerte, nach der russischen Invasion der Ukraine Russland als Aggressor zu verurteilen.

Die ersten Kontakte entstanden sogar vor der Unabhängigkeit, Indiens politische Führer waren dezidiert sozialistisch und nicht nur antibritisch, sondern antiwestlich. Die militärische und wirtschaftliche Partnerschaft mit der Sowjetunion begann unmittelbar nach 1947.

Bis 1990 herrschte Planwirtschaft, die Annäherung an den Westen begann erst nach den Wirtschaftsreformen 1991. Immer ist Russland der wichtigste Lieferant der indischen Streitkräfte gewesen und strategisch der längste und engste Verbündete.

An dieser engen Partnerschaft wird sich sehr wahrscheinlich in nächster Zukunft trotz der Annäherung Russlands an China (die wie man in Indien weiß nicht von Dauer sein muss) nichts ändern. Ebenso wird Indien nicht das seit der Unabhängigkeit bestehende Misstrauen gegenüber dem Westen gänzlich ablegen und sich völlig in einen potentiellen westlichen Block integrieren (das wäre allerdings äußerst unklug).

Auch nicht, wenn man so wie jetzt fast rein marktorientiert wirtschaftet und die USA der wichtigste Außenhandelspartner sind.

Wie verfahren mit Indien?

Wenn der Westen, die EU und Deutschland in Zukunft tatsächlich ihr Gewicht entscheidend von China auf Indien verlagern wollen, dann müss(t)en solche Gegebenheiten der Ausgangspunkt der Überlegungen sein.

Dies ist wirtschaftlich und strategisch/militärisch bedeutender als Fragen wie die Regierung unter Narendra Modi und seiner Partei BJP zum Beispiel politisch eingestellt ist, was für eine Minderheiten- und Identitätspolitik sie verfolgt und in Sachen India/Bharat/Hindustan vorgeht – wobei dies für einen Machtblock, der sich die Menschenrechte auf die Fahnen schreibt, im Prinzip ähnlich wichtig sein sollte wie die "großen Themen".

Der eben vergangene G20-Gipfel wäre wie erwähnt nicht die optimale Gelegenheit gewesen, Indiens Verbindungen zu Russland auf die Tagesordnung zu setzen. Doch im Vorfeld, schließlich wurde die Konferenz ein Jahr vorbereitet, hätte man von westlicher, europäischer und deutscher Seite durchaus nachhaken können.

Vor allem auch, weil Indiens nicht gerade aufrichtiges Agieren in der Frage von russischem Öl eigentlich schon länger die Runde macht. Von einem deutschen oder einer anderen Seite unternommenen Vorstoß, das zu klären, wurde jedoch nichts vernommen.

Oder vielleicht sogar eine Chance?

Wenn die Sache von allen Beteiligten fair und offen angegangen wird, könnte Indiens traditionell gutes Verhältnis zu Russland sogar für den Westen Vorteile haben. Kaum ein anderes Land wäre besser geeignet, die verhärteten Fronten zwischen dem Westen und Russland aufzubrechen, es könnte tatsächlich als Brücke dienen.

Premier Modi tat alles, um Russland vor einer Verurteilung in der Abschlusserklärung des G20-Gipfels zu bewahren. Das ist für jene, die auf eine wie auch immer gestaltete Beendigung des Ukraine-Konflikts hinarbeiten, ein löbliches Unterfangen. Mit Sicherheit steckt in diesem Ansatz mehr Potenzial.

Leider könnte Indien nur in diesem Konflikt vermitteln. Im Falle Chinas bewegt es sich kaum. Dabei hat es das internationale Recht beileibe nicht immer auf seiner Seite. Noch düsterer sieht es regional aus.

Nicht China, sondern der Streit um Kaschmir mit Pakistan, was auch Afghanistan mit hineinzieht, belastet Indien am stärksten und dies betrifft direkt auch die meisten Menschen. Hier ist Indien unter Modi zu keinem Entgegenkommen bereit.

Nochmal: Indiens Schattenexporte

Indien ist bei Weitem nicht allein, wenn es ums Unterlaufen der Russlands-Sanktionen außerhalb und auch innerhalb Deutschlands geht. Der Umfang ist zwar relativ gering, doch ist der Umstand an sich nicht im Sinne der angestrebten neuen Kooperation mit den USA, der EU und Deutschland und müsste zumindest offen angesprochen werden.

Sein traditionell gutes Verhältnis zu Moskau wird man wohl oder übel akzeptieren müssen, wenn man miteinander sozusagen "ins Geschäft kommen will". Bei wie immer gearteten Verhandlungen mit Wladimir Putin könnte Indiens Wort, so wie das des türkischen Präsidenten Erdogan von Nutzen sein.

Vor allem sollte sich die deutsche Politik nach einigen groben Fehlern endlich einmal gut vorbereitet, durchdacht und konsequent auf neues Projekt wie die vertiefte Partnerschaft mit Indien einlassen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9304599

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/oel-russland-einfuhr-preisdeckel-sanktionen-ukraine-100.html
[2] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/09/PD23_359_51.html
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Mukesh_Ambani
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Hindi_rusi_bhai_bhai#History
[5] https://tradingeconomics.com/india/imports-by-country