Wie Ostdeutsche zu Kranken erklärt werden
- Wie Ostdeutsche zu Kranken erklärt werden
- Wieso springen die Medien nicht über ihren Schatten?
- Die Ostdeutschen wurden auf die Couch gelegt
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Mediensplitter (11): Über die Rationalisierung der Russland-Feindschaft und die Delegitimierung der USA-Kritik im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Ein Kommentar.
Vielleicht hat ja auch der Westen eine Nische, in der er es sich bequem macht.
Antje Hermenau, ehemalige ostdeutsche Bürgerrechtlerin und grüne Abgeordnete in der ARD
Der heutige politischer mediale Umgang mit Russland und mit dem Konflikt in der Ukraine ist nicht ausgewogen. Er ist verkürzt, er ist vereinseitigt. Das ist das – unfreiwillige – Ergebnis eines ARD-Themenabends am vergangenen Montag über das Russlandbild der Ostdeutschen.
"Wissen die, was sie sagen?"
Warum soll ich jetzt hassen, was ich nie gehasst habe? Warum auf einmal diese Einteilung: Das sind die Bösen und das sind die Guten? Wo soll das hinführen? Wenn auch solche Worte benutzt werden, wie: "Nie wieder werden wir mit euch Handel treiben" - da denke ich immer: Wissen die, was sie da sagen? Das macht mir schon Angst und das tut auch ein bisschen weh, weil ich das nicht begreifen kann.
Aus: ARD-Themenabend
In den Medien gebe es nur noch Russlandfeinde und Putin-Versteher. Sie finden sich nicht wieder. Es waren die Eltern von Jessy Wellmer, Lydia und Eberhard Wellmer, die nach gut drei Minuten diese Sätze sagten. Es sollten die authentischsten, ehrlichsten und differenziertesten bleiben, die in den nächsten zweieinhalb Stunden dieses ARD-Themenabends am Montag fielen.
Jessy Wellmer? Ja genau, die Sportschaumoderatorin, die im Duett mit Bastian Schweinsteiger das erste Jogi-Löw-Interview nach seinem letzten Spiel als Bundestrainer so grandios versemmelt hatte ("Bereuen Sie was?"), dass nun bei der kommenden WM in Katar eine andere Frau mit "Schweini" sprechen muss. Sie firmiert jetzt als Filmemacherin und Expertin für Ost-Mentalität, wohl nicht zuletzt, weil sie selbst noch in der DDR geboren ist, aber mit beiden Hirnhälften fest auf dem Boden westdeutscher USA-Liebe steht.
Das Ergebnis war die Reportage "Russland, Putin und wir Ostdeutsche" am Montag (jetzt in der ARD-Mediathek), eine Art filmischer Besinnungsaufsatz zur Frage: "Warum viele Menschen im Osten sich Russland offenbar noch immer so nah fühlen?" und es im Osten so viele "Putin-Versteher" gibt?
Damit trotzdem nichts missverstanden werden kann, schob man zu (Er-)Klärung aller offenen Fragen dann gleich noch eine Ostwest-Frank-Plasberg-Sendung nach, um hart, aber unfair die Dinge einzuordnen.
"Es ist schwierig für mich zu differenzieren, weil ich ein ganz klares Bild habe"
Am Anfang standen ein paar Leitfragen: "Was ist los in meiner Heimat? Warum treffe ich hier immer wieder auf Menschen, die so anders über den russischen Angriffskrieg denken als ich? Warum gibt es hier anscheinend ein deutlich größeres Verständnis für Russland als im Westen? Und wie stark ist diese prorussische Haltung wirklich verbreitet? Das sind meine Fragen. Und um es klar zu sagen: Ich möchte niemanden verurteilen. Ich werde Fragen stellen und zuhören."
Schon das ist genau betrachtet sehr ungenau: Was ist denn die "Heimat" der Jessy Wellmer? Und woher weiß sie denn, wer wofür Verständnis hat?
Fragen stellen und zuhören, wäre aber gut. Tatsächlich aber hört man vor allem Jessy Wellmer dabei zu, wie sie Ansichten filtert, vorab schon Gesprächspartner einordnet und im Nachhinein deren Aussagen kommentiert.
Sowieso weiß Wellmer am Anfang schon alles, und am Ende des Films kein bisschen mehr. Immerhin scheint sie sich dessen selber bewusst zu sein: "Es ist schwierig für mich zu differenzieren, weil ich ein ganz klares Bild habe."
Nur ein Drittel der Ostdeutschen ist überzeugt, dass über Russland ausgewogen berichtet wird
In bester Tradition des postmodernen Ich-Journalismus reist Wellmer mit ihrem großem Ich durch die "neuen Bundesländer", klappert persönliche Bekannte, Promis wie Gregor Gysi und professionelle Ost-Erklärer wie den Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, ab, um jeweils ein paar Sätze aus den Interviews zu Standpunkten zusammenzumontieren.
Als Schlossgespenst des Films fungierte Reinhard Bartz, ehemaliger Offizier der Nationalen Volksarmee, der genau weiß, wer Schuld hat am Ukraine-Konflikt: Die USA nämlich. Das wird im Film sofort infrage gestellt.
Umgekehrt werden Schuldzuweisungen gegenüber Russland nie infrage gestellt - das hat selbstverständlich gute Gründe. Nur kann man eben keine offene Debatte führen, wenn deren Ergebnis zu Beginn schon feststeht.
Zu den Gesprächen kamen dann noch Umfragen zu Ansichten im Osten und im Westen Deutschlands: Eine davon sagt aus, dass 33 Prozent der Ostdeutschen die Berichterstattung über Russland zu negativ finden, acht Prozent zu positiv, 37 Prozent ausgewogen. Im Unterschied dazu sind die Zahlen im Westen: 23, zwölf und 45 Prozent. Dies soll im Film illustrieren, dass es große Unterschiede zwischen Ost und West gäbe.
Man kann dieses Umfrageergebnis aber auch anders lesen, weniger schmeichelhaft für die Medien insgesamt: Nur ein gutes Drittel der Ostdeutschen ist der Meinung, dass über Russland ausgewogen berichtet wird.
Und über Viertel aller Deutschen, also weit mehr als die Wähler der Grünen oder der AfD bei der letzten Bundestagswahl, findet die Russlandberichterstattung "zu negativ". Das ist die eigentliche Herausforderung für die Öffentlich-Rechtlichen.
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