Wie Russland die Weltwirtschaft zu Àndern versucht
Ein Chinese protestiert gegen die Welthandelsorganisation WTO. Russland und China suchen einen Weg aus der westlich, von den USA dominierten Globalisierung und ihren Spielregeln. Bild: fuzheado / CC BY 2.0
Russland will nicht nur in der Ukraine gewinnen, sondern zugleich mit China eine neue Wirtschaftsordnung ohne Isolation schaffen. Der Westen möchte einen neuen Eisernen Vorhang ohne Risiken. Ist das möglich? Ein Gastkommentar.
Am 31. Mai begann der russische AuĂenminister Sergej Lawrow eine Reise in die LĂ€nder des Golfkooperationsrates, wo er unter anderem Bahrain, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate besuchte. Lawrows Hauptziel dieser Besuche war die StĂ€rkung der Beziehungen zwischen Russland und den LĂ€ndern des Golfkooperationsrates inmitten eines globalen Wettlaufs um die geopolitische Vorherrschaft.
Der Nahe Osten, insbesondere die Golfregion, ist fĂŒr die derzeitige Weltwirtschaftsordnung von entscheidender Bedeutung und ebenso entscheidend fĂŒr eine kĂŒnftige Neugestaltung dieser Ordnung. Sollte es Moskau gelingen, die Rolle der arabischen Volkswirtschaften gegenĂŒber der Weltwirtschaft neu zu definieren, wĂŒrde es auch wahrscheinlich Erfolg damit haben, eine multipolare Weltwirtschaft entstehen zu lassen.
Die geopolitische Neuordnung der Welt lÀsst sich nicht einfach durch einen Krieg oder die Infragestellung des politischen Einflusses des Westens in seinen verschiedenen globalen Zonen erreichen. Die ökonomische Komponente ist möglicherweise der wichtigste Aspekt des anhaltenden Tauziehens zwischen Russland und seinen westlichen Gegnern.
Vor dem Russland-Ukraine-Krieg blieb die Diskussion ĂŒber die Notwendigkeit, die Globalisierung in Frage zu stellen oder neu zu definieren, weitgehend auf akademische Kreise beschrĂ€nkt. Durch den Krieg wurde diese theoretische Diskussion zu einer konkreten, dringenden Angelegenheit. Die UnterstĂŒtzung der USA, Europas und des Westens fĂŒr Kiew hat wenig mit der SouverĂ€nitĂ€t und UnabhĂ€ngigkeit der Ukraine zu tun und sehr viel mit der realen BefĂŒrchtung, dass ein russischer Erfolg die derzeitige Version der wirtschaftlichen Globalisierung, wie sie von den USA und ihren VerbĂŒndeten angestrebt wird, zerstören oder zumindest ernsthaft beschĂ€digen wird.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre war die Welt nicht lĂ€nger ein umkĂ€mpfter Raum zwischen zwei militĂ€rischen SupermĂ€chten â Nato gegen den Warschauer Pakt â und zwei massiven wirtschaftlichen Lagern â USA gegen UdSSR. Wir reden viel ĂŒber die amerikanische Invasion in Panama (1989) und den Krieg im Irak (1990), wenn es um die unstrittige amerikanische Vorherrschaft in globalen Angelegenheiten geht. Dabei wird oft ĂŒbersehen, dass die militĂ€rische und geopolitische Komponente dieses Krieges von einer wirtschaftlichen Komponente begleitet wurde.
Wie Panama und der Irak die militĂ€rische Dominanz der USA demonstrieren, sollte die GrĂŒndung der Welthandelsorganisation (WTO) in den Jahren 1994 und 1955 die wirtschaftlichen Interessen Washingtons in dieser neuen Weltordnung klarstellen.
Die Proteste gegen die WTO in Seattle 1999, die in ihrem Ausmaà und ihrer Heftigkeit beispiellos waren, wirkten wie ein verzweifelter Versuch, den alarmierenden Trend in der Weltwirtschaft umzukehren. Obwohl die Proteste die Macht der Zivilgesellschaft erfolgreich offenbarten, haben sie keine wirklichen, dauerhaften VerÀnderungen gebracht. In der US-amerikanischen, westlichen Definition der Globalisierung hatten kleinere LÀnder kaum Verhandlungsmacht.
Isolation Russlands: "Unmöglich, in der modernen Welt völlig unrealistisch"
WĂ€hrend die reichen LĂ€nder erfolgreich viele Privilegien fĂŒr ihre eigenen Industrien aushandelten, blieb einem GroĂteil des globalen SĂŒdens keine andere Wahl, als sich an die Regeln des Westens zu halten. Die Amerikaner sprachen von freiem Handel und offenen MĂ€rkten, behielten aber gleichzeitig eine protektionistische Agenda in Bezug auf die ihrer Meinung nach wichtigsten Industrien bei. Die Globalisierung wurde als Erfolgsgeschichte fĂŒr Freiheit und Demokratie verkauft, obwohl es sich im Grunde um eine billige Kopie der französischen Wirtschaftsdoktrin des "Laissez-Faire" vom 18. Jahrhundert handelt.
Es ist leicht, die armen LĂ€nder dafĂŒr zu kritisieren, dass sie die Vorherrschaft der USA und des Westens nicht herausfordern. TatsĂ€chlich haben sie es versucht, und das Ergebnis waren Wirtschaftssanktionen, Regimewechsel und Krieg. Der einzige Silberstreif am Horizont ist, dass diese rĂ€uberische Form des Kapitalismus kleine LĂ€nder im globalen SĂŒden ermutigt hat, ihre eigenen Wirtschaftsblöcke zu stĂ€rken, damit sie mit gröĂerem Einfluss verhandeln können. Doch selbst das reichte nicht aus, um das unfaire globale Spielfeld zu verĂ€ndern, geschweige denn, eine neues zu entwickeln.
GroĂe Volkswirtschaften wie China durften von der Globalisierung profitieren, solange ihr starkes Wachstum den Interessen der Weltwirtschaft, insbesondere des Westens, diente. Die Dinge begannen sich jedoch zu Ă€ndern, als Chinas politischer und geopolitischer Einfluss begann, seinem wirtschaftlichen zu entsprechen.
Der ehemalige republikanische US-PrĂ€sident Donald Trump widmete der sogenannten "chinesischen Bedrohung" in vielen seiner Reden groĂe Aufmerksamkeit und erklĂ€rte China schlieĂlich den Wirtschaftskrieg. Die derzeitige Regierung der Demokraten unter Joe Biden ist kaum anders. Obwohl sie damit beschĂ€ftigt ist, Russlands militĂ€rische Operationen in der Ukraine zu bekĂ€mpfen, hĂ€lt Washington an seiner antichinesischen Rhetorik fest.
Das Marrakesch-Abkommen von 1994, auf dessen Grundlage die WTO gegrĂŒndet wurde, wurde beschlossen, um das geopolitisch ĂŒberholte Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) von 1948 zu ersetzen. Man beachte, dass jedes dieser globalen Wirtschaftsabkommen das Ergebnis der geopolitischen Ordnung ist, letzteres nach dem Zweiten Weltkrieg und ersteres nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers.
Obwohl sich Russland und seine VerbĂŒndeten jetzt vor allem darauf konzentrieren, eine Art Sieg in der Ukraine zu erringen, ist es ihr eigentliches Ziel, die Saat fĂŒr ein anderes wirtschaftliches Gleichgewicht zu bereiten, in der Hoffnung, dass das letztlich eine Neuverhandlung der heutigen Globalisierung und damit der wirtschaftlichen Hegemonie des Westens erzwingen wird.
Russland investiert eindeutig in ein neues globales Wirtschaftssystem, ohne sich dabei jedoch isolieren zu wollen. Auf der anderen Seite ist der Westen hin- und hergerissen. Er möchte fĂŒr Russland den Eisernen Vorhang aus der Vergangenheit erneut fallen lassen, ohne dabei jedoch seine eigene Wirtschaft zu schĂ€digen. Diese Gleichung ist einfach unlösbar, zumindest fĂŒr die nĂ€chsten Jahre.
In einer Rede auf dem Eurasischen Wirtschaftsforum sagte der russische PrĂ€sident Wladimir Putin, der Versuch, Russland zu isolieren, sei "unmöglich, in der modernen Welt völlig unrealistisch". Seine Worte unterstreichen, dass sich Russland der Ziele des Westens voll bewusst ist, und Lawrows rege ReisetĂ€tigkeit, insbesondere im globalen SĂŒden, ist Moskaus Versuch, ein alternatives globales Wirtschaftssystem zum Leben zu erwecken, in dem Russland nicht isoliert ist. Das Ergebnis all dieser BemĂŒhungen wird nicht nur die Welt aus geopolitischer Sicht neu definieren, sondern auch das Konzept der Globalisierung fĂŒr die kommenden Generationen neu bestimmen.
Der Kommentar erschien zuerst auf der US-amerikanischen Plattform Znet [1]. Ăbersetzung: David GoeĂmann.
Dr. Ramzy Baroud ist Journalist und Herausgeber der PalĂ€stina-Chronik. Er ist der Autor von sechs BĂŒchern. Sein neuestes Buch, das er gemeinsam mit Ilan PappĂ© herausgegeben hat, ist "Our Vision for Liberation: Engagierte palĂ€stinensische FĂŒhrungspersönlichkeiten und Intellektuelle kommen zu Wort". Baroud ist ein Non-Resident Senior Research Fellow am Zentrum fĂŒr Islam und Globale Angelegenheiten (CIGA). Seine Website ist: www.ramzybaroud.net.
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