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Wie Superreiche, fossile Konzerne und Krieg Inflation weiter anheizen

Jachthafen in San Diego, USA. Bild: C.C. Francis / Unsplash Licence

Hohe Löhne und billiges Geld seien Treiber von Preissteigerungen. Also wird Lohnzurückhaltung und Zinserhöhung gefordert. Eine neue Studie in den USA räumt mit diesen Mythen auf und fördert Überraschendes zutage.

In Deutschland, aber auch in anderen Ländern, verlangen Angestellte und Arbeiterinnen mehr Geld. In Deutschland fordern die Mitarbeiter:innen von der Deutschen Post [1] und im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) angesichts der starken Preissteigerungen deutliche Tariferhöhungen von bis zu 15 Prozent.

In Frankreich [2] und Großbritannien [3] wird ebenfalls angesichts gestiegener Lebenshaltungskosten, gegen Rentenkürzungen und für bessere Löhne gestreikt.

Das stößt in der breiteren politischen Öffentlichkeit jedoch auf Skepsis und Ablehnung. In der konservativen Wirtschaftspresse und von Mainstream-Ökonomen wird vor einer Lohn-Preis-Spirale gewarnt [4]. Nach dem Muster: Höhere Lohnabschlüsse verteuern die Produkte und Dienstleistungen der Unternehmen, was wiederum die Preise ansteigen lässt.

In den USA, wie auch hierzulande, wird von Ökonomen und in den großen Medien wie Washington Post oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zudem von einem "demand shock" [5], einem Nachfragschock gesprochen [6], der die Inflation antreibe.

Hilfspakete wie der American Resue Plan Act der US-Regierung im Zuge der Corona-Pandemie von März 2021 würden normale Bürger:innen einfach zu viel Geld geben, was sie dann mit beiden Händen ausgeben – was wiederum die Inflation angetrieben habe. Im Handelsblatt heißt es [7]:

Dazu [zu Lieferengpässen] kommt eine hohe Nachfrage, vor allem in den USA durch Ausgaben der Regierung getrieben und überall sonst auch durch nachgeholten Konsum.

Daher wird von allen Seiten Lohnzurückhaltung und Geldverteuerung als Heilmittel empfohlen. So hoben die Zentralbanken überall den Leitzins an, um damit der Inflation entgegenzusteuern. Die Europäische Zentralbank hat seit letztem Jahr den Leitzins allein auf drei Prozent angehoben [8].

Die Wirtschaftswissenschaftler Thomas Ferguson und Servaas Storm vom Institute for New Economic Thinking in den USA widersprechen jedoch in einer neuen Studie [9] der Ansicht, dass zu hohe Löhne und billiges Geld für die extreme Inflation verantwortlich sind.

Sie verweisen darauf, dass 90 Prozent der Corona-Hilfsgelder bereits bis zum Juni 2021 ausgegeben worden waren. Im zweiten Halbjahr von 2021 hätten die diversen Steuer- und Ausgaben-Politiken in den USA die wirtschaftliche Nachfrage dann sogar verringert. Die Inflation ging aber erst Ende 2021 los und steigerte sich dann auf Rekordmarken im Verlauf von 2022.

Ferguson und Storm sehen daher keinen Nachfrage-Boom bei der arbeitenden Durchschnittsbevölkerung als Inflationstreiber. Doch es habe ihrer Meinung nach durchaus einen "demand shock" gegeben. Er sei jedoch von den oberen Schichten ausgelöst worden.

Zwischen dem ersten Quartal 2020 und dem ersten Quartal 2022 ist das gesamte Privatvermögen in den USA um 26,1 Billionen Dollar gestiegen, was vor allem auf den explodierenden Aktienmarkt zurückzuführen ist. Vierzig Prozent davon entfielen auf das oberste eine Prozent, weitere 33,4 Prozent auf die nächsten neun Prozent – was bedeutet, dass etwa drei Viertel des Anstiegs an das oberste Zehntel der Amerikaner ging.

Ende 2021, so schreiben Ferguson und Storm, "betraten die wohlhabenden US-Amerikaner in Scharen die Bühne und starteten eine Ausgabenrally". Die Wirtschaft konnte in der Tat nicht genug Angebot für das erzeugen, was die Reichen kaufen wollten. Die beste Lösung für diese Art von einseitiger Nachfrage wären progressive Verbrauchssteuern gewesen, anstatt die Wirtschaft über die Federal Reserve, die US-Notenbank, auf breiter Front zu bremsen.

Eliten, nicht Normalbürger:innen sind schuld

In Deutschland stiegen während der Corona-Pandemie und danach das Vermögen und die Einkommen der Reichen ebenfalls weiter an. Der "Club der Millionäre" ist in Deutschland einer Studie zufolge auch im vergangenen Jahr weiter gewachsen [10].

Dafür sorgten boomende Aktienmärkte und steigende Immobilienpreise. Hierzulande gehören nun inzwischen 1,63 Millionen Menschen zu den Personen, die über ein anlagefähiges Vermögen von mindestens einer Million Dollar verfügen. Rund 100.000 Menschen stiegen 2021 in diesen Bereich auf.

Natürlich verweisen Ferguson und Storm auch auf die Angebotsseite, die "supply shocks". Dazu zählt zuerst die Verknappung von fossilen Energien im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen gegenüber Russland.

Zweitens trieben höhere Profitmargen der Unternehmen die Preise. Drittens schrumpfte die Arbeiterschaft während der Pandemie: Menschen verstarben, erkrankten, gingen vermehrt in den Ruhestand oder mussten sich um ihre Kinder kümmern.

Schließlich wurden höhere Preise für Importe verlangt, ausgelöst auch durch vermehrte Klima-Desaster und extreme Wetterlagen. Die Studie bezieht sich dabei auf Berechnungen von Swiss Re, einem der größten Rückversicherer weltweit, der Versicherungen für Versicherungsunternehmen anbietet. Solche Rückversicherer sind der letzte finanzielle Rückhalt im Falle von Katastrophen und sind daher sehr besorgt über die zunehmenden Kosten der Erderhitzung.

Swiss Re schätzt, dass sich die wirtschaftlichen Gesamtschäden durch Naturkatastrophen in den Jahren 2021 und 2022 auf 292 sowie 260 Milliarden US-Dollar belaufen werden – weit mehr als die 207 Milliarden US-Dollar im Durchschnitt der letzten zehn Jahre.

Die versicherten Schäden seien "in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um fünf bis sieben Prozent pro Jahr gestiegen". Swiss Re sieht in einem Bericht die globale Erwärmung als einen der "Schlüsselfaktoren" an. Sie stelle "das größte langfristige Risiko für die Weltwirtschaft dar".

Ferguson und Storm warnen davor, dass die Welt auf unbestimmte Zeit einer "Zukunft mit einer Vielfalt von Angebotsschocks" gegenüberstehe. Daher müsse man nicht nur kurzfristig den finanziellen und monetären Aspekten Aufmerksamkeit schenken, sondern den darunter liegenden Ursachen.

Dazu gehören drohende Pandemien, fehlende internationale Kooperation und fossile Verbrennung zur Energieerzeugung. Daher empfehlen die Wissenschaftler, gegen Kriegseskalation wie in der Ukraine vorzugehen, sich auf weitere Pandemien vorzubereiten und gegen die Erderhitzung entschiedene Maßnahmen zu ergreifen.

Am Ende bedeutet es: Sich den Interessen und Bedürfnissen der normalen Bevölkerung zuzuwenden und die der Eliten zu vernachlässigen. Etwas, was in der medialen Kommentierung aber kaum im Zentrum der Debatten steht.


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https://www.heise.de/-7542016

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verdi-deutsche-post-streik-101.html
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/streik-frankreich-rentenreform-macron-1.5764423
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/grossbritannien-streik-lehrer-101.html
[4] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/lohnabschluesse-vergleich-101.html
[5] https://www.washingtonpost.com/opinions/2021/02/04/larry-summers-biden-covid-stimulus/
[6] https://www.faz.net/aktuell/finanzen/ausblick-steigende-nachfrage-koennte-inflation-ausloesen-17142861.html
[7] https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/preise-was-wir-ueber-die-inflation-wissen-und-was-nicht/28032062.html
[8] https://www.deutschlandfunk.de/inflation-warum-steigen-die-preise-100.html
[9] https://www.ineteconomics.org/uploads/papers/WP_196-Ferguson-and-Storm-Inflation-final-Jan-2-cor.pdf
[10] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/vermoegen-deutschland-millionaere-101.html