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Wie Ursula von der Leyen das KZ Auschwitz den Polen anzuhängen versuchte – und damit scheiterte

Gebietet mehr Respekt und Demut: Lager Auschwitz. Bild: mjhnyc.org

EU-Kommissionschefin provoziert Kritik mit Video zu Holocaust-Gedenktag Problem mit Geschichtsfälschungen, Manipulation und Unkenntnis. Dafür gibt es einige Beispiele.

So wie sie es macht, ist es falsch. Wenn Ursula von der Leyen, die Vorsitzende der EU-Kommission, ihre elektronische Korrespondenz löscht, steht halb Europa Kopf [1].

Ursula von der Leyens umstrittene Löschungen

Denn plötzlich ist nicht mehr nachvollziehbar, unter welchen Bedingungen viel Geld an den Pharmakonzern Pfizer für die Lieferung von Impfstoff gegen Covid-19 geflossen ist. Ein Großteil des teuren Stoffes muss übrigens vernichtet und bis mindestens 2027 neu beschafft werden.

Kontroverse Aussagen zum Holocaust-Gedenktag

Wenn Frau von der Leyen dagegen ungefilterte Aussagen in der Öffentlichkeit macht, geht die Sache auch nach hinten los. So geschehen am vergangenen Wochenende, als die EU-Kommissionschefin es für nötig hielt, sich zum jährlichen Holocaust-Gedenktag anlässlich der Befreiung des Lagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 durch sowjetische Truppen zu äußern.

Von der Leyen hatte auf X ein Video hochgeladen, in dem sie und die EU-Kommissare der im Holocaust "umgekommenen" Menschen gedachten.

Polens Reaktion auf EU-Video: Ein diplomatischer Fehltritt

Denn darin wurden die Opfer zunächst tatsächlich als "Gestorben im Auschwitz-Lager, Polen" bezeichnet. Das rief Polens Außenminister Radosław Sikorski auf den Plan, der sich – ebenfalls auf X – empörte:

Wenn man über das Nazi-Vernichtungslager Auschwitz schreibt, sollte man bedenken, dass es unter deutscher Besatzung errichtet wurde. Informationen in den sozialen Medien der Europäischen Kommission werden geklärt, aber es ist schade, dass der polnische EU-Kommissar den polnischen Standpunkt nicht im Voraus dargelegt hat.

Radoslaw Sikorski

Die EU veröffentlichte daraufhin eine korrigierte Version des Videos, in der es nun heißt: "Ermordet in Auschwitz, Deutsches Nazi-Vernichtungslager." Damit wurde – sozusagen nebenbei - auch der zweite(!) Fauxpas in dem bezeichnenden ursprünglichen Halbsatz ausgemerzt: Denn "gestorben" beschreibt das massenhafte Morden der Nazis keineswegs.

Insgesamt ermordeten die Nazis schätzungsweise 17 Millionen Menschen [2] darunter 6 Millionen Juden, 5,7 Mio. nichtjüdische sowjetische Zivilisten sowie etwa 3 Mio. sowjetische Kriegsgefangene und 1,8 Mio. nichtjüdische polnische Zivilisten. Allein in Auschwitz-Birkenau wurden zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen umgebracht.

Auschwitz zwischen Fälschung, Manipulation und Missbrauch

Von der Leyen reiht sich damit ein in einer Serie von Geschichtsfälschungen und peinlichen Fehlern zur Holocaust-Vergangenheit ein. Im Jahr 2008 gab der spätere US-Präsident Barack Obama bei einer Wahlkampfveranstaltung eine offenbar erfundene Anekdote über einen angeblichen Verwandten zum Besten: Einer seiner Onkel habe als Soldat der US-Truppen geholfen, das Konzentrationslager Auschwitz befreien.

Barack Obamas umstrittene Holocaust-Anekdote

Obama behauptete, dass dieser Onkel nach seiner Rückkehr aus dem Krieg für sechs Monate in völliger Isolation auf dem Dachboden gelebt habe, um das Erlebte zu verarbeiten. Die Geschichte stieß umgehend auf massive Kritik.

Zum einen nämlich wurde Auschwitz von der Roten Armee befreit. Zum anderen war der Heldenonkel offenbar erfunden: Obamas Mutter war Einzelkind und der Bruder seines Vaters wurde erst lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Kenia geboren.

Der Spiegel in der Kritik: Falsche Darstellung von Auschwitz

Vor vier Jahren dann eine ähnliche Neuerfindung der Geschichte beim Nachrichtenmagazin Spiegel: Auf einer sozialen Plattform veröffentlichte die Redaktion ein sogenanntes Sharepic mit dem Text:

Auschwitz war das größte Vernichtungslager der Nazis. Sie ermordeten dort mindestens 1,1 Millionen Menschen. Vor 75 Jahren wurde es von der amerikanischen Armee befreit.

Sharepic, Der Spiegel, Januar 2020

Das Bild machte damals in sozialen Netzwerken die Runde und führte zu einem Shitstorm gegen die Spiegel-Redaktion. Die entschuldigte sich später: Eine junge Mitarbeiterin habe das Bild selber erstellt. Redaktionelle Verantwortung und Loyalität gegenüber den Mitarbeitern sieht anders aus.

Erinnerungskultur: Auschwitz zwischen Fälschung und Missbrauch

So schwankt das Gedenken an Auschwitz bereits erheblich vor der 100-Jahresfrist des Gedenkens dieses Menschheitsverbrechens zwischen einer schludrigen Erinnerungskultur, vorsätzlicher Geschichtsfälschung und Manipulation.

Für letzteres haben die Grünen den Grundstein gelegt, als aus ihren Reihen die Nato-Angriffe auf Jugoslawien mit Auschwitz begründet wurden. Es war der damalige Außenminister Joseph "Joschka" Fischer, der mit dieser Argumentation erstmals aufwartete.

Auschwitz machte ersten Kriegseinsatz nach 1945 möglich

"Auschwitz ist unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen", sagte der damalige Außenminister Joseph Fischer [3] im Jahr 1999, um den ersten deutschen Kriegseinsatz nach der Zerschlagung des Dritten Reiches zu ermöglichen.

Fischer legte damit Angehörigen eines Opfervolkes ein Verbrechen des eigenen Vorgängerstaates zur Last. Was als schamloser diplomatischer Fauxpas hätte abgehakt werden können, machte Schule.

Später nannte Außenministern und Grünen-Parteifreundin Annalena Baerbock den Einsatz ihres Nazigroßvaters für die Wehrmacht in Polen in einem Atemzug mit ihrem Einsatz für die europäische Einigung. („Und mein eigener Großvater kämpfte etwa im Winter 1945 an diesem Fluss, an dieser Grenze. Und ich stand 2004 auf dieser Brücke (…) als Joschka Fischer (…) zusammen mit seinem Kollegen von der polnischen Seite erneut die Wiedervereinigung Europas gefeiert hat.“)

"Die Geschichte verbietet uns nicht, in dieser Konsequenz" - also des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und des Vorstoßes gegen Moskau - "uns an Sanktionen gegen Russland zu beteiligen", sagte der CDU-Abgeordnete Johann Wadephul im Bundestag.

Deutsche Politik und die Last der Geschichte

Im Fall von Polen belastet die Nazivergangenheit die deutsch-polnischen Beziehungen immer wieder. Vor allem die PiS-Regierung hat die grausamen Geschehnisse wiederholt als Druckmittel gegen Berlin und Brüssel verwendet.

Deutsche Politikerinnen und Politiker sollten dringend geschichtsbewusster auftreten. Sonst könnten sie es sich auch mit der neuen proeuropäischen Führung in Warschau schnell verscherzen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9612317

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Klage-gegen-EU-Kommission-Was-steht-in-den-SMS-von-der-Leyens-an-Pfizer-7516634.html
[2] https://de.statista.com/infografik/23994/geschaetzte-zahl-der-nazi-opfer/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=7jsKCOTM4Ms