Wie denken AfD-Wähler?

Der Mindestbestand politisch rechter Positionen

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Beliebt ist es, anlässlich der Wahlerfolge der AfD die allerschwärzesten Worte zu bemühen. Das Bewusstsein ihrer Wähler wird in die Nähe von Rassismus und Nazismus gerückt oder als Vorstufe dazu verstanden. Gegenüber solchen worst-case-Interpretationen regen sich Zweifel. Im Berliner Dialekt: "Ham’ses nich ne Numma kleiner?"

Ich schlage vor, so etwas wie einen Minimalbestand miteinander vernetzter rechter Positionen zu benennen, bei deren Unterschreitung nicht mehr von "rechts" gesprochen werden kann. Mich interessiert, inwieweit das Bewusstsein von Wählern der AfD durch vergleichsweise gedanklich unaufwändige Überzeugungen charakterisiert ist, die sich von rassistischen und nazistischen Positionen unterscheiden. (Um den Unterschied zu verdeutlichen: Die Parole einer vergleichsweise aufwändigen Überzeugung lautet bspw.: "Wer seinem Vaterland die Treue bricht, der hält sie auch dem Herrgott nicht.") Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich folgende Positionen dieses "minimalen" rechten Überzeugungsbestands benennen:

  1. Menschen haben verschiedene Anteile: egoistische Interessen und Aggressionstrieb einerseits, Moral andererseits ("realistisches Menschenbild").
  2. Alles, was Moral stärkt, ist gut. Alles, was sie schwächt, ist schlecht. Moral ist nicht ortlos. Orte von moralischer Bindung und Werteorientierung sind die Familie, die religiöse Gemeinde, die Nation.
  3. Solidarität ist innerhalb dieser Räume möglich, nicht außerhalb. In der wirtschaftlichen Konkurrenz geht es legitimerweise um Leistung und Kampf.
  4. Zwischen den Nationen auf Völkerfrieden und Weltgemeinschaft zu hoffen, ist illusorisch und töricht. Die Nationen und ihre Bevölkerungen verhalten sich egoistisch zueinander. Anderweitige Hoffnungen zu verbreiten ist der Spleen von Leuten, die meinen, den Himmel auf Erden realisieren zu können. Sie haben in Geographie nicht aufgepasst. Es handelt sich um Nächstenliebebeamte, Pädagogen u. a., die ihre Ideale verabsolutieren.
  5. Die Menschen sind von Natur aus ungleich. Sie haben verschiedene Begabungen und Talente.
  6. Hierarchien, in denen die Besten das Sagen haben, sind gut. Alles, was Eliten ihren Wert bestreitet, ist schlecht.
  7. Es gibt nicht nur geschichtliche Veränderung, sondern auch Konstanten und Invarianten - und das ist auch gut so.
  8. Mangelnde kulturelle Homogenität der Bevölkerung in einer Nation führt zu nichtüberwindbaren Zerwürfnissen.
  9. Bei Ausländern gilt in verschärftem Maße das, was außerhalb von Familie, religiöser Gemeinde und Nation gilt: Ich bekomme nichts geschenkt, habe also auch nichts zu verschenken. Nichts gegen eine gelegentliche Spende à la Brot für die Welt. Aber die Wurst bleibt hier.
  10. Viele Ausländer kosten uns/Deutschland mehr als sie uns/Deutschland einbringen.
  11. Fremd im eigenen Land möchte ich mich nicht fühlen. "Deutschland muss in Kreuzberg wieder erkennbar sein", so ein in 20.000 Exemplaren erstellter Aufkleber der Junge Union Berlin 1999. Die Berliner Zeitung berichtete: "In einem Mitglieder-Aufruf zur Aufkleberaktion spricht die Junge Union von einer 'viel zu hohen Konzentration von integrationsunwilligen Ausländern', die zu einem Wegzug der angestammten Bevölkerung geführt habe. … Kreuzberg ist mit 33 Prozent der Bezirk mit dem höchsten Ausländeranteil." Die Aktion wurde auch vom damaligen Berliner CDU-Vorsitzenden Diepgen unterstützt.

Die genannten Positionen sind trennscharf genug, um politisch rechte von linken Positionen zu unterscheiden. Bei allen internen Differenzen neigen Linke dazu,

  1. individuelle Unterschiede auf verschiedene Sozialisation zurückzuführen,
  2. sich für den Abbau von Hierarchien und für die Demokratisierung auszusprechen,
  3. historische Veränderungen für relevanter zu erachten als historische Konstanten,
  4. für internationale Solidarität einzutreten.

Missverständnisse über die rechten Elementarpositionen

Mit der These "Die Menschen sind von Natur aus ungleich. Sie haben verschiedene Begabungen und Talente", ist nicht notwendigerweise eine Hierarchie des Werts verbunden, die aus der Gesamtbewertung der einzelnen Personen folgt und sie als "ganze" Menschen betrifft. Aus der These folgt nicht die Diagnose, es gebe höherwertige oder minderwertige Menschen.

An das eigene Land zuerst zu denken, heißt nicht notwendigerweise, es auf einer wie auch immer inhaltlich bestimmten Rangskala zu verorten. Es heißt nicht zwingend, sich als (in welcher Hinsicht auch immer) "besser" als andere Nationen aufzufassen. Es heißt vielmehr weniger voraussetzungsreich: Alle Länder denken zuerst an sich, "wir" also auch.

Universalistische Normen frontal zu bestreiten, darum geht es nicht.1 Vielmehr lautet die These: Sie bleiben Ideale, die in der Wirklichkeit nicht greifen. Man kann nach ihnen streben, wenn man "idealistisch" gesinnt ist. Realisten werden nicht mit ihrer Verwirklichung rechnen. Nach ihnen zu streben, erscheint als anspruchsvolles Hobby von Leuten, die aus der Moral eine "Hypermoral"2 machen.

Eliten und Moral

Die Wertschätzung nicht unbedingt der vorfindlichen, sondern "wahrer" Eliten heißt nicht notwendigerweise, dass man/frau sich selbst als Teil dieser Elite ansieht. Die Wertschätzung von Eliten verträgt sich mit folgendem Gedanken: "Elite - ich bin das nicht und deren Anforderungen sind auch nichts für mich. Ich bin froh, dass andere diese Last auf sich nehmen. Ich will diesen Stress nicht (auch noch) haben müssen." (Solche Statements sind aus Umfragen mit der Frage "Wie schätzen Sie die Belastungen von Unternehmern ein?" bekannt.)

Analoges gilt für die Wertschätzung von Moral. Ich kann Moral wertschätzen, aber mich selbst als nicht unbedingt moralisch konsequent erachten, ohne daraus Selbstkritik in besonderem oder gar praktisch folgenreichem Umfang folgen zu lassen. Gerade weil ich mich für moralisch nicht sonderlich vorbildlich erachte, kann ich der Meinung sein: "Es ist gut, dass es in der Gesellschaft eine starke Moral gibt."

Die Wertschätzung von Elite bedeutet kein Votum für elitäres Verhalten. Nicht Getue oder Bugwelle, sondern reale Tüchtigkeit oder Durchsetzung bilden den Maßstab. Diese Unterscheidung findet sich schon bei Nietzsche: Der Unterschied zwischen "der Herde" und den Ausnahmemenschen ist kein Grund für Anmaßung der letzteren. "Vor nichts soll man sich so hüten als vor dem Aufwachsen jenes Unkrauts, welches Anmaßung heißt und in uns jede gute Ernte verdirbt."3

Es würde eines tieferen Geistes vollkommen unwürdig sein, in der Mittelmäßigkeit an sich schon einen Einwand zu sehen. Sie ist selbst die erste Notwendigkeit dafür, dass es Ausnahmen geben darf: Eine hohe Kultur ist durch sie bedingt. Wenn der Ausnahme-Mensch gerade die Mittelmäßigen mit zarteren Fingern handhabt, als sich und seines Gleichen, so ist die nicht bloß Höflichkeit des Herzens, - es ist einfach seine Pflicht...

Nietzsche

Unterschiede zu rassistischen und nationalsozialistischen Inhalten

Insgesamt handelt es sich bei den elementaren rechten Positionen um solche, die weder große Anforderungen an ein explizites, halbwegs kohärentes und konsistentes Weltbild beinhalten noch besonderen Radikalitätsaufwand voraussetzen oder mit intensiver Selbstverpflichtung einhergehen.

Elementar sind diese Positionen insofern, als auch gedanklich aufwändigere rechte Positionen auf sie zurückgreifen. Eine Beziehung logischer Konsequenz ("Wer A sagt, der muss auch B sagen") besteht nicht zwischen dem Mindestbestand rechter Positionen und maximalen rechten Positionen. Dieser Mindestbestand von rechten Inhalten unterscheidet sich von rassistischen und nationalsozialistischen Inhalten.

Nationalsozialisten wollen den Parlamentarismus abschaffen, fassen sich als Elite auf, möchten das Volk umerziehen im permanenten Kampf, folgen Vorstellungen von der rassischen Höherwertigkeit der eigenen Rasse, fassen den Rassenkrieg als die zentrale anstehende Auseinandersetzung auf und orientieren sich an der Parole: "Du bist nichts, dein Volk ist alles."