Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk doppelt versagt (und sich trotzdem lobt)
Seite 2: Und warum der gebührenfinanzierte Rundfunk seinem Anspruch immer seltener gerecht wird
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Nicht alles ist heute schlecht. Aber eine der Geißeln unserer Zeit ist die Polarisierung. Wer Corona-Maßnahmen hinterfragte – und damit im Nachhinein in nicht wenigen Fällen Recht behielt – wurde zu "Querdenker"; und dies nicht im ursprünglichen, also guten Sinne. Wer auf die Rolle der Nato bei der Entstehung des Konflikts zwischen Russland und den Nato-Staaten hinweist, verbreitet angeblich "russische Propaganda". Und wer für Frieden demonstriert, wurde zuletzt mitunter zum "Nazi".
Die Medien spielen bei solchen Zuspitzungen oft eine verstärkende Rolle. Und zwar alle Medien. Dabei scheint das Problembewusstsein bei den Leitmedien einerseits und den so genannten Alternativmedien andererseits recht einseitig zu sein. Die "selbsternannten Alternativmedien", wie es dort gemeinhin heißt, sind vor allem dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Feindbild ausgemacht. Diesem Feind begegnet man bisweilen auch Schulter an Schulter mit staatlich finanzierten Faktenchecks. Kleine, unabhängige Redaktionen arbeiten sich indes oft kompromisslos an der "Systempresse" ab.
Dabei muss klar sein, dass vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender in der Pflicht stehen, denn sie sind durch die obligatorischen Rundfunkgebühren mehr als alle anderen Medienangebote zur Objektivität verpflichtet. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen immer weiter auseinander.
Als Telepolis wegen des Wechsels des ARD-Korrespondenten Michael Stempfle in die Leitung des Pressestabs des Bundesverteidigungsministeriums nachfragte, nachdem er bei der ARD eines Lobeshymne auf seinen neuen Dienstherren veröffentlicht hatte, antwortete der Sprecher eines öffentlich-rechtlichen Senders mit reichlich Selbstbeweihräucherung:
Uns allen im SWR und in der ARD ist klar, dass das Vertrauen der Menschen das höchste Gut ist. Daher stehen wir uneingeschränkt zu journalistischen Standards wie der Unabhängigkeit in der Berichterstattung, der Kenntlichmachung von Quellen und dem transparenten Umgang mit Fehlern. All dies zeichnet Qualitätsmedien wie die ARD und den SWR aus (..)
Ist das so? Die ARD wurde nach dem fragwürdigen und keineswegs aufgearbeiteten Stempfle-Wechsel von mindestens zwei weiteren Skandalen erschüttert, über die auch Telepolis berichtet hatte.
Zum einen hatte ein sogenannter ARD-Faktenfinder – mutmaßlich meinungsgetrieben – aufgrund eines Übersetzungsfehlers von Sprengstoff "in Form von Pflanzen" an den Nord-Stream-Pipelines berichtet – und diese Fehlinterpretation dem US-Pulitzerpreisträger Seymour Hersh als These untergeschoben. Als die Sache im Netz für ungläubige Lacher gesorgt hatte, löschte die ARD den Passus, eine knappe redaktionelle Erklärung lässt Fragen offen:
In einer früheren Version war von Sprengstoff "in Form von Pflanzen" die Rede. Dabei handelte es sich um einen Übersetzungsfehler. Hersh schreibt von "plant shaped C4 charges". Das Wort "plant" ist in diesem Fall jedoch nicht mit "Pflanze" zu übersetzen, sondern mit "platzieren". Der Absatz wurde korrigiert.
Nachdem der Moderator von "Hart, aber fair", Louis Klamroth der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht dann in der Debatte über sexuelle Übergriffen durch russische und ukrainische Truppen Fake-News vorwarf und die Redaktion behauptete, entsprechende Delikte seien ausschließlich der russischen Seite vorzuwerfen, musste die ARD einen "Faktencheck" korrigieren:
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Faktenchecks haben wir noch nicht auf den Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin aus dem Juli 2022 und den UN-Bericht aus dem September 2022 verwiesen. Dies haben wir hier ergänzt.
In keinem der beiden Fälle wird Transparenz hergestellt: Wie kam es zu den Fehlern? Was wurde im redaktionellen Workflow verändert, um solche Fehler künftig zu vermeiden? Vielleicht auch: Wie sehen Medien-Fachleute das Problem, was raten sie? Dass sich Klamroth bei seiner mansplainingmäßig zurechtgewiesenen Debattenteilnehmerin nicht entschuldigt – das geht da als Stilfrage schon eher unter.
Friedemann Vogel von der Sozio- und Diskurslinguistik der Universität Siegen schrieb dazu auf Twitter:
Presse und Journalismus (zumal im öffentlichen Auftrag) müssen besonders sorgfältig arbeiten, wenn es um Leben & Tod, um Kriegsverbrechen geht - andernfalls hilft sie nur den Tätern und verhindert Aufklärung. Das ist fatal für Opfer u Medienglaubwürdigkeit.
Obgleich Vogel auch den Hersh-Fauxpas der ARD erwähnt, weist er pauschale Propaganda-Vorwürfe gegen "die Medien" zurück, sie gingen an der Wirklichkeit vorbei. Sein Urteil: "Das Problem seit dem Corona-Diskurs ist die Expansion eines falsch verstandenen Haltungsjournalismus, der bei klammen Kassen und hohem Konkurrenzdruck immer mehr Fehler macht und Glaubwürdigkeit in der Presse untergräbt."
Zur Wahrheit gehört auch, dass eine solche differenzierte Sicht durch eine pauschale Frontstellung gegen "die Medien", Systemmedien", die "Lücken-" oder gar "Lügenpresse" versperrt wird. Diese Kritik müssen sich einige Alternativmedien – selbsternannt oder nicht – gefallen lassen.
Zugleich wurde die Chance, eine Debatte auf dieser Ebene zu führen, von der ARD nun zweifach versäumt. Stattdessen bekommt der Sender nach der "Hart, aber fair"-Sendung Zuspruch von dem Kampagnenblog Volksverpetzer, die die Falschbehauptungen zu sexualisierten Übergriffen allen Korrekturen zum Trotz und im Stil einer linksgrünen Bild-Zeitung verteidigt.
Es wird Zeit für eine Debatte fernab dieser Polarisierung. Dazu gehört die notwendige Kritik (und Selbstkritik) alternativer Medien ebenso wie das Beharren auf die Pflichten eines gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der sich, obwohl die Qualität nachweislich immer schlechter wird und das Vertrauen sinkt, immer noch als Maß aller medialen Dinge sieht. Zu Unrecht, wie die jüngsten Beispiele zeigen.
Artikel zum Thema:
Sebastian Köhler: Wie der ARD-Faktenfinder Realität im Nachrichtentext bewertet
Harald Neuber: Ukraine-Krieg: Hat Wagenknecht Vergewaltigungen relativiert?
David Goeßmann: Das Hersh-Bennett-Syndrom der Medien: "Kill The Message!"
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