Wie die Berichte über Benjamin Netanyahus Rede im US-Kongress manipuliert wurden
Auftritt des Premiers von Kongress negativ aufgenommen. Leere Plätze von Claqueuren besetzt. Warum wird das deutschen Mediennutzern vorenthalten?
Nachdem Israels Premierminister Benjamin Netanyahu am Mittwoch eine Rede vor dem US-Kongress in Washington gehalten hatte, war in den Medien von viel Zustimmung die Rede.
Nun kommt heraus: Die Bilder waren mutmaßlich manipuliert. Kritische US-Abgeordnete wiesen darauf hin, dass die leeren Plätze von Nicht-Mandatsträgern besetzt wurden; offenbar mit der Anweisung, dem Gast zu applaudieren. Haben sich deutsche und internationale Medien hinters Licht führen lassen?
Das US-Portal Axios weist darauf hin, dass rund die Hälfte der demokratischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus und Senat der Veranstaltung fernblieben. Entsprechende Zählungen machten auch auf X (vormals Twitter) die Runde. Viele boykottierten Netanyahus Auftritt gezielt aus Protest gegen die israelische Kriegsführung im Gaza-Konflikt, so Axios.
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Diese Recherche steht in einem deutlichen Konflikt zur weitgehend unkritischen Berichterstattung auch in deutschen Leitmedien. So hatte das gebührenfinanzierte Portal tagesschau.de in einem extra eingerichteten Live-Ticker berichtete:
Israels Premierminister Benjamin Netanyahu hat seine Rede vor dem US-Kongress in Washington begonnen. "Amerika und Israel müssen zusammenstehen", sagte er unter Applaus. Stehe man zusammen, geschehe etwas "sehr Simples", so Netanyahu mit Blick auf den Militäreinsatz seines Landes und die militant-islamistische Hamas. "Wir gewinnen, sie verlieren." Er versicherte: "Wir werden gewinnen."
Während solche Darstellungen ein Bild von Zustimmung und voll besetzten Reihen im US-Kongress suggerieren könnten, zeigt eine genaue Betrachtung der Stimmung im Plenarsaal ein anderes Bild. Etwa die Hälfte der Demokraten in beiden Kammern blieb der Rede fern. Diese Information sucht man in deutschen Leitmedien meist vergeblich. Bei tagesschau.de etwa hieß es nur: "Einige Abgeordnete wollen die Rede boykottieren."
Boykott – ein deutliches politisches Signal
Viele Abgeordnete, vorwiegend progressive Kritiker der israelischen Politik, ließen klar verlauten, dass ihr Fernbleiben ein expliziter Boykott im Protest gegen Netanyahus Kriegsführung im Gaza-Streifen sei.
Zu den Boykottierenden gehörten prominente Politiker wie die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi (D-Calif.), der ehemalige Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus Jim Clyburn (D-S.C.) und die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (D-N.Y.). Auch der isolationistische Abgeordnete Thomas Massie (R-Ky.) verdeutlichte, dass er die Rede explizit boykottierte, da er nicht als "Propagandamittel" für Netanyahu dienen wolle.
Nach Angaben von Axios waren etwa 100 Demokraten aus dem Repräsentantenhaus und 28 Senats-Demokraten anwesend, was darauf hinweist, dass rund die Hälfte beider Fraktionen abwesend war. Die meisten Anwesenden gelten als moderat und proisraelisch, inklusive vieler Politiker aus umkämpften Wahlbezirken.
Größerer Boykott als 2015
Der Boykott übertraf damit deutlich die 58 Demokraten, die Netanyahus Rede im Jahr 2015 ausließen. Diese Rede war insbesondere deshalb umstritten, weil sie als Affront gegen den damaligen Präsidenten Obama gewertet wurde und Netanyahu eine Bühne bot, um ihn wegen des Atomabkommens mit dem Iran zu kritisieren.
Seitdem scheinen sich die Beziehungen zwischen Netanyahu und den Demokraten weiter verschlechtert zu haben, vornehmlich während des Krieges zwischen Israel und der Hamas, bei dem viele proisraelische Demokraten die humanitären Kosten des Konflikts zunehmend kritisch sehen.
Kritiker im Saal und außerhalb
Trotz des Boykotts waren einige Kritiker Netanyahus im Saal anwesend, darunter die progressiven jüdischen Abgeordneten Jamie Raskin (D-Md.) und Jerry Nadler (D-N.Y.), von dem bekannt wurde, dass er während der Rede ein Buch mit dem Titel "The Netanyahu Years" las.
Die einzige palästinensisch-amerikanische Abgeordnete, Rashida Tlaib (D-Mich.), eine strenge Kritikerin Netanyahus und Israels, nahm an der Veranstaltung teil und trug dabei ein Keffiyeh – ein Symbol des palästinensischen Nationalismus. Während der Rede hielt sie ein Schild hoch, auf dem auf der einen Seite "schuldig des Völkermords" und auf der anderen Seite "Kriegsverbrecher" stand.
Polizei ging gegen Proteste vor Kongress vor
Außerhalb des Kongresses setzten die Polizeikräfte Pfefferspray gegen große Mengen von Demonstranten ein, die gegen die Rede protestierten. Tausende marschierten nach Angaben der Associated Press durch Washington mit Rufen wie "Freiheit für Palästina".
Die Capitol Police erklärte auf X, dass einige Protestierende "gewalttätig" geworden seien und Anordnungen, sich von der Polizeikette zurückzuziehen, nicht befolgt hätten. Es kam zu mehreren Festnahmen.
Netanyahus Reaktion auf Proteste
In seiner Rede im Kongress adressierte Netanyahu die Protestierenden direkt und bezeichnete sie als "nützliche Idioten", die im Interesse der Gegner des Landes, insbesondere des Iran, dienten. Wörtlich sagte er:
Ich habe eine Botschaft für diese Demonstranten. Wenn die Tyrannen von Teheran, die Schwule an Kränen aufhängen und Frauen ermorden, weil sie ihr Haar nicht bedecken, euch loben, fördern und finanzieren, dann seid ihr offiziell zu Irans nützlichen Idioten geworden.
Benjamin Netanyahu
Die demokratische Abgeordnete aus New York, Alexandria Ocasio-Cortez, hingegen schrieb zu zur Rede des israelischen Premiers in den beiden Kammern des US-Kongresses auf X:
Nur damit das klar ist: Netanjahu hat die Unterstützung so viele Menschen verloren, dass er nur noch vor einem Bruchteil des Kongresses spricht.
In solchen Fällen werden die Sitze mit Nicht-Mitgliedern belegt, wie es bei Preisverleihungen Usus ist, um den Anschein voller Anwesenheit und Unterstützung zu erwecken.
Die Frage ist nun: Sind die Bilder voller Kongresskammern und die Darstellung von Applaus für Netanyahu schon Fake News?