Wie die Hegemonie der USA funktioniert
USA! Überall USA! Bild: stockvault
In der aktuellen Weltlage zeigt sich die Vorherrschaft der USA wie selten zuvor. Aber wie funktioniert ihre Macht? Eine Analyse in zwei Teilen. (Teil 1)
Über die USA als wirtschaftlich und politisch einzigartig mächtiger Staat ist viel geschrieben worden, weniger jedoch über ihre Sonderstellung und die verborgenen Geheimnisse ihrer Hegemonie. Der vorliegenden Analyse der Funktionsweise der US-amerikanischen Hegemonie geht hier die Frage nach der Definition von Hegemonie im Allgemeinen voraus.
Hegemonie wird in der politischen und politikwissenschaftlichen Literatur grundsätzlich sehr unterschiedlich interpretiert. Antonio Gramscis Theorie, die Hegemonie als ein Zusammenspiel von Zwangs- und Konsenselementen begreift, kann für das Verständnis innerstaatlicher Verhältnisse herangezogen werden, ist aber für die Analyse zwischenstaatlicher Beziehungen nur bedingt anwendbar.
In der neorealistischen Sichtweise US-amerikanischer Provenienz, wie sie etwa Charles Kindleberger vertritt, wird Hegemonie lapidar als Vormachtstellung in den internationalen Beziehungen definiert, die vor allem der Weltgemeinschaft Vorteile bringt.
Sie ist damit Garant für "kollektive Güter wie Sicherheit und Wohlstand". Nach der klassischen Imperialismustheorie sind die USA ein imperialistischer Staat wie jeder andere imperialistische Staat auch. Sie alle verfolgen demnach das Ziel, die Arbeitskraft und die Ressourcen der Länder des Globalen Südens auszubeuten. Daraus ergibt sich die imperialistische Konkurrenz um ein größeres Stück vom Kuchen der Ausbeutung des Globalen Südens.
Die imperialistische Konkurrenz führte Ende des 19. Jahrhunderts zu imperialistischen Kriegen und schließlich zu den beiden Weltkriegen. Aus dem Ersten Weltkrieg ging die stärkste Kolonialmacht Großbritannien als Hegemonialmacht hervor. Im Zweiten Weltkrieg lösten die USA als stärkste Wirtschaftsmacht der Welt Großbritannien als Hegemonialmacht ab.
Die klassischen Imperialismustheorien bieten jedoch kein Instrumentarium zur Analyse von Hegemonialmächten. Immanuel Wallerstein, der Begründer der Weltsystemtheorie, unterscheidet zwischen Weltreichen in der Antike und Hegemonie in der modernen Staatenwelt.
"Ein Weltreich ist definiert als eine Struktur, die eine einzige umfassende politische Struktur und eine einzige umfassende Arbeitsteilung kennt". Als zwei typische Beispiele nennt Wallerstein "China während der Han-Dynastie und das Römische Reich".
Im Gegensatz dazu bezieht sich "Hegemonie auf ein Attribut, über das ein Staat im zwischenstaatlichen System einer Weltwirtschaft verfügen kann". Die Unterscheidung ist in der Tat sinnvoll, da sie bei oberflächlicher Wahrnehmung aufgrund von Ähnlichkeiten leichtfertig gleichgesetzt werden könnten.
Als weitere typische Beispiele lassen sich das persische Reich, das arabisch-islamische Kalifat, das Osmanische Reich und das russische Zarenreich der letzten dreitausend Jahre anführen. Das gemeinsame Merkmal all dieser Reiche war, um es deutlicher zu sagen, die gewaltsame territoriale Expansion mit dem Ziel, die eroberten Gebiete abhängig zu machen, sie tributpflichtig zu machen oder sie einfach zu annektieren.
Im Gegensatz zum Imperium könnte man den Hegemonialstaat als ein Phänomen der Moderne in der Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus definieren. Wallerstein nennt in diesem Zusammenhang auch die Vereinigten Provinzen (Niederlande) von 1648 bis in die 1660er-Jahre, das Vereinigte Königreich von 1815 bis 1848 und die USA von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis 1967/1973, also Staaten in der Epoche der kapitalistischen Entwicklung.
Der Hegemonialstaat ist nach Wallerstein ein Staat, der versucht, "seine Regel im zwischenstaatlichen System durchzusetzen" und damit "eine politische Weltordnung zu schaffen, die ihm sinnvoll erscheint". Dabei "bietet der hegemoniale Staat den Unternehmen, die sich auf seinem Territorium befinden oder die er schützt, bestimmte zusätzliche Vorteile, die ihnen der Markt nicht gewährt, sondern die sie durch politischen Druck erhalten".
Diese sehr harmlose Definition von Hegemonie mag auf die USA zwischen 1945 und 1953 zutreffen, als sie nicht nur in den westlichen Staaten, sondern auch darüber hinaus allgemeine Akzeptanz genossen.
Diese Akzeptanz beruhte auf dem militärischen Beitrag der USA zum Sieg über das faschistische Deutschland. Auch der massive Ausbau der Konsumindustrie in den USA und Westeuropa und schließlich die kulturelle Ausstrahlung des American Way of Life trugen gewissermaßen zu einer informellen Legitimation der US-Hegemonie bei.
Diese Wallerstein'sche Definition von Hegemonie trifft jedoch in keiner Weise auf die Niederlande im 17. und das Vereinigte Königreich im 19. Jahrhundert zu, denn die Hegemonie dieser Staaten beruhte nicht auf allgemeiner Zustimmung, sondern auf kolonialistischer Gewalt und rassistischer Diskriminierung.
Ebenso irreführend ist diese Definition für die Hegemonie der USA nach dem CIA-Putsch 1953 gegen die demokratisch gewählte Regierung Mossadegh im Iran und erst recht nach dem Vietnamkrieg (1964-1975).
Der Politikwissenschaftler Peter Wahl hat in einem bemerkenswerten Beitrag die Bedeutung der USA als absolute Führungsmacht im internationalen System anhand ihrer Machtressourcen analysiert.
Demnach verfügen die USA über fünf Machtquellen, die ihre besondere Rolle als Hegemonialmacht kennzeichnen:
1. die mit Abstand größte Militärmacht
2. die wirtschaftliche Supermacht mit dem Dollar als Weltwährung
3. die Technologieführerschaft
4. die globale Vernetzung
5. die Soft Power.
Diese einzigartigen Machtressourcen der USA schlagen sich bei näherer Betrachtung in einem gigantischen Monopolkomplex nieder, der wie ein Krebsgeschwür tiefe Wurzeln in der Weltwirtschaft geschlagen hat.
Im Folgenden soll über Wahls Machtressourcen-These hinaus die Tiefenstruktur der US-Hegemonie herausgearbeitet werden, weil nur so der historisch einmalige Einfluss der USA in der gegenwärtigen Weltordnung möglichst umfassend dargestellt werden kann.
US-Hegemonie und Monopol
Die grundlegenden Wirkungsmechanismen der US-Hegemonie in der Welt weisen unverkennbare Ähnlichkeiten mit den Wirkungsmechanismen monopolistischer Strukturen auf, die uns aus der Geschichte des Kapitalismus im 19. und frühen 20. Es erscheint daher sinnvoll, das Wesen, die sichtbaren und unsichtbaren Triebkräfte der US-Hegemonie mithilfe der Analyse historischer Monopolstrukturen herauszuarbeiten.
Damit sind Monopolstrukturen gemeint, die sich in der Volkswirtschaft unter bestimmten historischen Bedingungen herausbilden, aber wieder verschwinden, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.
So waren die meisten großen kapitalistischen Staaten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Volkswirtschaften mit monopolistischen Strukturen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau der kapitalistischen Staaten traten oligopolistische Wettbewerbsbedingungen an die Stelle der streng monopolistischen Bedingungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Diese Begriffsklärung zur Vermeidung von Missverständnissen vorausgesetzt, soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, die aus der Geschichte des Kapitalismus hinreichend bekannten streng monopolistischen Wirkungsmechanismen und Strukturen als Folie zum besseren Verständnis der US-Hegemonie in ihrer Praxis und Realität heranzuziehen:
1. Profitmaximierung durch Ausschaltung der Konkurrenz.
Auf nationaler Ebene erreicht der Monopolist in den großen kapitalistischen Staaten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert dieses Ziel durch die Konzentration der Produktion bzw. der Nachfrage in einer Hand. Der Mechanismus der monopolistischen Gewinnmaximierung beim Angebotsmonopol ist der überhöhte Preis, beim Nachfragemonopol der Dumpingpreis.
Ein ähnliches Verhalten ist bei den USA als hegemonialem Staat in der Weltgemeinschaft zu beobachten. Durch ihre Technologieführerschaft und Hightech-Konzerne wie Google, Youtube und zahlreiche andere Digitalkonzerne eignen sich die USA jährlich hunderte Milliarden Dollar an Monopolrenten an, die sie sich durch Monopolpreise, Patentschutz und Lizenzgebühren aus der ganzen Welt aneignen.
Als Verbraucher fossiler Brennstoffe, agrarischer und mineralischer Rohstoffe sind die USA über die von ihnen kontrollierten Finanzinstitutionen, insbesondere den IWF, in der Lage, die Rohstofflieferanten des Globalen Südens zu Überproduktion und Dumpingpreisen zu zwingen.
So blieben die Erdölpreise bis 1973 fast ein halbes Jahrhundert lang konstant bei 1 bis 2 Dollar pro Barrel, obwohl die weltweite Nachfrage nach Erdöl im gleichen Zeitraum drastisch anstieg.
2. Monopolprofite durch Umverteilung dank Machtüberlegenheit
Auf nationaler Ebene tendieren Monopole dazu, ihre Profite nicht nur durch Ausbeutung der Arbeitskraft, sondern auch durch Umverteilung von unten nach oben zu optimieren. Dazu nutzen sie ihre Monopolmacht als Umverteilungshebel auf verschiedene Weise: Erstens diktieren sie den Beschäftigten die Lohnhöhe und zahlen in der Regel Dumpinglöhne.
Zweitens können sie aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung auch den Zulieferern die Marktbedingungen diktieren. Wer sich diesem Diktat widersetzt, riskiert den eigenen Bankrott. Erpressung und andere illegitime Formen der Machtausübung werden so zur Normalität.
In ähnlicher Weise verfolgen die USA dank ihrer Machtüberlegenheit und Dominanz in globalen Institutionen wie der Weltbank, dem IWF und der Welthandelsorganisation eine Strategie der Umverteilung von Kapitalmassen und produzierten Werten aus dem Globalen Süden, indem sie die kolonialistische globale Arbeitsteilung zementieren.
Diese Umverteilungsdimension ist komplex und daher selbst für eingeweihte Ökonomen meist unsichtbar. Deshalb soll sie hier in aller Kürze erläutert werden: Statt kolonialistischer Gewalt ist es die unsichtbare Gewalt der sogenannten Strukturanpassungsprogramme des IWF, die die Länder des Globalen Südens in eine permanente Verschuldung zwingt, um auf niedrigem Wohlstandsniveau überhaupt existieren zu können. Die Auflagen des IWF zur Neuverschuldung lassen den Ländern des Südens nur die Einbahnstraße des Exports landwirtschaftlicher und mineralischer Rohstoffe offen. Dieses neokolonialistische Wirtschaftsmodell führt zu zwei komplementären Entwicklungen:
Erstens dienen die erwirtschafteten Devisen dem Luxuskonsum der herrschenden Eliten, der Kaufmannschaft und der Machtelite. Dadurch entsteht für die Eliten ein Anreiz, die bestehende Arbeitsteilung aufrechtzuerhalten, anstatt die erwirtschafteten Einnahmen für die nationale Entwicklung und Industrialisierung zu nutzen.
Die so strukturell angelegte Entwicklungsblockade in den Ländern des Globalen Südens garantiert zum einen den Fortbestand der kolonialistischen Weltarbeitsteilung und den Export billiger agrarischer, mineralischer und fossiler Rohstoffe in den Globalen Norden.
Zum anderen ist sie die Hauptursache für Armut und Hunger von Milliarden Menschen, aber auch für die Migration von Millionen Menschen in den Globalen Norden, weil die Binnenmärkte der Länder des Globalen Südens durch die Entwicklungsblockade strukturell an der Ausweitung und Steigerung ihrer Aufnahmefähigkeit für Arbeitskräfte gehindert werden. Zweitens entsteht ein permanenter Verdrängungswettbewerb unter den Rohstoffexporteuren mit der Folge sinkender Preise, d.h. strukturell ein Überangebot an billigen Rohstoffen auf den Weltmärkten, dessen sich die Staaten des Globalen Nordens bedienen können.
Die faktische Allianz zwischen den multinationalen Konzernen des Globalen Nordens und den Machteliten des Globalen Südens in diesem neokolonialen Geschäftsmodell ist funktional vergleichbar mit der auf nackter Gewalt beruhenden kolonialistischen Arbeitsteilung und begründet zugleich die dauerhafte Zementierung dieser Arbeitsteilung.
Die USA mit ihrer Dominanz in den genannten globalen Institutionen sind der Hauptverfechter dieses Geschäftsmodells im eigenen Interesse und im Interesse ihrer Vasallen in der westlichen Welt. Das US-Monopol auf globale Instrumente bildet das ökonomische Rückgrat dieser globalen Arbeitsteilung, das einen umfassenden Wettbewerb zwischen den Ländern beider Pole verhindert. Nur wenigen Staaten des Südens ist es bisher gelungen, diesen Teufelskreis der Unterentwicklung zu durchbrechen. Allen voran die VR China, gefolgt von Indien, Brasilien und Indonesien.
Mohssen Massarrat ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück.
Teil 2: Hegemonie der USA: Von Macht, Militär und Monopolen [1]
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