Wie die Saat, so die Ernte

Essential Harvest soll die Waffen einsammeln, die von NATO-Mitgliedstaaten selber geliefert worden sind

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Die Bundeswehr beteiligt sich an der NATO-Mission zur Entwaffnung der albanischen Terroristen in Mazedonien. Die ersten Soldaten verließen ihr Quartier 40 Minuten nach der Entscheidung des Bundestags in Richtung Tetovo. Derweil geben albanische Terroristen fleißig Waffen ab. Doch während diese hoffen, die NATO länger als 30 Tage im Land zu behalten, werfen Teile der mazedonischen Regierung der NATO Komplizenschaft mit den Terroristen vor. Zwischenfälle wie der in Aracinovo schüren die Diskussion über die Rolle des Westens auf dem Balkan. Analytiker wie Michel Chossudovsky werfen den Vereinigten Staaten vor, den Balkan aus wirtschaftlichen Interessen gezielt zu destabilisieren. (siehe auch: Europäische und amerikanische Interessen auf dem Balkan)

Die KFOR hat im Rahmen der Operation Eagle seit Februar 2000 ungefähr 600 Maschinengewehre, 120 Pistolen, 190 Raketen und Abschusswaffen, 1000 Anti-Panzer-Waffen und 1350 Granaten und Minen eingesammelt. Zusammen macht das schon mal 3260 Waffen, die den Weg nach Mazedonien nicht geschafft haben. Das allein ist ziemlich genau die Zahl der Waffen, die die NATO in der Operation Essential Harvest einsammeln will. Für Mazedonien ist das ein schallender Schlag ins Gesicht, denn ihre Schätzungen gehen bis zu 70.000 Waffen der albanischen Terroristen. Das zeigt, dass die Mission, die die albanische "Nationale Befreiungsarmee" (National Liberation Army - NLA) in Mazedonien auf freiwilliger Basis "entwaffnen" soll, eher symbolischer Natur ist. Laut NATO-Generalsekretär Robertson ist auch eher der Prozess des Einsammelns das entscheidende friedensstiftende Moment. Der Erfolg der Mission steht freilich in den Sternen. Zum einen verfügt die NLA über sichere Nachschubwege, und sie warnt jetzt sogar, sich nach einer etwaigen Abgabe der Waffen wieder aufzurüsten, sollte die NATO nach 30 Tagen wie angekündigt abrücken.

Russland und die Ukraine sind traditionell die Hauptwaffenlieferanten Yugoslaviens und Mazedoniens. Deswegen ist die Ukraine auch von EU-Generalsekretär Javier Solana aufgefordert worden, die Waffenlieferungen an Mazedonien einzustellen. Die NLA hingegen erhalte den Großteil ihrer Waffen von der UCK aus dem Kosovo, sagen mazedonische Regierungsvertreter und greifen die NATO damit an, die Grenzen nicht dicht zu machen. Diese beurteilt die NLA als besser ausgerüstet als die UCK. Wie The Sunday Times (10. Juni 2001) berichtete ist die NLA auch im Besitz von schultergestarteten Luftabwehrraketen amerikanische Produktion des Typs "Stinger". Diese sind freilich auf dem internationalen Waffenmarkt erhältlich, wo die albanischen Kämpfer den Großteil ihrer Waffen her bekommen, beschafft von Exilalbanern und finanziert durch Drogenhandel und Prostitution auch in Deutschland. Doch die NLA soll auch im Besitz von NATO-Plänen sein, die für die KFOR erstellt worden sind, und so muss sich die Allianz den Vorwurf gefallen lassen, nicht nur die UCK ausgebildet und bewaffnet zu haben, sondern diese Praxis auch bei der NLA fortzuführen.

Am 25. Juni berichtete das Hamburger Abendblatt über die Lieferung zweier Funk-Relaisstationen in die Gegend um das albanische besetzte Tetovo durch zwei amerikanische Militärhubschrauber. Ein Sprecher der US-Streitkräfte könne sich nur vorstellen, "dass zwei deutsche Chinook-Helikopter die Stationen im Kosovo abliefern wollten", doch die Bundeswehr besitzt gar keine Chinooks. Zwei Tage später berichtete die selbe Zeitung, dass US-Berater die "Albaner-Rebellen" in Mazedonien unterstützten. Unter 400 albanischen Terroristen, die Ende Juni samt Waffen und Munition aus dem schwer umkämpften Gebiet um Aracinovo evakuiert worden sind, seien auch 17 amerikanische Ausbilder gewesen. Mazedonische Sicherheitskreise behaupten zusätzlich, "70 Prozent der Ausrüstung, die die Guerilleros davonschleppten, seien US-Fabrikate gewesen - darunter auch modernste Nachtsichtgeräte der dritten Generation." Das Pentagon wollte diesen Sachverhalt "nicht bestätigen". Auch wenn der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (22.8.2001) Informationen vorliegen, europäische NATO-Diplomaten seien amüsiert über die "Geschichten von amerikanischen Soldaten in UCK-Uniform", so gibt es doch Informationen, die dafür sprechen, dass das 3/502nd Airborne Battalion der US Army in Aracinovo eine Operation zur Rettung ihres Personals durchführte. Es wird vermutet, dass es sich bei den 17 Ausbildern um CIA-Agenten oder Söldner der amerikanischen Firma Military Professional Resources Inc. (MPRI) handelte, die jedoch - laut eigenen Angaben - auch die mazedonische Armee bei der Verteidigung ihres Territoriums unterstützt. Laut Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (31/2001) soll in Aracinovo die Befehlszentrale der NLA in Mazedonien "mit direkter Satellitentelefonverbindung ins Pentagon" unter Feuer der mazedonischen Armee (ARM) gelegen haben. Nach Aussagen eines Polizeivertreters aus Skopje seien bei der Räumung des Gebiets auch Waffen, "deren Seriennummern eindeutig auf Nato-Ressourcen hinwiesen" und - erneut - Aufklärungsmaterial der KFOR beschlagnahmt worden. Zu dieser Operation sagte ein US-Sprecher, der Bus-Konvoi mit den evakuierten Terroristen sei von "Panzern besetzt mit NLA-Rebellen" aufgehalten worden, und die Terroristen hätten entkommen können. Doch die NLA hat gar keine Panzer. Ljubica Acevska, Mazedoniens erster Botschafter in den USA, wirft nun der NATO vor, die albanischen Kämpfer in Mazedonien zu transportieren und zu bewaffnen statt zu entwaffnen.

Auch Deutschland hat die UCK mit Waffenlieferungen und Training unterstützt (Vgl. Telepolis "Kosovo »Freedom Fighters« Financed By Organised Crime"). Das WDR-Politmagazin Monitor berichtete am 24.9.1998 über deutsche Lieferungen illegaler Rüstungsgüter nach Albanien. Panzerfäuste des Typs "Armbrust" seien vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) an die UCK geliefert worden. Ebenso seien illegalerweise Funkgeräte und Aufklärungstechnik aus Beständen der NVA an die albanische Regierung in Tirana geliefert worden. Der albanische Geheimdienst sei dann daran ausgebildet worden. Der Monitor-Bericht sei "wasserdicht", bestätigt Erich Schmidt-Eenboom, Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim, und weiter:

"Die Bundesrepublik hat nachhaltig Waffen an Albanien geliefert. Als dann im Rahmen des Lotterie-Aufstandes Kasernen und Depots nachhaltig geplündert wurden, sind sehr viele ehemalige NVA-Waffen auch in die Hände von UCK-Leuten gefallen. Die finden wir jetzt auch in Makedonien wieder. Das heißt eigentlich werden die NATO-Truppen bei vielen Waffen das einsammeln, was aus NATO-Staaten fahrlässigerweise schon mal in die Krisenregion geflossen ist."

Deutschland setze heute auf die friedfertigen Kräfte innerhalb des Kosovo um Ibrahim Rugova, nachdem sie die militante UCK als Partner verloren habe (Vgl. Telepolis Gespräch mit Erich Schmidt-Eenboom). Mitte Juni soll es auch zu deutschen Lieferungen von Geländewagen und Nachtsichtgeräten an die mazedonischen Sicherheitskräfte gekommen sein.

Derartige Unterstützung der NLA durch die Amerikaner lässt einen über deren wahre Ziele im unklaren. In der Tat herrscht Zwiespältigkeit. Auf der einen Seite macht sich William Walker, ehemaliger Leiter der Kosovo Verification Mission der OSZE, in der Washington Post (4.6.2001) für die politische Anerkennung der NLA stark (Walkers voreilige Verurteilung des Racak Massakers als serbische Bluttat war im März 1999 das Stichwort für die NATO, die Luftangriffe zu starten). Auf der anderen Seite bezeichnet ein Sprecher des US State Department Walkers Artikel als "sinnlos" und die NLA als "Terroristen".

Kaum einer lehnt sich bei der Analyse des Konflikts so weit aus dem Fenster wie Michel Chossudovsky, Wirtschaftsprofessor an der Universität Ottawa. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände seien systematisch von der US/UK-Allianz geschürt worden. "Warum sollten die Vereinigten Staaten Mazedonien destabilisieren und zerstören wollen" fragt die FAZ. Chossudovskys Antwort ist weder neu noch schwer zu erraten: Es geht um Öl. Mazedonien liegt mitten im geplanten Haupttransportkorridor einer der größten unerschlossenen Ölreserven im kaspischen Meer. Derzeit ist der Bau der Trans-Balkan-Öl-Pipeline in der Planung, die in Zukunft Öl ohne Umwege über die Ägäis auf den europäischen Markt bringen wird. Jeder Investor, der in den Bau der Pipeline und begleitender Eisenbahn-, Gas- und Telekommunikationsverbindungen investieren will, muss mit Halliburton Energy, der ehemaligen Firma von US-Vizepräsident Richard Cheney, verhandeln. Die Versorgung des europäischen Ölmarktes droht unter Ausschluss europäischer Firmen organisiert zu werden.

In Europa macht sich zunehmend Unmut über die Methoden der Partner von Übersee breit. Innerhalb der NATO wird die Spaltung in amerikanisch-britische und deutsch-französische Parteien deutlich. Berlin hatte sich im März offensichtlich dafür entschieden, in Mazedonien nicht weiter zu stören. Ob die Entscheidung des Bundestages, an der Mission Essential Harvest nun teilzunehmen, unter Kenntnis der Hintergründe getroffen worden ist, ist zumindest zu hoffen. Dass die deutschen Soldaten nun unter französischem Kommando nach Mazedonien gehen, dürfte jedoch kein Zufall sein.

Im Gegensatz zu Chossudovsky sieht die FAZ hinter der anti-amerikanischen Stimmung eine Desinformationskampagne der Russen, denn die seien schließlich auch auf der Suche nach Verbündeten auf dem Balkan, und die Albaner seien eben schon vergeben.