Wie die USA Russland den Krieg erklären

Und wie viele deutsche Medien sich auf die Seite Washingtons schlagen. Ein Kommentar

Glaubt man führenden deutschen Medien, steht die Realität kopf: Die USA wissen aus Quellen, die sie allerdings nicht preisgeben können, genau, dass Putin längst den Marschbefehl für seine Truppen erteilt hat und kennen auch das genaue Datum des Kriegsbeginns.

Nicht wenige werden sich an die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein erinnert fühlen, wenn sie diese Meldungen hören.

Doch US-Regierungen erfinden immer wieder nicht einfach Fakten, sondern sie setzen mit solchen Meldungen Fakten. Sie unterstreichen diese Nachrichten mit der Aufforderung an ihre Bürger, die Ukraine zu verlassen und ziehen ihr Botschaftspersonal ab.

Auf diese Weise setzen sie ihr Kriegsszenario noch eine Stufe dramatischer ins Bild und beschwören beim Publikum die aus genügend Filmen verbreitete Vorstellung herauf, dass "der Russe" in dieser Woche über unschuldige Menschen herfallen wird.

Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, darf parallel verbreiten, dass Russland sich nicht mit der Ukraine zufriedengeben wird, sondern die "Weltmacht" anstrebt (ist das ein Verbrechen? Oder nur eines, wenn es die Russen tun?) und im Folgenden die Balten fällig sind.

Warum? Und worum geht es eigentlich?

Unmittelbarer Anlass für die gezielte Eskalation war zuletzt der militärische Aufmarsch Russlands an den Grenzen der Ukraine. Russland hat damit seine militärische Macht präsentiert und praktisch deutlich gemacht, dass es seine altbekannten Forderungen an den Westen dieses Mal todernst meint.

Das Land verlangt Sicherheitsgarantien, einen Stopp der Ausdehnung der Nato, möglichst sogar eine Rücknahme der Nato-Osterweiterung nach 1990 und will das für die Zukunft vertraglich zugesichert wissen. Wie Putin im Interview mit westlichen Pressevertretern erklärte, gibt es nichts, was daran "unklar" sei.

Mit seinem Aufmarsch an den Grenzen will Russland möglicherweise aber auch der Ukraine nahelegen, an eine militärische Rückeroberung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk oder sogar der Krim gar nicht erst zu denken, sondern sich stattdessen endlich an die praktische Umsetzung des Minsker Abkommens zu machen.

Die USA haben dies zum Anlass genommen, eine Art Nato-Bündnisfall auszurufen. Die westliche Militärpräsenz an Russlands Grenzen wurde verstärkt und damit deutlich gemacht, dass man sich von Russlands Militär nicht beeindrucken lässt.

Russland wurde mitgeteilt, dass die Nato nicht bereit sei, einen Krieg um die Ukraine zu führen, während die meisten Nato-Länder Waffen lieferten und die USA ihre sowieso beträchtliche Militärhilfe für das "arme Land" deutlich aufstockte.

Daran wird deutlich, dass der westlichen Führungsnation an einer Befriedung dieses "Konflikts" nicht gelegen ist. Überlegt man die Sache durch, wird klar: Die USA gewinnen durch seine Eskalation – fast egal, wie es ausgeht. Erstens stellen sie Russland mit seinen Forderungen nach Sicherheitsgarantien ungerührt ins Abseits; ideologisch drehen sie Ursache und Wirkung um und lassen Russland als Aggressor dastehen und sich als verzweifelt um Frieden bemühte Kraft.

Zweitens ziehen sie die EU-Staaten erneut in einen harten Konflikt gegen Russland und konterkarieren alle Bemühungen, die beispielsweise auch Frankreich anstrebt, die bestehende giftige Lage zu entschärfen.

Und drittens stellen sie vor allem ihren guten Alliierten und Freund Deutschland vor die Gretchenfrage, was er für das Bündnis mit ihnen zu opfern bereit ist. Das war schon in der ersten Ukraine-Krise ähnlich – und hat auch damals geklappt, denn die Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben vor allem die EU-Länder und insbesondere Deutschland geschadet.

Kriegsstimmung auf vielen Kanälen

Führende deutsche Medien kriegen sich derweil einfach nicht mehr ein. Obwohl Russland von allen Seiten zurzeit massiv mit weiteren wirtschaftlichen Sanktionen gedroht wird, schaffen es Tagesschau und Heute-Journal, dem deutschen Kanzler "Führungsschwäche" und "Leisetreterei" vorzuwerfen und ihn eindringlich mit der Sicht des US-Verbündeten zu konfrontieren, die seine "Bündnistreue" anzweifele. Was sind das eigentlich für Vokabeln?

Gibt es vielleicht noch irgendwelche anderen Gesichtspunkte, unter denen der Konflikt und die deutsche Außenpolitik darzustellen und zu bewerten wäre als die von "Führung" (war da nicht mal was?) und "Bündnistreue"?1

Ist "Frieden" oder "Kriegsvermeidung" noch irgendein Wert in dieser Debatte, in der ja sonst liebend gerne von "werte-basierter Außenpolitik" die Rede ist? Offenbar nicht – die "Kriegsgeneration" ist auch fast ausgestorben. Es geht also flott voran damit, eine vielleicht sogar militärische Auseinandersetzung mit Russland herbeizumanipulieren, für die es von russischer Seite jedenfalls mit Sicherheit keine Gründe gibt.

Das Publikum ist gespalten und so bedarf es an einigen Stellen noch der Agitation: So zum Beispiel, warum die gebrochenen Zusagen an Russland keine waren bezüglich der Osterweiterung der Nato (WAZ, 15.2.22). Spekuliert wird allenthalben, ob und wann der Krieg denn beginnt.

Damit ist man völlig weg von der Frage, warum er stattfindet und überlegt bereits, worauf man sich einstellen muss. Auf dieser Basis haben die Regierenden alle Freiheiten und können sich auf ihre Bürger verlassen.