Wie die arabischen Staaten Palästinas Zukunft sehen
Krieg im Gaza-Streifen. Bild: Ali Hamad of APAimages, for Wafa CC BY-SA 3.0 Deed, wikimedia
Druck auf Israel und Hamas, einen Waffenstillstand zu schließen, steigt. Überdies drängen die arabischen Staaten darauf, den Nahost-Konflikt endlich dauerhaft zu lösen.
Al Haditha ist ein betriebsamer Grenzübergang zwischen Saudi-Arabien und Jordanien. Hunderte Lastwagen werden hier am Tag abgefertigt, mehr als in Jordanien wohl jemals gebraucht werden könnten. Aber wohin könnte die Reise von hier aus wohl hingehen? In Syrien herrschen Krieg und Armut. Wirklich viel importiert man dort nicht. Der Weg nach Ägypten ist per Schiff einfacher und billiger zu bewältigen.
Bleibt noch Israel, ein Land, mit dem Saudi-Arabien keine offiziellen diplomatischen Beziehungen pflegt und an dessen Landgrenzen zu Jordanien ähnliche Bilder zu sehen sind: Dort wird mehr abgefertigt, als Jordanien jemals produzieren könnte.
Während die Politiker und Diplomaten über Waffenstillstände verhandeln und die Parameter für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten, befindet sich alles in einer Art Schwebezustand. Handel, Wissenschaftsaustausch, strategische Zusammenarbeit und Kriminalitätsbekämpfung finden weiter statt, aber man redet nicht darüber, nicht offiziell, solange keine Verträge geschlossen sind.
Eine Art Schwebezustand
Und ob und wann Vereinbarungen geschlossen werden, hängt vor allem von einer Frage ab: Ob es möglich sein wird, eine dauerhafte Lösung für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu finden?
Das Ringen darüber ist bereits in vollem Gange, nicht trotz des Gaza-Kriegs, sondern gerade deshalb.
Denn in Gesprächen mit arabischen und israelischen Diplomaten wird sehr deutlich: Man ist sicher, dass eine Waffenruhe kommen wird, so wie es auch in den vorangegangenen Kriegen zwischen Israel und der Hamas geschah.
Und dann tritt wieder jener Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden ein, den man in den Jahren seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen 2007 zur Genüge kennengelernt hat: Es wird wieder, weiter eine Blockade des übervölkerten, verarmten Landstrichs geben, offiziell um die Hamas davon abzuhalten, aufzurüsten, was sie aber ohnehin tun wird, wie die Erfahrung zeigt. Irgendwann wird dann der nächste Krieg ausbrechen.
Drängen auf eine schnelle Lösung
Vor allem in Jordanien, Ägypten und auf der arabischen Halbinsel drängt man aber auch deshalb auf eine schnelle Lösung, weil man in der Hamas eine Bedrohung für die eigene Herrschaft sieht: Sie steht ideologisch der Muslimbruderschaft nahe, die auch in anderen Ländern aktiv ist, dort Gewaltakte verübt.
Zudem bekommt die Hamas nun Unterstützung durch die Huthi-Milizen im Jemen, denen deshalb viele Menschen in der arabischen Welt zujubeln. Im Hintergrund wabert der Geist der iranischen Revolutionsgarden durch den Raum, die diese Gruppen mit Waffen, Geld und guten Worten unterstützen.
Die Sicht der meisten arabischen Staaten auf Israel ist also mehrgleisig: Man möchte den Handel, den direkten Zugang zum Mittelmeer ohne den teuren Weg durch den Suezkanal und sieht darüber hinaus in Israel einen Partner im Bestreben, den iranischen Einfluss in der Region und militante Gruppierungen zurückzudrängen.
Gleichzeitig ist mit Kriegsbeginn aber auch etwas Unerwartetes eingetreten: Der Tonfall ist schärfer geworden, selbstbewusster. Vor einigen Wochen wurden Vertreter der Palästinensischen Autonomieverwaltung von den Regierungen Ägyptens, Saudi-Arabiens und Jordaniens regelrecht "vorgeladen".
Der Tonfall ist schärfer geworden
Während des Treffens in Riad machte man deutlich, dass eine dauerhafte Lösung dringend gewünscht ist und man jetzt bitte schön realistisch werden möge. Klingt zu überspitzt?
Das Gespräch sei "eine Unverschämtheit" gewesen, regte sich danach ein palästinensischer Diplomat auf; man mische sich in "die Angelegenheiten des palästinensischen Volks ein". Denn Saudis, Ägypter und Jordanier machten deutlich, dass sie sich den baldigen Abgang des extrem unbeliebten Präsidenten Mahmud Abbas samt seinem Umfeld wünschen: Neue Leute müssten ran.
Der Plan ist, dass eine neu aufgestellte Verwaltung samt Regierung die Hoheit in Westjordanland und Gazastreifen übernimmt.
Gleichzeitig lautet die neue Denkweise auf der arabischen Seite: "First things first". Israel soll zuerst einen unabhängigen palästinensischen Staat anerkennen, während eine überlebens- und regierungsfähige palästinensische Verwaltung und Regierung aufgebaut wird.
Zuerst ein unabhängiger palästinensischer Staat
Als Nächstes würde man dann alle ungeklärten Fragen angehen: Grenzen, Siedlungen, die Zukunft der Flüchtlinge und deren Nachkommen.
Bislang verliefen alle Verhandlungsrunden umgekehrt, mit dem bekannten Ausgang. Kann der neue Weg besser funktionieren? Vor allem ist darin ein Notausgang für die arabischen Staaten eingebaut: Sie können ihre Beziehungen zu Israel von Anfang an normalisieren und den Rest einfach laufen lassen.
Gleichzeitig verdichten sich die Anzeichen, dass man dazu bereit ist, Dinge zu tun, die man vorher niemals auch nur in Erwägung gezogen hätte. So berichten ägyptische Diplomaten, dass es Konzepte für die Entsendung von Friedenstruppen in den Gazastreifen gebe. Bislang lehnten alle israelischen Regierungen das kategorisch ab.
Doch nun, wo die Frage nach dem Krieg in Israel sehr intensiv diskutiert wird, ist klar, dass eine Präsenz israelischer Truppen im Gazastreifen ein Rezept für weitere Katastrophen wäre.
Neue Wege sind erforderlich
Zudem hat man auf extrem brutale Art und Weise lernen müssen, dass auch die strikte, mehr als 15-jährige Blockade des Landstrichs das Massaker an 1200 Menschen am 7. Oktober 2023 nicht verhindern konnte.
Neue Wege sind erforderlich und dabei idealerweise solche, die Menschen nicht in Armut und Verzweiflung stürzen. Ein Aspekt, der dabei in besonderer Weise ins Bewusstsein rückt, ist dieser: Vor etwas mehr als 50 Jahren hatten sich Israel und unter anderem Ägypten im Jom Kippur-Krieg brutal bekämpft.
Vor ungefähr 46 Jahren reiste dann der ägyptische Staatspräsident Anwar al-Sadat in einem der wohl surrealsten Momente der jüngeren Geschichte nach Israel: Am 9. November 1977 hatte er vor dem ägyptischen Parlament erklärt, er sei bereit, "in ihr Zuhause zu reisen", um über Frieden zu sprechen.
Israels Regierung ließ ihm umgehend über die US-amerikanische Botschaft in Kairo eine Einladung überbringen. Nur zehn Tage nach der Rede stieg al-Sadat in Tel Aviv aus dem Flieger.
Ägyptische Präsenz im Gazastreifen
Daraus entstand ein Friedensvertrag, der heute als Erfolgskonzept gilt. Das ägyptische Militär gilt in Israel längst nicht mehr als Bedrohung, sondern als Partner, der auf der Sinai-Halbinsel bewaffnete Gruppen davon abhält, eine Bedrohung für Israel darzustellen. Und so kann man sich nun auch in Israel eine ägyptische Truppen- und Geheimdienstpräsenz im Gazastreifen vorstellen.
Bislang lehnte Ägypten das jedoch ab, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass man von der palästinensischen Eigenstaatlichkeit abrückt. Inzwischen jedoch scheint man zumindest für den Übergang dazu keine Alternative mehr zu sehen.
Denn bis zum 7. Oktober 2023 war man auch in Kairo der Ansicht, dass die Hamas mit der Regierungsverantwortung moderater und rationaler geworden ist, dass man mit ihr Vereinbarungen schließen kann. Seit dem Massaker weiß man, dass das nicht der Fall ist.
Keine Vereinbarungen mit der Hamas
Während man derzeit versucht in Kairo eine Waffenruhe auszuhandeln, sind sich alle darin einig, dass sich die Essedin al Kassam-Brigaden, der bewaffnete Flügel der Hamas, nur so lange daran halten werden, wie es unbedingt notwendig ist.
Doch es gibt einen weiteren Faktor, der den Bemühungen um eine dauerhafte Lösung im Wege steht. Und das sind die Irrungen und Wirrungen der israelischen Politik: Regierungschef Benjamin Netanjahu schließt eine Zweistaatenlösung beharrlich aus, wohl um seine ultra-rechten Koalitionspartner zu befrieden, die ihn an der Macht halten.
Irrungen und Wirrungen der israelischen Politik
Ein erheblicher Teil der Kabinettsmitglieder und ziemlich viele Koalitionsabgeordnete nahmen zudem - ohne, dass Netanjahu widersprochen hätte - an einer Konferenz teil, bei der um den Wiederaufbau der israelischen Siedlungen im Gazastreifen geworben wurde. 2005 waren alle israelischen Siedlungen in Gaza geräumt worden.
Bei den Nahostreisen von US-Außenminister Anthony Blinken, mittlerweile fünf an der Zahl, geht es deshalb derzeit vor allem um eins: Netanjahu nicht nur klarzumachen, dass der Krieg bald enden muss, sondern auch, ihm zu vermitteln, dass es ein Weiter so nicht geben kann.