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Wie ein Mensch wirklich stirbt

Peng - das Opfer greift sich ans Herz und fällt tot um. Ein Krimi-Klischee - aber falsch. Was passiert wirklich beim Sterben? Welche biologischen und chemischen Veränderungen vollziehen sich?

Der Mensch ist nicht von einer Sekunde auf die andere tot. Sterben ist ein langsamer Prozess, dessen Erscheinungen und “Nebenwirkungen” bereits beginnen, wenn das Herz-Kreislauf-System noch nicht abschließend versagt hat. Dass auch der Herzstillstand nicht unbedingt das Ende des Lebens bedeutet, wissen Forscher bereits seit dem 18. Jahrhundert, als erstmals Ertrunkene erfolgreich wiederbelebt werden konnten.

Insbesondere die Entdeckung der Elektrizität half den damaligen Ärzten dabei, den Herzen vermeintlich Toter wieder auf die Sprünge zu helfen. Heute weiß man, dass bis zu 50 Stunden nach dem Kreislaufstillstand einzelne Muskelgruppen noch elektrisch erregbar sind, also durch Stromeinfluss zu Bewegungen animiert werden können. Erst bis zu 100 Stunden nach dem Todeseintritt des Menschen sind auch sämtliche Zellen seines Körpers abgestorben – der so genannte biologische Tod ist eingetreten.

Mit der Einführung der Transplantationsmedizin in der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich allerdings das Bedürfnis nach einer sicheren Definition des Todes ergeben. Hier bot sich der Hirntod an: Wenn die Gesamtfunktion des Gehirns unwiderruflich erloschen ist, können Maschinen den Körper des Betroffenen zwar noch fast beliebig lange funktionsfähig halten werden. Doch der Zustand ist irreversibel, eine Rückkehr ins Leben, wie wir es kennen, ist nicht mehr möglich.

Das Transplantationsgesetz definiert deshalb den Hirntod als Voraussetzung zur Entnahme von Organen. Zur Diagnose des Hirntodes müssen mehrere Kriterien erfüllt sein. Dazu gehören der Verlust des Bewusstseins, das Ausbleiben von Reaktionen des Hirnstamms auf verschiedene Reize und eine erloschene Spontanatmung. Diese ohne maschinelle Hilfe überprüfbaren Befunde sind nach bestimmter Zeit (12 bis 72 Stunden) durch eine erneute Untersuchung zu bestätigen.

Da bei einer beabsichtigten Organentnahme das Abwarten dieser Zeit nicht praktikabel ist, lässt sich die fehlende Hirnfunktion auch messtechnisch beweisen – etwa via Elektroenzephalogramm (EEG), das 30 Minuten lang Nullaktivität der Hirnströme zeigen muss. Auch die fehlende Durchblutung des Gehirns ist ein sicheres Todeszeichen, die sich nuklearmedizinisch (Szintigrafie) oder via Ultraschall (Sonografie) nachweisen lässt. Diese Untersuchungen müssen Ärzte durchführen, die nicht an der Organentnahme beteiligt sind.

Totenflecken und Totenstarre

Der Gerichtsmediziner steht allerdings selten vor dem Problem, den Tod eines Menschen beweisen zu müssen. Denn er wird dann gerufen, wenn die Polizei oder ein anderer Arzt bereits festgestellt hat, dass ein Mensch unter ungeklärten Umständen gestorben ist. Entscheidend ist hier, dass (etwa bei der Leichenschau) ein nichtnatürlicher Tod diagnostiziert wurde.

Ausgeprägte Aussparungen der Totenflecken an den Auflagestellen an der Unterseite des Körpers. Darunter: für gewisse Zeit lassen sich die Totenflecken noch mit dem Daumen wegdrücken.

Eine solche Feststellung führt automatisch zur Einschaltung der Ermittlungsbehörden, die dann den Rechtsmediziner hinzuziehen. Das Sterben eines Menschen gilt dabei nur dann als natürlich, wenn es eine klare Ursache dafür gibt, bei der Dritte keinerlei Verantwortung tragen. Altersschwäche ist zum Beispiel keine natürliche Todesursache – ein Mensch stirbt immer an einem konkreten Organausfall. Ersticken am Erbrochenen nach vorangehender Alkohol- oder Medikamentenvergiftung darf nicht als natürlicher Tod diagnostiziert werden.

Was immer der genaue Grund für das Einschalten der Behörden war – der Gerichtsmediziner ist jetzt am Tatort. Die Spurensicherung hat diesen bereits abgesperrt, damit keine Hinweise verlorengehen können. Auch die Auffindesituation der Leiche wurde schon dokumentiert. War sie bekleidet? Lag sie unter einer Decke? Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind für die weitere Beurteilung ebenso wichtig wie deren Verlauf über die bisherige Liegezeit des Toten (was ein Anruf bei den Meteorologen und beim Vermieter – der die Heizkostenabrechnung kennt – klären kann).

Die erste Untersuchung der Leiche beurteilt nun Totenflecken und Totenstarre. Wenn das Herz aufhört, das Blut durch Venen und Arterien zu pumpen, kommt es zur so genannten Hypostase. Durch den Einfluss der Schwerkraft sinken das Blut und alle anderen Körperflüssigkeiten nach unten.

Dieser Prozess kann bereits vor dem endgültigen Tod beginnen, wenn der Blutdruck stark sinkt. Das Ergebnis sind die so genannten Kirchhofrosen, hellrötliche Verfärbungen der Haut, die vor allem hinter den Ohren und an den am Kopf unten liegenden Wangenteilen zu beobachten sind. Die Bezeichnung geht tatsächlich auf den Friedhof (der früher oft im Kirchhof lag) zurück.

Nach dem Herztod beschleunigt sich das Absinken des Blutes. Es sammelt sich in den feinen Blutgefäßen der Haut, und zwar immer an der Unterseite des Leichnams. Die Totenflecken sind zunächst noch klein und von hellroter Farbe. Allmählich verbinden sie sich zu größeren Bereichen. Wenn einzelne Äderchen das Blut nicht mehr aufnehmen können, kommt es zu kleineren, etwa reiskorngroßen Blutungen unter der Hautoberfläche, die man Vibex (Mehrzahl: Vibices) nennt.

Tod beim Aquarienputzen?

Zunächst enthält das Blut noch Sauerstoff, deshalb die rötliche Farbe. Doch dieser wird relativ schnell verbraucht. Die Totenflecken nehmen dann eine blauviolette Farbe an. Allerdings gibt es Ausnahmen: Befindet sich die Leiche in einer kalten Umgebung, kann Sauerstoff in die Haut eindringen und die Umfärbung aufhalten.

Hellrot bleiben die Totenflecken ebenfalls, wenn das Opfer eine Kohlenmonoxid-Vergiftung hat. Das geruchlose Gas, das zum Beispiel aus defekten Öfen austreten kann, wird von den roten Blutkörperchen bevorzugt aufgenommen, sodass der Mensch erstickt, obwohl eigentlich noch genug atembarer Sauerstoff in der Luft vorhanden wäre.

Falls sich keine Quelle für Kohlenmonoxid in der Umgebung findet und auch die Umgebung nicht besonders kalt ist, könnte eine Vergiftung mit Blausäureverbindungen (Cyaniden) oder Natriumfluoracetat vorliegen. Die Giftigkeit der Blausäure sollte Krimilesern bekannt sein – nur das Klischee des Bittermandelgeruchs passt nicht, denn die meisten Menschen können den angeblichen Bittermandelgeruch gar nicht wahrnehmen.

Das farb- und geruchlose sowie leicht wasserlösliche Natriumfluoracetat hingegen ist unter Krimiautoren noch ein Geheimtipp, ist es doch nur in Pflanzenarten der südlichen Halbkugel enthalten (dort auch teilweise als Schädlungsbekämpfungsmittel zugelassen) und gleichzeitig hoch giftig. Die Vergiftung kann bereits durch Hautkontakt oder Einatmen erfolgen. Die tödliche Dosis liegt beim Menschen bei 5 bis 10 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Eine Behandlung ist so gut wie unmöglich, der Tod tritt binnen weniger Stunden ein. Fische sind für Natriumfluoracetat übrigens weitgehend unempfindlich. Ein Aquarien-Liebhaber könnte also durchaus bei der Reinigung des Fischbehälters umkommen, während seine beschuppten Haustiere quicklebendig ihre Bahnen ziehen.

Wenn die Totenflecken weder blauviolett noch hellrot sind, sind ebenfalls Vergiftungen die Ursache. Natriumchlorat sowie Nitrate und Nitrite (Salze der Salpeter-Säure beziehungsweise der Salpetrigen Säure) geben den Flecken eine bräunliche Färbung. Natriumchlorat fand sich früher in Pflanzenschutzmitteln, ist dort jedoch nicht mehr zugelassen. Falls Ihnen in einem Krimi je eine Stewardess als Mörderin oder Verdächtige begegnet, könnte diese Natriumchlorat aus den Sauerstoffgeneratoren gewonnen haben, die im Notfall die Atemmasken der Passagiere mit Luft versorgen.

Eine grüne Färbung der Totenflecke schließlich deutet auf eine Vergiftung mit Schwefelwasserstoff hin. Der typische Geruch nach fauligen Eiern verhindert zwar, dass das Opfer unbemerkt damit in Kontakt gekommen sein kann. Allerdings betäubt Schwefelwasserstoff auch die Geruchsnerven, so dass man eine Erhöhung seiner Konzentration in gefährliche Bereiche nicht mehr wahrnimmt. Zudem sammelt es sich in Bodennähe, da es schwerer ist als Luft.

Die Leiche wurde bewegt!

Totenflecken bilden sich überall dort, wo kein Druck auf die Haut ausgeübt wird. Deshalb sind die Stellen, an denen der Leichnam auf dem Boden aufliegt, von ihnen meist ausgespart und vom Gerichtsmediziner gut erkennbar. Der Arzt wird den Körper also anheben oder umdrehen. Befinden sich die Totenflecken an den richtigen Stellen? Typisch sind bei Rückenlage der Leiche schmetterlingsförmige Aussparungen über den Schulterblättern, am Gesäß und an den Waden. Auch Kleidung, insbesondere eng anliegende, kann dazu führen, dass sich in einem Bereich keine Flecken bilden. Bei Bauch- oder Seitenlage kehren sich die Verhältnisse entsprechend um.

Es mag ein seltsamer Anblick sein, doch dass der Rechtsmediziner die Haut der Leiche im nächsten Schritt scheinbar massiert, hat einen guten Grund. Je nach Liegezeit sind die Totenflecken nämlich mehr oder weniger wegdrückbar. Etwa fünfeinhalb bis sechs Stunden nach dem Tod lassen sich die Flecken durch mehr oder weniger starken Druck mit dem Daumen noch auflösen. Mit der Zeit ist immer mehr Druck nötig. Bis zu 17 Stunden nach dem Tod braucht man dann schon sehr starken Druck mit einem Werkzeug, um noch eine wenigstens teilweise Verlagerung zu erreichen. Wenn der Zellverfall weiter fortschreitet, tritt das Blut dann aber aus den Gefäßen in das Gewebe und lässt sich dann nicht mehr wegdrücken.

Ob und wann der Leichnam nach dem Todeszeitpunkt bewegt wurde, lässt sich anhand der Totenflecken ebenfalls beurteilen. Solange der Zellverfall noch nicht weit fortgeschritten ist, bilden sich die Totenflecken an der richtigen Stelle neu, wenn man den Körper dreht oder sich auch nur die Auflageflächen verändern. Das ist bis etwa sechs Stunden nach dem Tod komplett der Fall. Weitere etwa sechs Stunden lang verlagern sich die Flecken noch teilweise, danach bleiben sie an Ort und Stelle.

Eine Leiche in Rückenlage, die am Bauch Totenflecken aufweist, am Rücken jedoch gar nicht, ist also vermutlich mindestens zwölf Stunden nach der Tat bewegt worden. Fehlen andere Spuren der Tat (Blut etc.), wo die Leiche gefunden wurde, befinden sich die Totenflecken jedoch genau dort, wo sie hingehören, muss sich der Mörder beeilt und den toten Körper höchstens sechs Stunden nach der Tat an einen anderen Ort gebracht haben.

Trat der Tod in einer gefüllten Badewanne ein, ist anhand der Totenflecke übrigens oft die Wasserlinie erkennbar.

Kompliziert wird die Auswertung, wenn das Opfer wegen zahlreicher Verletzungen innerlich oder äußerlich verblutet ist. Dann bleibt eventuell nicht mehr genug Blut für die Totenflecken. Bei einem Versagen der rechten Herzkammer staut sich das Blut in den Körpervenen mit der Folge, dass die Flecken trotz Rückenlage auch vorn am Hals und im Gesicht auftreten können.

Totenflecken sind auch im Körperinneren festzustellen. Das kann beim Tod durch Erhängen wichtig sein: In diesem Fall sollten sie sich bei der Obduktion an den unten liegenden Teilen des Darms nachweisen lassen.

Wenn das Auge offen bleibt

Es gehört zu den bewegenden Szenen eines Krimis, wenn die Kommissarin die Augen des getöteten Mädchens schließen will, ihr das jedoch nicht mehr gelingt. Das liegt am Eintreten der Totenstarre. Stirbt ein Mensch, erschlaffen zunächst all seine Muskeln. Die Muskelzellen versuchen jedoch, ihren Lebenszyklus beizubehalten. Das gelingt für maximal drei bis vier Stunden, in denen die Glieder des Toten noch leicht beweglich sind. Danach jedoch verschmelzen die beiden Proteingruppen, Aktine und Myosine, die bei einer Muskelkontraktion normalerweise wie die beiden Seiten eines Reißverschlusses ineinander gleiten, derart miteinander, dass der Muskel zu keinerlei Bewegung mehr fähig ist. Meist passiert das zunächst bei den Muskeln von Unterkiefer und Nacken, danach folgen obere Glieder, Rumpf und schließlich die unteren Glieder (Nysten-Regel).

Die Totenstarre objektiv zu prüfen, ist schwierig: Der untersuchende Arzt versucht, möglichst viele verschiedene Gelenke zu bewegen, und beurteilt den Kraftaufwand, den er dafür braucht. Nach gewisser Zeit, etwa acht Stunden, ist die Totenstarre voll ausgeprägt. Dann bricht das Gelenk eher, als dass es sich bewegt. Vorher jedoch ist nicht nur der Kraftaufwand je nach Liegezeit der Leiche unterschiedlich, sondern auch ein weiteres Phänomen: der Wiedereintritt der Totenstarre.

Ist die Totenstarre noch nicht vollständig, kann der Gerichtsmediziner die eingeschränkte Beweglichkeit eines Gelenks in der Regel noch brechen. Es wird dann wieder leichtgängig, da noch nicht alle Fasern des Muskels von der Starre betroffen sind. Nun dauert es eine gewisse Zeit, die ebenfalls von der Liegezeit der Leiche abhängt, bis das Gelenk wieder völlig steif ist. Dieser Effekt tritt höchstens sechs bis acht Stunden nach dem Tod ein.

Die miteinander verschmolzenen Eiweiße lösen sich mit der Zeit komplett in ihre Bestandteile auf. Das ist der Moment, in dem die Ermittlerin auch die Lider des ermordeten Mädchens endlich schließen kann, denn nun löst sich auch die Totenstarre wieder auf. Wie viel Zeit bis dahin vergeht, hängt allerdings extrem von den Umgebungstemperaturen ab. Während bei Zimmertemperatur nach etwa 2,5 Tagen die Lösung beginnt und nach drei Tagen vollständig sein sollte, kann die Starre bei winterlichen Verhältnissen wochenlang andauern. Das passiert aus demselben Grund, aus dem sie verderbliche Lebensmittel im Kühlschrank aufbewahren: Kälte verhindert Zersetzungsprozesse.

Scheinbares Leben nach dem Tod, Kalt wie eine Leiche, Trockene Haut, Fäulnis und Verwesung, Wachsleichen und Mumien

Scheinbares Leben nach dem Tod

Wer im Biologieunterricht einen Frosch oder einen Fisch sezieren musste, kennt das Phänomen: Legt man Strom an eine Nervenzelle an, kann es zu plötzlichen Muskelreaktionen kommen. Diese sind kein Lebenszeichen des Tieres. Sie zeigen aber, dass die zugrundeliegenden Zellen noch ihre Funktion erfüllen. Wenn man weiß, wie lange nach dem Tod das noch der Fall ist, kann man auf den Todeszeitpunkt rückschließen.

Dieses Instrumentarium steht Rechtsmedizinern ebenfalls zur Verfügung. Das Spektrum reicht dabei von Verfahren, die sie direkt am Fundort der Leiche einsetzen können (und die meist recht grob sind) bis hin zu Labortechniken.

Das Zsako-Muskelphänomen etwa kann der Mediziner noch 90 bis 150 Minuten nach dem Tod hervorrufen: Schlägt er kräftig mit einem harten Gegenstand auf den Biceps-Muskel des Oberarms, wird sich dieser zusammenziehen und sich dadurch der Unterarm bewegen. Der Test ist Ihnen vielleicht aus der ärztlichen Untersuchung bekannt, bei der mit einem kleinen Holzhämmerchen auf den unteren Teil des Oberschenkels kurz über dem Knie geklopft wird: Funktioniert der Reflex, zuckt der Unterschenkel nach vorn. Der Trick funktioniert auch bei anderen Muskeln der Skelettmuskulatur, etwa auf dem Handrücken.

Ist der Mensch schon länger als 2,5 Stunden, aber kürzer als vier bis fünf Stunden tot, kommt es zwar nicht mehr zur Muskelkontraktion, dafür jedoch bilden sich jedoch ein oder mehrere Wülste (Fachbegriff: idiomuskulärer Wulst), die unter der Haut gut sichtbar oder zumindest tastbar sind. Je mehr Zeit vergeht, umso schwächer fällt die Reaktion aus, desto länger bleibt sie jedoch auch erhalten, in der Schlussphase sogar bis zu einen Tag lang.

Reaktionen lassen sich, wie erinnern uns an das Frosch-Experiment, jedoch nicht nur mechanisch, sondern auch elektrisch hervorrufen. Den Rechtsmedizinern stehen dafür tragbare Reizgeräte zur Verfügung, die definierte Stromimpulse abgeben. Sticht man eine Elektrode etwa im Augenlid ein, reagiert je nach der Liegezeit der Leiche die gesamte Gesichtshälfte (etwa 3,5 Stunden nach dem Tod), die obere Gesichtshälfte (4,5 Stunden), beide Lider, ein Teil des Oberlids oder der Augenmuskel unmittelbar an der Einstichstelle (bis 13,5 Stunden nach dem Todeszeitpunkt).

Die Gesichtsmuskulatur ist ähnlich elektrisch reizbar – nach zwei bis sechs Stunden wird man hier nur noch eine Zuckung in unmittelbarer Nähe der Elektroden hervorrufen können. Die Unsicherheit ist bei diesem Verfahren allerdings groß, sie liegt jeweils etwa bei der Hälfte der aus dem Test ermittelten Liegezeit. Bringen die elektrischen Impulse also etwa die obere Gesichtshälfte in Bewegung, lässt sich nur mit Sicherheit sagen, dass der Mensch zwischen zwei und sieben Stunden tot sein muss (wobei 4,5 Stunden den wahrscheinlichsten Wert darstellen).

Schließlich können Gerichtsmediziner auch noch auf chemische Weise Reaktionen auslösen – in diesem Fall an der Muskulatur der Iris, die die Pupille öffnet und schließt. Man spritzt dem Toten dazu ein Medikament wie Adrenalin, Atropin oder Acetylcholin unter die Bindehaut. Einige Minuten danach tritt die Wirkung ein – oder auch nicht, je nach der Länge des Zeitraums, der seit dem Tod vergangen ist. Mit Adrenalin sollte sich beispielsweise 14 bis 46 Stunden nach dem Tod eine Reaktion zeigen, bei Atropin nur 3 bis 10 Stunden post mortem (nach dem Tod).

Kalt wie eine Leiche

Die Vorstellung, dass Leichen sich kalt anfühlen, ist zutreffend. Das liegt zum einen an der Erwartung, die der Mensch bei der Berührung nackter Haut hat – üblicherweise spürt man dann die Körpertemperatur der Haut von etwas unter 37 Grad. Es bedarf deshalb keiner großen Abkühlung, damit bereits ein unangenehmer Eindruck entsteht.

Tatsächlich fällt die Körpertemperatur nach dem Tod nämlich relativ langsam ab, etwa mit 0,5 bis 1,5 Grad pro Stunde. Im After, etwa acht Zentimeter innerhalb des Schließmuskels gemessen (hier kommt die Temperatur der Kerntemperatur im Inneren am nächsten), bleibt die Temperatur zunächst zwei bis drei Stunden konstant, während die Haut langsam abkühlt. Die Geschwindigkeit der Abkühlung danach hängt stark von den Umweltbedingungen ab. Sie gehorcht dann zwar grundsätzlich einer Exponentialgleichung, allerdings sind die entsprechenden Koeffizienten von Fall zu Fall sehr verschieden.

Bei unter 10 Grad Umgebungstemperatur etwa verdoppelt bis verdreifacht sich die Abkühlungsgeschwindigkeit im Vergleich zu einer Temperatur von 21 Grad. Menschen mit größerer Körpermasse kühlen bis zu ein Drittel langsamer ab als schlanke Menschen. Eine zusammengekrümmte Körperhaltung verzögert die Wärmeabgabe an die Umgebung ebenso wie Bekleidung oder eine Bettdecke. Ist die Kleidung allerdings feucht, kühlt die Leiche schneller aus. Dasselbe ist der Fall, wenn Wind die feuchte Luft abtransportiert oder sich der Tote gar im Wasser befindet. In der Praxis ist auch zu berücksichtigen, dass beim Fund der Leiche womöglich die Umgebung verändert wurde: Hat die Polizei vielleicht Scheinwerfer aufgestellt? Hat jemand die Fenster geöffnet oder die Heizung angeschaltet?

In der Praxis bestimmt man die Leichenliegezeit heute primär mit Software, die all diese Faktoren zu berücksichtigen sucht. Eine ältere Bestimmungsmöglichkeit sind Nomogramme, die der Rechtsmediziner nach einem bestimmten Algorithmus abliest und dann mit Korrekturfaktoren umrechnet. Wenn alle Umgebungsbedingungen zu jedem Zeitpunkt bekannt sind, gilt die Todeszeitbestimmung über die Körperkerntemperatur als genaueste Methode.

Trotzdem versucht der sorgfältige Gerichtsmediziner, auch alle anderen Verfahren zu nutzen, um die Sicherheit zu erhöhen. Ist der Mensch maximal einen Tag lang tot, lässt sich der genaue Sterbezeitpunkt bei Nutzung aller Möglichkeiten meist auf ein bis zwei Stunden eingrenzen (aber nicht genauer).

Trockene Haut

Unter trockener Haut leiden auch Tote – auch wenn “leiden” vielleicht das falsche Wort ist. Das liegt ganz einfach daran, dass mit dem Herzschlag auch alle Mechanismen beendet werden, die Haut und Schleimhäute feucht halten. Lider oder Zunge bewegen sich nicht mehr. Die Feuchtigkeit der Hautoberfläche verdunstet, die Schweißdrüsen produzieren keinen Nachschub mehr.

Schon ein bis zwei Stunden nach dem Tod trocknet die Bindehaut der Augen (falls diese nicht geschlossen sind) und verfärbt sich dabei von gelb-bräunlich bis (später) schwärzlich. Bei geschlossenen Augen kommt es erst nach 24 Stunden zu einer Hornhauttrübung. Es folgen die Lippen und andere Schleimhäute, danach verfärbt sich die Haut an den Fingerkuppen rötlich-braun.

Die Vertrocknung beginnt in der Regel an den Punkten, die am weitesten vom Rumpf entfernt sind. Vorgeschädigte Teile der Haut trocknen dabei schneller als unbeschädigte Stellen, weil die vorhandene Feuchtigkeit hier besser verdunsten kann.

Fäulnis und Verwesung

Jetzt kommt der Moment, bei dem der angeberische, sich eben noch aufplusternde Nachwuchs-Ermittler im Krimi gern in die Schranken gewiesen wird. Dass der Tote nicht mehr lebt, ist keine Frage mehr, deren Beantwortung einen Arzt benötigen würde: Die Antwort gibt schon die eigene Nase. Spätestens beim Anblick der nach einer Woche an der Luft bereits faulenden Leiche beschert dem Assistenten des Ermittlers einen Anfall akuter Übelkeit, nach dem er wieder ganz bescheiden auftritt.

So unangenehm der Anblick eines faulenden Körpers vielleicht ist – die Fäulnis ist auch ein gutes Zeichen. Falls der Tote an einer ansteckenden Krankheit verstorben sein sollte, geht von ihm nun keinerlei Gefahr mehr aus. Das Regime haben nun nämlich all die Bakterien und Pilze übernommen, die optimal an den toten Organismus angepasst sind. Krankheitserreger hingegen sind Phänomene des Lebens; dass ihr Wirt verstirbt, ist eigentlich nicht in ihrem biologischen Interesse.

Dass es überhaupt zur Fäulnis kommt, liegt daran, dass die Zellen nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden. Sie stellen ihr Programm um und versorgen sich aus sich selbst heraus mit Energie – die Gewebe lösen sich auf (Autolyse), Schutzmechanismen, die das im lebenden Körper verhindern, versagen nun. Für manche der stets auf Haut und Schleimhäuten wohnenden Bakterien verbessern sich dadurch die Lebensbedingungen und verdrängen all die Konkurrenten, die daraus keinen Nutzen ziehen können. Der Sauerstoffmangel führt dazu, dass vor allem anaerobe Prozesse (die keinen Sauerstoff brauchen) ablaufen. Eben das ist die Definition von Fäulnis im Vergleich zur Verwesung, auf die wir gleich eingehen werden.

Schön anzusehen, das hat der Ermittler-Assistent ja schon am eigenen Leib gespürt, ist eine faulende Leiche nicht. Zunächst färbt sich die Haut grünlich (ein bis zwei Tage post mortem). Das liegt daran, dass Bakterien das im Blut enthaltene rote Hämoglobin zu Schwefelverbindungen abbauen, die grün aussehen. “Krampfadern” zeigen sich am ganzen Körper – genauer gesagt zeichnen sich die Venen unter der Haut nun sehr deutlich ab (drei bis fünf Tage Liegezeit).

Die Gase, die die Mikroorganismen produzieren (vor allem Kohlendioxid, Ammoniak und Schwefelwasserstoff), blähen das Körperinnere auf; zunächst die Lippen, dann auch Bauch, Brüste und Glied vergrößern sich enorm (acht bis zwölf Tage nach dem Tod). Der Gasdruck im Inneren presst Flüssigkeit aus den Körperöffnungen, die man auf den ersten Blick für Blut halten könnte, die jedoch tatsächlich die Zersetzungsprodukte der Gewebe enthält. Bei schwangeren Frauen kann es zur so genannten Sarggeburt kommen: Der Fötus wird durch die Fäulnisgase aus dem Unterleib gepresst. Zwischen den Hautschichten bilden sich Gasblasen. Wenn diese platzen, reißt die Haut auf. Haare und Nägel lösen sich ab,

Wie schnell die Fäulnis abläuft, hängt erneut stark von den Umgebungsbedingungen ab. Die oben angegebenen Zeiten gelten für eine Lagerung der Leiche an der Luft bei 20 Grad Celsius. Im Mittel gilt die Caspersche Regel: Einer Woche an der Luft entsprechen demnach zwei Wochen Liegezeit im Wasser oder acht Wochen in der Erde.

Irgendwann kommt jedoch immer der Zeitpunkt, an dem Fäulnis in Verwesung übergeht. Wenn durch die zunehmende Selbstauflösung und Beschädigung der Leiche Sauerstoff auch in tiefere Bereiche gelangt, werden die anaeroben Prozesse durch aerobe abgelöst und andere Mikroorganismen übernehmen die Macht. Das Gewebe zerfällt nun weniger feucht, eher trocken-faserig. Der Geruch ändert sich: Das faulige Aroma von Schwefelwasserstoff schwindet. Eigentlich sollte eine verwesende Leiche gar nicht mehr riechen, denn die hauptsächlichen Verwesungsprodukte Wasser, Kohlendioxid, Harnstoff und Phosphat besitzen keinen oder nur geringen Eigengeruch. In der Praxis wird man allerdings kaum eine Leiche finden, bei der nicht auch noch (in geringerem Umfang) Fäulnis-Vorgänge ablaufen. In Zwischenstadien kann es zudem zur Produktion stechend riechender Ammoniak-Verbindungen kommen.

Der Gerichtsmediziner wird bei einer Leiche in diesem Zustand gern auch einen Insektenkundler (Entomologen) hinzuziehen. Anhand der bekannten Entwicklungszyklen vieler Fliegen- und Käferarten lassen sich ebenfalls Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt ableiten. Je mehr verschiedene Entwicklungsstadien unterschiedlicher Arten der Experte findet, desto genauere Aussagen kann er liefern. Wenn Art 1 etwa drei Tage nach der Eiablage zur Larve wird, die Larven im Mittel jedoch schon ein paar Tage alt sind, muss sich die Leiche für bestimmte Zeit an diesem Ort befunden haben.

Wachsleichen und Mumien

In sehr trockener Umgebung tritt statt der Fäulnis unter Umständen eine Mumifikation der Leiche ein – nicht mit der künstlichen, aus dem alten Ägypten bekannten Mumifizierung zu verwechseln. Mumien können auf natürlichem Weg immer dann entstehen, wenn den für die Fäulnis verantwortlichen Mikroorganismen eine der zur Vermehrung nötigen Grundlagen fehlt – etwa die Feuchtigkeit, aber auch Wärme (Eismumie). Wird die Leiche in für die Bakterien giftigen Stoffen eingebettet (Bitumen, eventuell auch Beton), kann es ebenfalls nicht zur Fäulnis kommen und eine Giftmumie entsteht.

Insbesondere in kühler, feuchter Umgebung kann es zur Bildung von Wachsleichen kommen. Das ist auf manchen Friedhöfen mit wasserundurchlässigen Lehm- oder Tonböden tatsächlich ein Problem, weil die erdbestatteten Toten auch nach 50 Jahren, wenn die Grabstellen üblicherweise verfallen, noch keine äußeren Verwesungserscheinungen zeigen. Wie geht man pietätvoll mit einer derartigen Leiche um?

Der Gerichtsmediziner weiß, dass der Begriff Fettwachsleiche eigentlich unpassend ist, denn tatsächlich enthalten die Körper kaum noch Fette und gar kein Wachs. Vielmehr entstehen unter Luftabschluss aus dem Unterhautfettgewebe Fettsäuren, deren Salze und Glycerin. Diese bilden eine undurchlässige Schutzschicht, die Fäulnis und Verwesung des Körpers verhindert oder zumindest verlangsamt. Die Konsistenz dieser Schutzschicht ist wachsartig, daher auch der Begriff.

Eher selten, aber doch nicht unmöglich ist es, dass der tote Körper selbst seine Fäulnis aufhält. Das passiert zum Beispiel, wenn zuvor eine längere Chemotherapie stattfand oder der Mensch mit hoch dosierten Antibiotika behandelt wurde. Die Auswirkungen dieser Medikamente sind allerdings stets zeitlich auf einige Tage begrenzt. Sie erschweren die Todeszeitbestimmung insofern, als der Gerichtsmediziner den Arztbericht des Behandlers womöglich nicht vorliegen hat.

Der Text ist das erste Kapitel des Buches Schöner Sterben - Kleine Mordkunde für Krimifans [1], das die häufigsten Fehler in Krimis und Thrillern entlarvt. Es beschreibt, wie der Gerichtsmediziner Tote identifiziert und geht genauer auf die Besonderheiten der verschiedenen Todesarten ein. Als eBook [2] derzeit für 99 Cent erhältlich (DRM-frei, also zur Nutzung auf allen eReadern geeignet).


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