Wie eine Straßenbahn die Stadt verändert
Seite 2: Radikaler Stadtumbau
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Während die Stadterweiterung in Richtung Rhein noch im Werden ist, hat "Le Tramway" in der Straßburger Innenstadt schon länger die Regie übernommen.
Das Stadtbild der ehemals vom Autoverkehr geplagten elsässischen Großstadt hat sich gründlich gewandelt, seit im Jahr 1994 die erste Linie ihren Betrieb aufnahm.
Mit den inzwischen sechs Straßenbahnlinien mit über 70 Kilometern Linienlänge schuf man nicht nur ein leistungsfähiges und umweltfreundliches Verkehrssystem, sondern baute zugleich den städtischen Raum radikal um.
Einst vierspurige Straßen wurden zu baumbestandenen Alleen, in der Innenstadt fährt die Straßenbahn durch weitläufige Fußgängerbereiche. Heute ist kaum mehr vorstellbar, dass ein zentraler Platz der Stadt, die Place Kléber, vor dem Straßenbahnbau von täglich 40.000 Autos umrundet wurde.
Parallel zur Tram baute man die Fahrradinfrastruktur aus; auch entlang der Kehler Strecke wurden durchgängig Radwege angelegt.
Um die Akzeptanz des "neuen" Verkehrsmittels Straßenbahn bei der Bevölkerung zu erhöhen, legte man zudem großen Wert auf ein modernes, seinerzeit geradezu futuristisch anmutendes Design.
So vermitteln die eleganten, geräumigen Wagen mit den tief heruntergezogenen Seitenfenstern ihren Passagieren den Eindruck, mittendrin im städtischen Geschehen zu sein – wie auf einem "trottoir roulant", einem rollenden Bürgersteig.
Kein Vergleich zur historischen, noch aus deutscher Zeit stammenden Straßenbahn, die bereits 1960 stillgelegt worden war. Damals, bis 1922, gab es schon einmal eine Straßenbahnlinie nach Kehl; nachdem Straßburg infolge des Ersten Weltkriegs wieder französisch geworden war, wurde sie gekappt. Jetzt, knapp hundert Jahre später, fährt sie wieder über den Rhein.
Der Imagewandel der Straßenbahn vom ratternden Sozialtaxi zum modernen Verkehrsmittel ist in Straßburg – wie übrigens auch in anderen französischen Städten – geradezu mustergültig gelungen.
Ebenso die Idee, den Bau jeder neuen Linie mit einem gründlichen Stadtumbau zulasten des Autoverkehrs zu verbinden. Der ehemalige Bürgermeister der bretonischen Stadt Nantes, Alain Chénard, unter dessen Verantwortung im Jahr 1985 das erste neue französische Straßenbahnsystem seit dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde, bezeichnete die Straßenbahn gar als "städtebauliche Idee des Jahrhunderts".
Das sahen damals nicht alle so – Chénard verlor sein Amt noch vor der Einweihung seiner ersten Linie an seinen Gegenkandidaten der Rechten.
Erfolgsmodell Straßenbahn
Auch in Straßburg war das Thema lange umkämpft. Ein rechtzeitiger Rechts-Links-Wechsel in der Stadtregierung sorgte dann dafür, dass anstelle einer automatischen Kleinprofil-U-Bahn nach dem Vorbild von Lille (die den Autoverkehr an der Oberfläche weniger tangiert hätte) die Straßenbahn zum Zuge kam.
Aus demselben Grund stand später die Verlängerung nach Kehl auf der Kippe, weil die Opposition für eine Legislaturperiode wieder das Straßburger Rathaus eroberte und das Tramprojekt einschließlich der damit verbundenen Stadterweiterung auf Eis legte.
Erst nach der Rückkehr der Linken unter dem sozialistischen Bürgermeister Roland Ries im Jahr 2008, der bis 2020 im Amt blieb, wurde die Planung wieder aufgenommen und die grenzüberschreitende Strecke bis zum Kehler Bahnhof schließlich 2017 fertiggestellt.
Heute, bald 30 Jahre nach Eröffnung der ersten neuen Straßburger Linie, zweifelt kaum noch jemand am Erfolgsmodell Straßenbahn. Damit gehört die elsässische Großstadt mit heute 285.000 Einwohner:innen zu den inzwischen 29 französischen Städten, welche das einst als altmodisch angesehene Verkehrsmittel wieder oder neu einführten – darunter nicht nur mittelgroße Städte wie Straßburg, Grenoble, Le Havre, Dijon und Montpellier, sondern auch Metropolen wie Paris, Lyon und Marseille als Ergänzung zu ihren bestehenden U-Bahn-Systemen.
Empfand man die Straßenbahn in den 1960er und 1970er-Jahren noch als Hindernis für den Autoverkehr, so ist gerade dies heute ihr Vorzug: Wo die Straßenbahn fährt, muss das Auto weichen und es entsteht wieder mehr Platz für städtisches Leben und "langsame" Verkehrsarten wie Zufußgehen und Radfahren.
In Straßburg ging man, maßgeblich vorangetrieben (Video, ab 2:20 min.) vom – inzwischen ehemaligen – Oberbürgermeister Roland Ries, noch einen Schritt weiter und nutzte die Straßenbahn als Motor für eine großangelegte Stadterweiterung in Richtung Rhein und Deutschland. Bis man, wie Ries es formulierte, von "Straßburg am Rhein" sprechen kann, werden allerdings noch einige Jahre ins Land gehen.